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       # taz.de -- Country-Ikone Dolly Parton: Our Sweetheart
       
       > Schluss mit dem Gequalme ums Authentische: Dolly Parton zerlegt mit ihrer
       > Performance alle möglichen Klischees – und viele mögen das.
       
   IMG Bild: Glitzer-Glitzer: Dolly Parton in Berlin.
       
       Neulich ist ihr doch glatt nachgesagt worden, sie sänge auf der Bühne nicht
       live, sondern bewege nur ihre Lippen zur Konserve. Sie parierte die als
       Vorwurf gemeinte Bemerkung auf ihre Art: Okay, sie habe falsche Brüste,
       habe immer auf die Kunst körperstraffender Operationen geschworen – aber
       singen, nein, das täte sie wirklich nur live.
       
       Was auch immer am Sonntagabend in Berlin in der nicht ganz gefüllten Arena
       am Ostbahnhof aus den Lautsprechern kam: War es nicht sowieso egal, ob ihr
       Gesang nun echt ist oder nicht? Verbieten sich solche Fragen nicht bei
       einer wie ihr? Ist Dolly Parton, die vermutlich basis- und auch
       proletennächste Performerin ihrer Generation, nicht sowieso ein Dementi
       aller ästhetischen Diskurse darüber, was nun authentisch sei und was, als
       scheinbarer Gegensatz, künstlich?
       
       Das Schönste an diesem Abend war nämlich, dass sie da war. Dass sie tanzte,
       charmierte, mit dem Publikum tatsächlich in Kontakt kam – und nicht nur
       Lieder abspulte. Doch selbst wenn sie nur das getan hätte – „Island In The
       Stream“, „Jolene“, „9 to 5“ oder „Here You Come Again“ and all that stuff
       –, wäre es für das Publikum ein Glück gewesen.
       
       Eine Legende für alle, die dabei sein wollten. Dolly Parton, so sehr sie
       inzwischen als kanonisiert gilt, als Sängerin, Schauspielerin, als Person
       schlechthin, war doch immer für die popkulturellen Kreise ein Nichts, ein
       quäkender Fussel des Undergrounds, ein Mainstreamfelsen, ein allerdings
       unbeirrbarer.
       
       ## Anekdoten des Selbstironischen
       
       Hier in Berlin ist gut zu erkennen, was sie zu einer Macht im Entertainment
       gemacht. Die 68 Jahre junge Frau ist von feinster Warmherzigkeit. Veräppelt
       sich selbst. Erzählt die wahrscheinlich schon überall erzählten Anekdoten
       des Selbstironischen. Sagt, dass sie gut finde, dass alle schön
       Eintrittsgeld bezahlt haben, denn sie brauche Geld, weil es so teuer sei,
       so cheap auszusehen. Und dann ulkt sie noch, sie sei mal gefragt worden,
       wie lange sie für ihre Haare brauche. Nun, erzählt sie giggelnd, sie wissen
       es nicht, denn sie sei ja nie dabei.
       
       Alles Gequalm um das Authentischen, das Echte, das Natürliche ist durch
       ihre schiere Existenz pulverisiert. Sie weiß sich moralisch, und das heißt
       biografisch, auf der richtigen Seite. Aufgewachsen als Teil einer
       zwölfköpfigen Kinderschar in den Smokey Mountains von Tennessee, in
       ärmlichsten Verhältnissen, aber mit familiärer Liebe –, verkörpert sie den
       Aufstieg aus materiell ultraungünstigen Verhältnissen. Sie hat sich
       entschieden, dies nicht depressiv zu leben, sondern es als Auftrag
       verstanden, daraus das Beste zu machen.
       
       Das ist aufs Glaubwürdigste zu sehen, zu hören, ja, zu erleben: Dolly
       Parton, eine famose Songschreiberin, tänzelt fast mit jeder Faser ihres
       schmalen Körpers die zwei Stunden des Konzerts durch. Lässt sich von ihrer
       Band wie ihren auch nicht mehr jungen Choristinnen, die sie kumpelig
       unentwegt „girls“ nennt, so dass man sofort durch dieses Land der Dolly
       Parton reisen möchte, um diesen, mit mitteleuropäischem Gemüt, fast naiven
       Glauben an das Gute, das Gelingende im Leben nachzuempfinden.
       
       Kam es einem vor einem Jahr beim Konzert der Streisand in Berlin vor, als
       sei man Teil eines Hochamts, ist es bei Dolly Parton eher so, als werde man
       durch sie in ein Wellnessbad gelegt, um wieder an ein gutes Leben zu
       glauben. Sie ist wie ein Kraftzentrum: lustig und ohne jeden Stardünkel.
       
       Trägt schöne Textilien, wackelt mit dem offenbar straffen Hintern – und
       erzählt zwischen den Liedern aus ihrem Leben, als wohnte man einer
       biografischen Erzählung bei. Wärmster Beifall für eine, die schwule Männer
       so mag wie Dragqueens, TruckerInnen und ihre Liebsten … Denn, so Parton,
       ein „sweetheart“ brauche jeder und jede. Hätte man für Kitsch halten
       können, diese Ansagen. Aber was ist daran falsch?
       
       8 Jul 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jan Feddersen
       
       ## TAGS
       
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