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       # taz.de -- Urteil des Bundesgerichtshofs: Verleumder bleibt anonym
       
       > Privat ist privat – auch, wenn jemand anonym beleidigt wird.
       > Bewertungsportale müssen die Informationen über Kommentatoren nicht
       > herausgeben.
       
   IMG Bild: Auf der Straße mag man eine Maske brauchen, um anonym zu bleiben – im Netz nicht.
       
       KARLSRUHE taz | Ärzte, die in einem Bewertungsportal anonym verleumdet
       werden, haben keinen Anspruch darauf, Daten des Verleumders zu erhalten.
       Das entschied jetzt der Bundesgerichtshof (BGH) in einer
       Grundsatzentscheidung. Es fehle eine gesetzliche Grundlage, sagte der
       Vorsitzende Richter Gregor Galke.
       
       Der Internist Michael Sölder (Name geändert) aus Schwäbisch-Gmünd wurde im
       Bewertungsportal sanego.de schlecht bewertet. Er lagere Patienakten in
       Wäschekörben in der Praxis, hieß es, man müsse bei Dr. Sölder 250 Minuten
       warten und er habe den vermeintlichen Patienten wegen einer
       Schilddrüsenüberfunktion fehlerhaft behandelt. Vom November 2011 bis Juli
       2012 wurden fünf Bewertungen mit im Kern identischen Vorwürfen abgegeben.
       
       Der Arzt konnte beweisen, dass die Anschuldigungen nicht stimmen und machte
       sanego.de jeweils auf neue Einträge aufmerksam. Diese wurden vom Portal
       denn auch gelöscht, teilweise aber erst Monate später.
       
       Kollegen rieten Sölder, jeweils schnell eigene Bewertungen abzugeben, damit
       die falschen Anschuldigungen nach hinten rutschen. Das aber war Sölder zu
       blöd. Er verklagte das Bewertungsportal und verlangte besseren Schutz. „Man
       kann einmal einen Fehler machen, aber wenn das immer wieder vorkommt, ist
       das unter aller Sau“, sagte sich der schwäbische Arzt.
       
       Im letzten Sommer verurteilte dann das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart
       sanego.de, künftig solche Postings gar nicht mehr zu veröffentlichen. Das
       Portal hafte als „Störer“, weil es seine Prüfpflichten verletzt habe. Gegen
       Wiederholungstäter müsse auch präventiv geschützt werden. sanego.de müsse
       deshalb einen Filter einrichten, der Einträge erfasst, in denen die
       einschlägigen Worte wie „Wäschekörbe“ und „250 Minuten“ vorkommen. Dieser
       Teil des Urteils ist rechtskräftig. sanego ließ dann zeitweise wohl gar
       keine Bewertungen von Dr. Sölder mehr zu.
       
       ## „Treu und Glaube“
       
       Beim BGH ging es nun nur noch um den zweiten Teil des OLG-Urteils. Darin
       hatten die Stuttgarter Richter sanego.de verurteilt, Namen und Anschrift
       des Verleumders mitzuteilen – falls diese vorliegen. Das Arztportal wollte
       keine Auskunft geben und berief sich auf das Telemediengesetz. Dort werden
       Diensteanbieter verpflichtet, die Nutzung ihre Dienste „anonym oder unter
       Pseudonym zu ermöglichen“.
       
       Das OLG hatte dagegen einen allgemeinen zivilrechtlichen Auskunftsanspruch
       angenommen, der sich im wesentlichen auf den Grundsatz von „Treu und
       Glauben“ stützte. Er stehe mit dem Recht auf Anonymität nicht im
       Widerspruch, so das OLG, weil das Portal ja nur die angegeben Anmeldedaten
       herausgeben müsse, das könne auch ein „Fantasiename“ sein. Tatsächlich
       genügt bei sanego für die Anmeldung die Angabe einer email-Adresse, die
       wiederum anonym sein kann. Vermutlich hätte Sölder auch damit wenig
       anfangen können.
       
       Der BGH lehnte nun aber zivilrechtliche Auskunftsansprüche generell ab. Der
       Bundestag habe im Telemediengesetz zwar konkrete Auskunftsansprüche für die
       Polizei, den Verfassungsschutz und zum Schutz des Eigentums eingeräumt. Zur
       Verteidigung von Persönlichkeitsrechten sei jedoch keine Auskunft auf
       Verlangen vorgesehen. „Diese Entscheidung des Gesetzgebers haben wir zu
       respektieren“, sagte Richter Galke.
       
       ## Strafantrag stellen
       
       In der mündlichen Verhandlung hatte das Gericht allerdings darauf
       hingewiesen, wie man trotzdem an – eventuell vorhandene – Daten kommt: Wenn
       ein Strafantrag gestellt ist, ermittele die Polizei und könne dabei auch
       Daten abfragen. Per Akteneinsicht erfahre dann auch das Opfer der Tat
       davon.
       
       Sölder will diesen Weg nicht gehen. „Das dauert doch alles viel zu lang",
       sagte er am Dienstag. „Wenn alles anonym ist, brauche ich die IP-Adresse
       vom dem, der da so rumschmiert, die muss aber ganz schnell sichergestellt
       werden.“
       
       Inzwischen kann Sölder wieder bei Sanego bewertet werden. Ein Kommentar
       steht am Dienstagnachmittag in seiner Rubrik: „Ich kann diesen Arzt nur
       empfehlen.“ Dagegen wird der Gmünder Internist sicher nicht vorgehen. (Az.:
       VI ZR 345/13)
       
       1 Jul 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Rath
       
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