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       # taz.de -- Urteil in Kanada: Großer Sieg für kleines Volk
       
       > Kanadische Ureinwohner haben vor dem Obersten Gerichtshof das Recht aufs
       > eigene Territorium erstritten. Das hat weitreichende Folgen.
       
   IMG Bild: Gehört jetzt wieder denen, die zuerst da waren: Chilcotin County in Kanada.
       
       EDMONTON taz | Die Chilcotin sind ein kleines Volk aus dem Westen Kanadas.
       Sie leben hauptsächlich vom Fischfang, von der Jagd und vom Handel und
       besiedeln seit Jahrhunderten die Hochplateaus zwischen Fraser River und den
       Küstenbergen von British Columbia. Über 150 Jahre lang haben die Chilcotin
       dafür gekämpft, ihr traditionelles Siedlungsgebiet ihr Eigen zu nennen.
       
       Erst haben sie gegen die britische Kolonialregierung Krieg geführt, dann
       sich gegen die Landnahme durch die weißen Siedler gewehrt. Später stellten
       sie sich den Bulldozern der Forstkonzerne entgegen. Als das nicht mehr
       weiterhalf, zogen sie vor Gericht. 25 Jahre lang haben sie sich durch alle
       Instanzen geklagt.
       
       Vergangene Woche schließlich gab der Oberste Gerichtshof in Ottawa den
       Chilcotin in einem historischen Urteil Recht und sprach ihnen mehr als
       1.700 Quadratkilometer Land zu. Es ist das erste Mal in Kanada, dass sich
       Ureinwohner vor dem höchsten Gericht des Landes erfolgreich das Recht auf
       ein eigenes Territorium erkämpft haben.
       
       Der Anführer der Chilcotin, Stewart Phillip, sprach von einem Wendepunkt
       für die indigenen Völker und betonte: „Es ist ein sehr emotionaler Tag für
       uns. Jetzt haben wir endlich eine Grundlage für eine echte Aussöhnung
       zwischen Weißen und Ureinwohnern.“
       
       Das einstimmig ergangene Urteil hat in Kanada weitreichenden Folgen – auch
       für Industrieprojekte. Denn die Richter haben den Chilcotin nicht nur die
       Kontrolle über einen Großteil ihres traditionellen Territoriums
       zugesprochen. Sie haben erstmals auch Kriterien festgelegt, mit deren Hilfe
       andere Stämme ihre Ansprüche durchsetzen können.
       
       ## Nomadischer Lebensstil
       
       Dafür müssen die Ureinwohner unter anderem darlegen, dass sie die
       betroffene Region historisch besiedelt haben. Anders als bislang müssen sie
       aber nicht mehr nachweisen, dass sie bestimmte Orte ununterbrochen bewohnt
       haben, wie es bislang Rechtsprechung war. Viele Ureinwohner pflegten wie
       die Chilcotin einen nomadischen oder halbnomadischen Lebensstil und konnten
       einen solchen Nachweis nicht erbringen.
       
       „Es gibt keinen Hinweis, dass Landrechte nur auf ein Dorf beschränkt sind.
       Eine kulturell sensible Herangehensweise verlangt, dass die regelmäßige
       Nutzung der Gebiete für die Jagd, Fischerei und Nahrungssuche ausreichend
       ist und somit auf das gesamte Territorium auszuweiten ist“, schrieb
       Richterin Beverley McLauchlin.
       
       Der Oberste Gerichtshof verfasste auch Auflagen für den Bau von
       Infrastruktur- oder Energieprojekten auf dem Land der Ureinwohner.
       Regierung und Wirtschaft müssen künftig darlegen, dass die Projekte einem
       „dringenden und substanziellen“ nationalen Interesse dienen, oder sie
       müssen die ausdrückliche Zustimmung der Ureinwohner einholen und
       Konzessionszahlungen veranlassen.
       
       ## Geringfügige Entschädigungen
       
       Für die Ureinwohner ist das ein großer Fortschritt. Zwar musste ihre
       Meinung auch bislang angehört werden. In der Praxis aber wurden sie häufig
       übergangen oder sie wurden mit geringfügigen Entschädigungen abgespeist.
       Das Urteil erleichtert es den Stämmen nun, ihre Interessen notfalls vor
       Gericht durchzusetzen.
       
       Das betrifft auch das derzeit wohl umstrittenste Energieprojekt Kanadas.
       Vor wenigen Tagen hatte die Regierung unter Auflagen die Northern Gateway
       Pipeline genehmigt, die in weiten Teilen über Land führen soll, das die
       Chilcotin beanspruchen. Die Röhre soll einmal 525.000 Barrel Schweröl am
       Tag von den Ölsandgebieten an die Pazifikküste von British Columbia führen.
       
       Viele Stämme entlang der Route fürchten eine Ölpest und haben sich gegen
       den Bau ausgesprochen. Das Urteil dürfte ihre Chancen verbessern, die
       Pipeline vor Gericht zu stoppen oder den Baubeginn um viele Jahre
       hinauszuzögern und das Projekt unrentabel zu machen.
       
       30 Jun 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jörg Michel
       
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