URI: 
       # taz.de -- Kali-Müll in der Nordsee: Eine problematische Lösung
       
       > Der Kali-Konzern K+S sitzt in Nordhessen. Die Lauge, die bei seinem
       > Geschäft anfällt, soll in die Nordsee – am besten per Pipeline, finden
       > die Grünen.
       
   IMG Bild: Hier ist doch genug Platz für eine Pipeline, oder?
       
       BREMEN taz | Niedersachsen steht Ärger ins Haus: Ärger ums Wasser, um den
       Müll und ums Salz. Und der Streit hat gute Chancen als Riss durch die
       Grünen zu verlaufen, zwischen Parteibasis und Abgeordneten, aber auch
       zwischen den Landesverbänden von Hessen und Niedersachsen, wo die
       Öko-Partei die zuständigen Ministerien besetzt. Der Auslöser ist, dass sich
       gerade wirklich etwas zu bewegen scheint, in der Frage der Werra- und der
       Weserversalzung.
       
       Momentan ist vor allem eine Papiermaschine in Gang gesetzt worden: ein
       sogenanntes [1][Raumordnungsverfahren] für eine Rohrfernleitung. Beantragt
       hat das die K+S AG, Europas größter Kali-Anbieter, und deren Pipeline-Pläne
       beschäftigen nun Verwaltungen in Hessen, Nordrhein-Westfalen und
       Niedersachsen, zudem das Umweltbundesamt und Brüssel. Die Röhre soll
       Laugenabwässer aus dem Werra-Fulda-Revier in die Nordsee transportieren.
       Bei Wilhelmshaven kapieren sie gerade, „dass der ganze Scheiß bei uns
       eingeleitet werden soll“.
       
       Die drastische Formulierung stammt von Werner Biehl, Ex-Marinesoldat,
       Ex-Lehrer, bei den Grünen seit 1981 – und bis zum vergangenen Wochenende
       auch Vorsitzender ihrer Fraktion im Wilhelmshavener Rat. Aus dem ist er
       jetzt ausgeschieden, und quasi zum Abschied hat er noch den
       Pipeline-Konflikt aufs Tapet gebracht: Er lud die K+S-kritische
       Werra-Weser-Anrainer-Konferenz (WWA) an die Jade ein.
       
       Endlich, sagen die Einen. Das hat uns gerade noch gefehlt, befinden die
       Anderen. „Hinter diesen Plänen steckt der Gedanke, da kommt Salz zu Salz“,
       sagt Biehl. „Das ist eine Vereinfachung, die ist brandgefährlich.“ Auch
       [2][Walter Hölzel], Vorsitzender der WWA, warnt: „Was da eingeleitet werden
       soll, sind Industrieabwässer.“ Die Kalium-Konzentration der Lauge gilt als
       extrem hoch, Schwefelanteile und auch Quecksilber werden in der Lösung
       vermutet, offizielle Angaben fehlen. Immerhin: Dass sie „anders
       zusammengesetzt ist, als das Wasser der Nordsee“, hat sogar die K+S AG –
       die Anfragen der taz unbeantwortet ließ – zugegeben: 2008, in einem
       Mitarbeiterinfo.
       
       Die Nordsee-Pipeline, im Wahlprogramm der Niedersachsen-Grünen gefordert,
       sei „sicher nicht unsere Top-Idee“, sagt Volker Bajus, Umweltzuständiger
       der hannoverschen Landtagsfraktion. Immerhin aber gebe es Hoffnung, die
       Entsorgung ließe sich umweltverträglich realisieren: möglichst weit
       draußen, möglichst aufbereitet und stark verdünnt – das könnte es doch
       sein. „Was wir nicht machen können, ist, einfach diese Pläne zu
       blockieren“, sagt Bajus. „Davon profitiert nur K + S, und am Ende des Tages
       bleibt die Weser versalzen.“ Das sieht bislang auch der BUND-Landesverband
       so.
       
       Ja, die Weser. Vor gut 100 Jahren war die einmal ein Süßwasserfluss mit
       Süßwasserpflanzen und -tierchen. Davon ist sie weit entfernt, und das nicht
       nur an der Mündung, wo die Flut das Brack wie einen Keil stromaufwärts
       treibt: Von Süßwasser spricht man bei einer Salz-Konzentration von
       höchstens 0,1 Prozent. In der Oberweser liegt der mittlere Chloridwert bei
       500 Milligramm pro Liter, in der Mittelweser sind es noch immer bis zu 400
       Milligramm. Seit 15 Jahren hat sich daran nichts geändert.
       
       Sicher: Weiland, als der Großvater die Großmutter nahm, und die DDR real
       existierte, war alles noch viel schlimmer. Aber seit dem Jahr 2000 gilt die
       Wasserrahmenrichtlinie der EU. Und die schreibt einen „stärkeren Schutz und
       eine Verbesserung der aquatischen Umwelt“ vor, betreffend „alle
       Oberflächenwasserkörper“. Darunter sind Flussabschnitte, Kanäle und Seen zu
       verstehen. Aber auch „Küstengewässerstreifen“ – die Jade zum Beispiel.
       
       Dass man an der Küste Kontra gibt, nachdem die Niedersachsen-Grünen die
       Nordseeleitung seit 2008 für akzeptabel erklären, kommt in Hannover nicht
       gut an: „Vielleicht haben die in Wilhelmshaven nur übersehen, dass die
       Weser längst eine Salzpipeline ist“, sagt der Landtagsabgeordnete Bajus.
       Fachlich allerdings ist das daneben: Den Flusslauf entlang nimmt die
       Schadstoffkonzentration deutlich ab. Eine Pipeline aber würde den
       Flüssigmüll direkt ins hochsensible Watt spülen.
       
       Auf den existierenden Plänen endet die Röhre zwischen dem Vogelschutzgebiet
       Voslapper Groden und dem Binnentief, der Fahrrinne zum malerischen
       Hooksieler Naturhafen, knapp 100 Meter vom Strand, und das einen
       Muschelschubs südlich des Nationalparks, seit fünf Jahren
       Unesco-Weltnaturerbe. Außerdem transportieren an jener Stelle nur die
       Gezeiten eingeleiteten Schmutz aufs Meer hinaus. Bis zu 300 Tage dauert der
       Wasseraustausch in der Jade. „Wir sind gegen die Pipeline“, sagt deshalb
       Sönke Klug, Sprecher des Friesland-Kreises. „Das haben wir bereits im
       Vorverfahren deutlich gemacht.“ Man sei zuversichtlich: „Wir haben gute
       Argumente.“
       
       Neben den inhaltlichen Mängeln kranke der Vorgang auch an gravierenden
       Formfehlern: „Es müsste ja ein ergebnisoffenes Verfahren sein“, sagt Klug,
       doch gebe es Vorfestlegungen. So hat die K+S keinen alternativen
       Röhren-Endpunkt vorgeschlagen, Alternativ-Verfahren wurden allenfalls zur
       Kenntnis genommen: Im Auftrag der WWA angestellte Untersuchungen zu
       technischen Möglichkeiten der lokalen Entsorgung erklärte K+S mittels
       firmeneigener Expertise für Quatsch, respektive „unrealistisch“, wie Mischa
       Brüssel de Laskay verlautbart. Er ist nicht etwa Angestellter des
       Unternehmens, sondern Sprecher der hessischen Umweltministerin Priska Hinz
       (Grüne). „Die Entsorgungsvariante ’Nordsee-Pipeline‘“ sei „umfassend
       geprüft“ worden, so Brüssel de Laskay, und als „ökologisch effektivste
       Lösungsvariante“ zu betrachten – daher auch ihre Empfehlung durch den
       „Runden Tisch“ (siehe Kasten).
       
       Doch daran sind Zweifel geboten: Dessen Trägerverein, den die K+S
       satzungsgemäß personell und finanziell dominiert, hat zwar Gutachten
       eingekauft. Eines davon nahm 2009 zur Einleitungs-Problematik
       umweltfachlich Stellung, aber es bezog sich auf einen Pipeline-Endpunkt mit
       komplett anderer Strömung: Rysum an der Ems. Und die Zusammensetzung des
       Abwassers thematisierte das Papier gar nicht. Hessen aber hat sich
       entschieden, die Umsetzung der Nordseepipeline „zügig voranzutreiben“, so
       Brüssel de Laskay. Hessen hat auch keine Küste.
       
       26 Jun 2014
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.ml.niedersachsen.de/portal/live.php?navigation_id=34372&article_id=122132&_psmand=7
   DIR [2] http://www.wasser-in-not.de/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Benno Schirrmeister
       
       ## TAGS
       
   DIR Weser
   DIR Weser
   DIR Bergbau
   DIR Umweltschutz
   DIR Müll
   DIR Gülle
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Ausbau der Mittelweser: Reeder drohen mit Lastern
       
       Das Bundesverkehrsministerium will die Mittelweser nicht weiter ausbauen.
       Die Folge wäre mehr Verkehr auf den Straßen, mahnen Wirtschaftsvertreter.
       
   DIR Kali & Schmutz: Salz-Poker verloren
       
       Salzhersteller K+S will Abfälle lieber per Pipeline nach Niedersachsen
       schicken als weitere Weser-Versalzung zu verhindern
       
   DIR Widerstand von Umweltschützern: „Monte Kali“ versalzt alles
       
       Der Düngerproduzent K+S denkt über die Wiedereröffnung der Grube Siegfried
       bei Hildesheim nach. Proteste verzögern das Projekt.
       
   DIR Kommentar Grüne und Industriepolitik: Das Salz der Weser
       
       Die grünen Umweltminister könnten in den Bundesländern Meilensteine für
       eine ökologische Politik setzen. Hessens Priska Hinz tut das nicht.
       
   DIR Wo hängen eigentlich Mülleimer?: Die Anarchie der Tonne
       
       Städtische Papierkörbe sehen heute aus wie Popstars und reden auch so. Aber
       immer, wenn man einen braucht, ist keiner da – warum?
       
   DIR Flächendeckende Überdüngung: Trübe Gewässer
       
       92 Prozent der norddeutschen Oberflächengewässer sind so mit Nährstoffen
       stark belastet, dass Umweltauflagen der EU nicht erfüllt werden.