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       # taz.de -- Propaganda im Ersten Weltkrieg: Hindenburg wirbt für Kriegsanleihen
       
       > Eine Hamburger Ausstellung über Öffentlichkeitsarbeit im Ersten Weltkrieg
       > geht den Anfängen massenmedialer Manipulation nach.
       
   IMG Bild: Rekrutierungsversuch: Propagandaplakat aus dem Ersten Weltkrieg in Hamburgs Museum für Kunst und Gewerbe.
       
       HAMBURG taz | Hindenburgs Konterfei schaut ernst und väterlich. „Wer
       Kriegsanleihe zeichnet, macht mir die schönste Geburtstagsgabe“, steht in
       energischer Handschrift des damaligen Generalfeldmarschalls darunter. Das
       zugehörige Plakat stammt von 1917 und sollte helfen, den Ersten Weltkrieg
       zu finanzieren. Und die Kampagnen wirkten: Insgesamt gaben die Deutschen 97
       Milliarden Reichsmark als Kredit an den Staat, der im Fall des Sieges
       verzinst und erstattet werden sollte.
       
       Zurückgezahlt wurde nichts, aber das Poster, zu sehen in der Ausstellung
       „Krieg und Propaganda 1914/18“ des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe,
       verweist auf die Methoden aller kriegsbeteiligten Länder: den Appell an
       Ehre, regressive Eltern-Kind-Bindungen, Solidarität.
       
       In der Tat erwies sich das Schüren von Emotionen im Verlauf dieses ersten
       massenmedialen Ereignisses der Moderne als wirksamste Manipulationsmethode.
       Und das je stärker, desto weniger Argumente sich für die Fortführung eines
       Krieges finden, den die Deutschen wesentlich forciert hatten und der 17
       Millionen Menschenleben kostete.
       
       Dabei war die Propaganda, die erstmals Filme und Plakate für politische
       Zwecke nutzte, zu Kriegsbeginn darauf fixiert, Rekruten zu gewinnen: Da
       schiebt die Mutter ihren Sohn vorwurfsvoll in Richtung Heer; Frauen winken
       gefasst abziehenden Soldaten nach. Der Druck, sich freiwillig zu melden,
       war groß: Niemand wollte als Feigling dastehen, das zeigen auch die 1915
       von Philipp Wittkop edierten „Kriegsbriefe gefallener Studenten“.
       
       Überhaupt stimmt der Mythos von der flächendeckenden Kriegseuphorie nicht:
       Noch im Juli 1914 demonstrierten 750.000 Menschen in mehreren deutschen
       Städten gegen den Krieg. Besonders Arbeiter und Bauern waren skeptisch,
       frenetisch dagegen Bürgertum, Studenten, Künstler und Literaten.
       
       Aber man brauchte die Massen, und deshalb pflasterte man den öffentlichen
       Raum mit Siegesparolen und Fotos jubelnder Soldaten. Der Krieg erschien als
       Mixtur aus Pfadfinder-Abenteuer und Mutprobe, und diese Verharmlosung
       begann schon im Kinderzimmer: Bücher wie „Max und Moritz – Eine lustige
       Soldatengeschichte“ waren da zu finden und „Nesthäkchen und der Weltkrieg“.
       
       Wie der wirklich aussah, wussten die Zurückgebliebenen nicht, und um
       zumindest den Anschein von Authentizität zu wahren, griff man zum noch
       jungen Film; die Propagandisten wussten, dass sie im Kino
       schichtenübergreifend große Menschenmassen emotionalisieren konnten. Die
       Filme selbst, streng zensiert, schufen nur eine halbe Authentizität. „The
       Battle of the Somme“ von 1916 etwa zeigt zwar eine recht realistische
       Sequenz aus dem Soldatenleben. Dass die Männer aber gleich nach der
       Bestattung ihrer Kameraden fröhlich zum nächsten Kampfeinsatz stapfen,
       stimmt so nicht und ist montiert.
       
       ## Riesiges Crowdfunding
       
       Gleich neben die modernste Methode trat, seltsam anachronistisch, eine
       archaische: die Nagelungen, bei denen deutsche Zivilisten Nägel in
       mittelalterlich anmutende Ritterfiguren schlugen, um sie quasi als
       Schutzpatrone zu beschwören. Jeder Nagel kostete einen Obulus; es wurde
       eine gigantische Crowdfunding-Aktion. Das war 1915/16, Kriegsmüdigkeit und
       erste Hungerkrawalle kamen auf, sodass man die Bevölkerung mit
       Durchhalteparolen zu stabilisieren suchte.
       
       Überraschend scheint dabei, dass die deutsche Propaganda, so suggeriert es
       die Schau, kaum mit der Dämonisierung der Gegner arbeitete. Die
       praktizierten nämlich die Alliierten offensiv: Kaiser Wilhelm II. wurde als
       barbarischer Teufel karikiert, und die Spottbildchen des Niederländers
       Louis Raemaekers erschienen massenhaft in Zeitungen, auf Postkarten und
       Sammelbildern in Zigarettendosen.
       
       Andere Propagandavorlagen lieferten die Deutschen gleich selbst: Sowohl die
       Kriegsverbrechen an belgischen Zivilisten als auch die Versenkung des
       britischen Passagierschiffs „Lusitania“ und die Erschießung der britischen
       Krankenschwester Edith Cavell, die Soldaten zur Flucht verhalf, wurden
       aufgegriffen.
       
       Die Deutschen hätten dieser „Hasspropaganda der Alliierten“ wenig
       entgegengesetzt, behauptet die Schau und reproduziert eins zu eins das
       damalige Narrativ, das sei aus Ehrgefühl geschehen. Und ganz subtil wird
       die Schau, die angibt, bloß Propagandamethoden zu zeigen, selbst zur
       Propaganda: Die durch die Exponatauswahl unterfütterte Suggestion, die
       Alliierten hätten mit der Verteufelung des Feindes gearbeitet, die
       Deutschen dagegen mit positiven Selbstbildern, ist tendenziös und legt den
       Verdacht der Relativierung nahe.
       
       Ob die Propaganda den Krieg wirklich verlängerte, ist indessen umstritten.
       Dass sie aber eine mäandernde Tradition massenmedialer Kriegspropaganda
       begründete, steht fest: Nach dem Vietnamkrieg, dessen beschleunigtes Ende
       auch den schockierenden Fotos zugeschrieben wird, hat es keinen unzensiert
       abgebildeten Krieg mehr gegeben; die Rechtfertigung des zweiten Irakkriegs
       schufen die USA durch – nicht verifizierbare – Fotos der Produktionsorte
       von Massenvernichtungswaffen gar selbst. Auch diesen Transfer in die
       Gegenwart versäumt die Hamburger Schau.
       
       2 Jul 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Petra Schellen
       
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