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       # taz.de -- Vatikan und Mafia: Das Kreuz mit den Killern
       
       > Das Verhältnis zwischen Mafia und Vatikan ist komplex. Und die
       > katholische Kirche tut sich schwer damit, sich von der Mafia zu
       > distanzieren.
       
   IMG Bild: Papst Franziskus mit Jesus-Chip bei einer Messe im kalabrischen Sibari.
       
       „Mafiosi sind exkommunziert.“ So interpretierte Radio Vatikan die
       deutlichen Worte, die Papst Franziskus bei einer Messe im kalabrischen
       Sibari am vergangenen Samstag gegen die dort heimische Mafia-Organisation
       ’Ndrangheta gefunden hatte. Einen Tag später formulierte der Sender schon
       vorsichtiger: „Hat der Papst die Mafia exkommuniziert?“ Antwort: Nein
       beziehungsweise schwierig. Denn das Kirchenrecht unterscheide, sagt Radio
       Vatikan, zwischen der Exkommunikation als „Tatstrafe“ und als
       „Spruchstrafe“. Im ersten Fall „tritt die Exkommunikation automatisch ein,
       zum Beispiel bei Abtreibung, Sakrileg, Häresie u. a.“.
       
       Die Verbrechen der Mafia hingegen gehörten der Kategorie „Spruchstrafe“ an.
       Hier müsse das Urteil „nach einem ordentlichen Prozess verhängt werden“.
       Für die Mitglieder der Mafia gilt damit das Recht auf Einzelfallprüfung.
       Sie dürfen hoffen, nicht exkommunziert zu werden, sofern sie sich bekehren
       lassen.
       
       Unser Dasein hienieden ist wohl komplizierter geworden, dementsprechend
       unser Verhalten häufig achtsamer. Vor ziemlich genau 65 Jahren nämlich, am
       1. Juli 1949, war es für Franziskus’ Vorgänger Pius XII. noch ein Leichtes,
       die Frage zu beantworten, „ob Gläubige, die die materialistische und
       antichristliche Lehre der Kommunisten bekennen, und insbesondere
       diejenigen, die diese auch verteidigen und propagieren, ipso facto als
       Abtrünnige vom katholischen Glauben der in spezieller Weise dem Heiligen
       Stuhl vorbehaltenen Exkommunikation verfallen“. Pius XII. sagte schlicht:
       „Ja.“
       
       Was die Ausgrenzung der Mafia angeht, ist selbst der oft geschmähte
       italienische Staat klarer als die katholische Kirche. 1982 wurde das nach
       seinem Urheber benannte „La-Torre-Gesetz“ verabschiedet, welches bereits
       die bloße Zugehörigkeit zur Mafia als Straftatbestand wertet. Und der
       Berlusconi-Intimus Marcello dell’Utri wurde zu einer langjährigen
       Haftsstrafe nur deswegen verurteilt, weil er sich des „concorso esterno in
       associazione di tipo mafioso“ schuldig gemacht hatte. Er war also kein
       Mitglied einer Mafia-Organisation beziehungsweise konnte ihm das nicht
       nachgewiesen werden, doch sein Verhalten hatte die Ziele der organisierten
       Kriminalität begünstigt.
       
       Warum tut sich die katholische Kirche so schwer, eindeutige Wort gegen die
       Mafia zu finden und eindeutige Maßnahmen folgen zu lassen? Was verbindet
       sie mit Kindsmördern und Erpressern, mit Leuten, die ganze Landstriche
       verseuchen, Leichen in Salzsäure auflösen – und die auch Priester ermorden?
       Mafia und eine Religion, zu deren Kern die Ablehnung von Gewalt gehört, ist
       das nicht eine irrsinnige Kombination?
       
       ## Der Schutz Gottes oder der Madonna
       
       Der Glaube ist immer noch wichtiger Bestandteil mafiöser Identität.
       Bernardo Provenzanos handgeschriebene Zettelchen, mit denen der wegen
       seiner Brutalität „Traktor“ genannte Boss der Bosse der sizilianischen Cosa
       Nostra bis zu seiner Verhaftung 2006 aus seinem Versteck mit der Außenwelt
       kommunizierte, begannen und endeten stes mit einer Wendung, in denen er den
       Empfänger dem Schutz Gottes oder der Madonna empfahl. Er gab Mordbefehle
       und schmückte sie mit Gleichnissen aus dem Lukas-Evangelium. Seine ganze
       Art, sich auszudrücken, entsprach der eines tief gläubigen katholischen
       Großvaters. Die italienischen Mafiosi fühlen sich nicht als Sünder, sondern
       sind überzeugt davon, dass Gott ihre Untaten gutheißt.
       
       Das weiß die römisch-katholische Kirche seit anderthalb Jahrhunderten –
       ebenso lange, wie es die Mafia gibt. Und doch dauerte es bis 1982, dass ein
       Kirchenmann zum ersten Mal öffentlich Stellung bezog, bei der Grabrede für
       den von der Mafia ermordeten Polizeigeneral Carlo Alberto Dalla Chiesa. Es
       brauchte einhundertfünfzig Jahre, bis die katholische Kirche etwas sehr
       Einfaches erklärte: dass sich mafiose Religiosität und katholischer Glaube
       nicht vereinbaren lassen.
       
       Hätte sich die Kirche schon früher wenigstens so moralisch eindeutig
       geäußert, wie es die Päpste Johannes Paul II., Benedikt XVI. und Franziskus
       inzwischen getan haben, die Lage wäre heute eine andere. Denn wenn das
       Mafiaproblem im italienischen Süden – und davon ausgehend global – auch ein
       kulturelles ist, müssen diejenigen Bildungsinstitutionen infrage gestellt
       werden, die für die Gesellschaft und das in ihr herrschende Klima
       verantwortlich sind. Und dazu gehört im Süden Italiens weit vor den oft
       genug versagenden oder ganz abwesenden staatlichen Institutionen die
       römisch-katholische Kirche.
       
       Deutlich wird das Problem auch an der Seligsprechung des
       Anti-Mafia-Priesters Pino Puglisi, der in Palermo wirkte. Seliggesprochen
       wird ein Mensch, der als Märtyrer starb, da er von Leuten getötet wurde,
       die seinen in tägliches Wirken umgesetzten Glauben hassten. Aber Padre
       Puglisi wurde am 15. September 1993 von katholischen Mafiosi auch als
       Antwort auf die kurz zuvor ausgesprochenen Worte von Johannes Paul II.
       ermordet. Der sagte im Tal der Tempel nahe der Mafiahochburg Agrigent:
       „Bekehrt euch! Eines Tages wird das Urteil Gottes kommen!“
       
       ## Abendmahl und Beichte
       
       Wie soll die Kirche aus der Verlegenheit herauskommen, dass die Mörder
       Puglisis regelmäßig die Kirche besuchten, dass man ihnen das Abendmahl
       reichte, sie in der Beichte losgesprochen wurden, bei Prozessionen
       mitmarschierten und die Heiligen auf der Schulter trugen? Es ist eine
       katholisch geprägte Gesellschaft, die die Mafia-Clans hervorgebracht hat.
       Sie sind in den Regionen Italiens entstanden, die den höchsten
       Gottesdienstbesuch aufweisen.
       
       Doch wenn man die – zum Glück – bescheidene Zahl derer, die aus den Reihen
       der Kirchenmänner der Mafia zum Opfer gefallen sind, mit der von
       Mafiaopfern aus Zivilgesellschaft und Staat vergleicht, entsteht ein
       merkwürdiges Bild. So wurden allein nach Kriegsende in Sizilien fünfzig
       Gewerkschafter, Sozialisten und Kommunisten von der Mafia ermordet. Zu
       denken ist auch an die vielen hundert Staatsanwälte, Polizisten,
       Justizbeamten, Unternehmer, kleinen Händler, die einfachen Bürger. Man kann
       es zuspitzen: Zwischen katholischer Kirche und Mafia hat es im Wesentlichen
       nie einen Konflikt gegeben. Vielmehr herrschte zwischen ihnen lange Zeit
       eine friedliche Koexistenz.
       
       Politisch hat das der Anti-Mafia-Staatsanwalt Vincenzo Macrì einmal so
       zusammengefasst: Im dem während des Kalten Kriegs besonders umkämpften
       Italien standen im Norden aufseiten der antikommunistischen Eliten
       faschistische Terroristen zusammen mit der Nato-stay-behind-Organisation
       „Gladio“, die für das Massaker am Bahnhof von Bologna 1980 verantwortlich
       gemacht wird. In der ganz anders verfassten Gesellschaft des Südens
       bediente man sich des Terrors der Mafia-Organisationen, um die Herrschaft
       der Christdemokraten in Rom sicherzustellen.
       
       Der Katholizismus hat den mafiosen Mördern ein ruhiges Gewissen verschafft.
       Sünde ist für die katholische Kirche, wenn Gott beleidigt wird. Ob bei Mord
       oder Diebstahl, es handelt sich aus der Sicht der Kirche stets um
       zerstörtes Vertrauen zwischen Gott und Mensch. Und Vergebung erlangt man,
       indem das Vertrauensverhältnis zu Gott wiederhergestellt wird. Das steht
       oft im Widerspruch zur Wiederherstellung eines Vertrauensverhältnisses zur
       Gesellschaft.
       
       ## Schmerz eines aufrechten Kirchenmannes
       
       Der damalige Bischof der kalabresischen Diözese Locri-Gerace, Giuseppe
       Fiorini Morosini, hielt 2010 bei der Wallfahrt nach Polsi, zur „Madonna vom
       Berge“, das die ’Ndrangheta als Heiligtum betrachtet, eine bemerkenswerte
       Predigt. In ihr äußerte sich echter Schmerz eines aufrechten Kirchenmannes.
       Und doch nannte er die Mafiosi „Brüder“, die „gefehlt“ hätten. Der Bischof
       sagte, zwar hätten Mafiosi und Kirchenleute nichts gemein, und dass jene
       den heiligen Ort der „Madonna vom Berge“ schändeten. Um dann hinzuzufügen:
       Wenn diese zum Wallfahrtsort mit verqueren Absichten kämen, sei das ihr
       Problem.
       
       Wenn ein hohes Heiligtum der Kirche von organisierten Mördern aufgesucht
       wird, ist das nur ein Problem der Mörder? Es ist eines aller Beteiligten.
       Denn es wäre für die Kirche sehr einfach, die Mafia zu bekämpfen. Sie
       müsste nur sagen: „Ihr werdet nicht erlöst, solange ihr euch nicht mit dem
       Staat und mit der Gesellschaft versöhnt.“ Doch solange sie Mafiosi für
       „Brüder“ hält, auf deren Bekehrung sie wartet, so lange wird es an dieser
       Front keinen Fortschritt im Kampf gegen die Mafia geben.
       
       Es sei denn, die Kirche als ganze nähme sich ein Bespiel an Erzbischof
       Francesco Montenegro: Im schon genannten Agrigent verweigerte der dem
       Mafiaboss Giuseppe Lo Mascolo das kirchliche Begräbnis. Es war das erste
       Mal, dass dort einem hohen Mafiaangehörigen dieser Dienst nicht erwiesen
       wurde – Anno Domini 2012.
       
       4 Jul 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ambros Waibel
       
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