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       # taz.de -- Argentinien vor dem Viertelfinale: Von Kollektivaufgaben entbunden
       
       > Lionel Messi ist der Genialste der „Albiceleste“. Vor allem zum Schluss
       > einer Partie dreht er auf. Für sein Team hat sich das bislang bewährt.
       
   IMG Bild: Argentinien würde ohne Messi der Ideengeber, Spielmacher, Dribbelkünster und obendrein auch ein wenig der Trainer fehlen.
       
       RIO DE JANEIRO taz | Kann man freiwillig auf Lionel Messi verzichten?
       Eigentlich kaum vorstellbar. Aber der Trainer von Argentiniens Gegner im
       Viertelfinale (Samstag, 18 Uhr, ARD) behauptet, er würde das tun. Der
       Belgier Marc Wilmots erklärte: „Messi ist ein außergewöhnlicher Spieler.
       Wenn er in guter Form ist, wird er uns sicher vor Probleme stellen. Aber
       wenn ich mich entscheiden müsste, würde ich immer ein starkes Kollektiv
       wählen.“
       
       Erstaunlich ist diese Bemerkung vor allem deshalb, weil Wilmots mit dieser
       Gegenüberstellung nahelegt: ein starkes Kollektiv mit Messi gibt es nicht.
       Nun – der FC Barcelona hat das Gegenteil bewiesen. Denkt man nur an die
       „Albiceleste“ und ihre WM-Auftritte, dann hat Wilmots allerdings recht. Die
       in Buenos Aires erscheinende Zeitung La Nacion hat es kürzlich auf den
       Punkt gebracht: „Was wäre Argentinien ohne Lionel Messi? Es erschreckt,
       darüber nachzudenken.“
       
       Ohne den 27-Jährigen würde den Südamerikanern der beste Torschütze und
       Vorbereiter fehlen. Nur an einem der sieben WM-Tore war Messi nicht
       beteiligt. Es würde ihnen der Ideengeber, Spielmacher, Dribbelkünster und
       obendrein auch ein wenig der Trainer fehlen. Der heißt zwar eigentlich
       Alejandro Sabella, aber spätestens seit ihm der Stürmer Ezequiel Lavezzi
       während des Spiels gegen Nigeria ihm Wasser ins Gesicht spritzte, wird er
       auch außerhalb der Mannschaft nicht mehr als Autoritätsperson wahrgenommen.
       
       Entscheidungen treffen offenkundig andere. Nachdem Messi im Anschluss an
       das Auftaktspiel die Formation der ersten Halbzeit, die Fünferkette in der
       Abwehr, rügte, hat Sabella nie mehr so verteidigen lassen. Auch Javier
       Mascherano tat sich damals als Kritiker hervor. Und dass Carlos Tevez trotz
       einer exquisiten Saison bei Juventus Turin nicht in den WM-Kader berufen
       wurde, wie sich viele im Land wünschten, wird ebenso auf den Einfluss von
       Messi zurückgeführt.
       
       ## Alles auf den Alleskönner ausgerichtet
       
       Weil in der Vergangenheit die Integration von Messi in die
       Nationalmannschaft nie gelingen wollte, sind nun alle dazu angehalten, ihre
       Spielweise auf den Alleskönner abzurichten. Konsens ist, den Ball irgendwie
       zu Messi zu befördern. Ansonsten steckt in diesem Team insbesondere in der
       Verteidigungsarbeit kein besonderer Plan.
       
       So eindimensional spielt bei diesem Turnier nur die andere große
       südamerikanische Fußballmacht. Bei Brasilien aber ist die Fixierung auf
       Neymar dem Mangel von Alternativen geschuldet. Argentinien indes hat mit
       Argüero, Higuain und Di Maria weitere große Individualisten im Team, deren
       Können derzeit nur sichtbar wird, wenn Messi sie in Szene setzt. Beim
       entscheidenden Treffer gegen die Schweiz etwa, als der Sonnenkönig des
       argentinischen Spiels wieder auf einem seiner unwiderstehlichen Triumphzüge
       zum gegnerischen Tor unterwegs zu sein schien und mit einem genialen
       Zuspiel auf Di Maria überraschte.
       
       Der radikale Zuschnitt auf Messi führt indes auch dazu, dass das
       eindimensionale Bild, das von ihm im Umlauf ist, Veränderungen erfährt.
       Einige nehmen ihm das Kindliche und Arglose, das er ausstrahlt, nicht mehr
       ab. Für sie ist er nicht mehr jener, der einfach nur spielen will. Ein
       Antistar soll er sein? Ein irriger Befund. In Argentinien wurde viel von
       einem geheimen Machtkampf zwischen Messi und Tevez geschrieben.
       
       Wobei Letzterer vielleicht in der Hoffnung auf eine Nachnominierung die
       Wogen zu glätten versuchte: „Ich weiß nicht, woher die Gerüchte kommen,
       dass ich ein schlechtes Verhältnis zu ihm hätte. Er ist eine großartige
       Person.“ Das Spiel von Messi ist von all den Veränderungen ebenso nicht
       unberührt geblieben. Er, der von allen Kollektivaufgaben entbunden zu sein
       scheint, läuft bei dieser WM auffällig wenig.
       
       ## Ultramarathonläufer des TUrniers
       
       Dem US-Amerikaner Michael Bradley, Ultramarathonläufer des Turniers mit
       54,7 Kilometern, hinkt er mit 33 Kilometern weit hinterher. Noch
       anschaulicher kann man den Sachverhalt am Beispiel der Partie gegen den
       Iran machen. Messi legte mit 7,7 Kilometern die allergeringste Distanz
       unter seinen Kollegen zurück. Der Vorletzte in dieser Wertung, Verteidiger
       Federico Fernandez, hatte immerhin zwei Kilometer mehr in den Beinen.
       
       Dieser kräfteschonende Stil hat sich bewährt. Messis Minuten waren die zum
       Schluss einer Partie; davor war er meist nur einer unter vielen. Warf man
       ihm bei der WM 2010 brotlose Kunst vor, zeichnet er sich nun als Meister
       der Effizienz aus. Nur beim nicht mehr so bedeutenden letzten Gruppenspiel
       gegen Nigeria erinnerte sein Auftritt an den Zauber vergangener Jahre.
       Messi hält es inzwischen wie Per Mertesacker: Hauptsache, gewinnen. Ein
       durchaus legitimes Prinzip bei einer Weltmeisterschaft.
       
       5 Jul 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Johannes Kopp
       
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