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       # taz.de -- Debatte EEG-Reform: Die Glaubensfrage
       
       > Das Erneuerbare-Energien-Gesetz ist so kompliziert geworden, dass kaum
       > noch jemand folgen kann. Das nützt den gut organisierten Lobbys.
       
   IMG Bild: Zur Massenmobilisierung – wie hier 2010 in Berlin – eignet sich das Thema Energiewende nicht mehr
       
       Es gab eine Zeit, da waren die Rollen in der Energiepolitik klar verteilt.
       Union und FDP verlängerten die Laufzeiten der Atomkraftwerke, während
       Grüne, SPD und Linke für den Ausbau der erneuerbaren Energien kämpften. Das
       Thema trieb regelmäßig Zehntausende auf die Straße und polarisierte weite
       Teile der Gesellschaft.
       
       Inzwischen ist die Lage deutlich komplizierter. Abgesehen von FDP und AfD,
       die als weitgehend außerparlamentarische Opposition gegen Ökostrom und
       Klimaschutz hetzen, wird der Übergang von fossilen und nuklearen
       Kraftwerken zu erneuerbaren Energien von keiner Partei offiziell in Frage
       gestellt. Alle sind irgendwie für die Energiewende, die Unterschiede liegen
       scheinbar nur im Detail.
       
       Doch diese Details sind oft sehr relevant. Und in der Öffentlichkeit – das
       macht die eigentlich erfreuliche Entwicklung durchaus problematisch –
       versteht sie kaum noch jemand. Ausbaukorridor, Eigenstrombelastung oder
       besondere Ausgleichsregelung sind noch die einfachsten Stichworte aus den
       Debatten der letzten Monate. Auch politisch durchaus interessierte Menschen
       steigen dabei regelmäßig aus. Der Streit über die richtige Energiepolitik
       wird damit zu einer reinen Expertenangelegenheit.
       
       Wie wenig sich das Thema noch zur Massenmobilisierung eignet, erlebten
       Umweltverbände und die Ökostrombranche, als sie Mitte Mai zur
       Großdemonstration nach Berlin riefen: Statt der erwarteten 50.000 Menschen
       kamen gerade mal 10.000, um deutlich zu machen, dass sie – so das
       Demo-Motto – die „Energiewende nicht kentern lassen“ wollten.
       
       ## Union und SPD im Einklang mit der Industrie
       
       Weil die Komplexität der Materie eine eigene Urteilsbildung zunehmend
       erschwert, verkommt die Energiewende immer mehr zu einer Glaubensfrage –
       der Frage, wem man glaubt.
       
       Auf der einen Seite stehen Grüne und Linke sowie Umweltverbände und die
       Branche der erneuerbaren Energien. Sie alle sehen in der Reform des
       Erneuerbare-Energien-Gesetzes, die heute im Bundestag verabschiedet wird,
       einen massiven Angriff auf die Energiewende. Im Interesse von
       Kohlestromproduzenten und Industrie, so ihre Kritik, wird der Neubau von
       Ökostromanlagen ausgebremst.
       
       Union und SPD argumentieren auf der anderen Seite im Einklang mit weiten
       Teilen der Industrie, dass die Energiewende durch das Gesetz keineswegs
       gestoppt, sondern lediglich in verlässlichere Bahnen gelenkt und
       preiswerter gestaltet wird.
       
       Beide Seiten sind dabei nicht uneingeschränkt glaubwürdig. Die
       Erneuerbaren-Branche, die vom Ökostromausbau lebt, hat schon mehrmals vor
       Einbrüchen gewarnt, die dann doch nicht eingetreten sind.
       
       Die Oppositionsparteien leiden nicht nur darunter, dass man ihnen
       unterstellt, schon aus Prinzip gegen die Regierungspläne zu sein. Für die
       Grünen kommt hinzu, dass sie die EEG-Reform im Bundestag zwar auf das
       Schärfste geißeln, ihre Landesminister sie aber teilweise als sinnvollen
       Kompromiss betrachten.
       
       Ähnlich ist die Situation bei der Linken, die im Bundestag für ein
       Kohleausstiegsgesetz trommelt, während sie als Regierungspartei in
       Brandenburg für einen neuen Braunkohletagebau stimmt.
       
       ## Neue Unübersichtlichkeit
       
       Union und SPD auf der anderen Seite sind trotz ihrer Energiewende-Rhetorik
       weiter eng verzahnt mit den Energiekonzernen, die um ihre Gewinne fürchten,
       und der Industrie, die niedrige Strompreise behalten will. Seit nicht mehr
       die Umweltexperten für die Energiewende zuständig sind, sondern die
       Wirtschaftspolitiker, ist der Einfluss der innerparteilichen
       Energiewende-Kritiker gewaltig gestiegen.
       
       Wer profitiert nun von dieser neuen Unübersichtlichkeit? Zum einen ohne
       Frage die Regierung. SPD-Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel kann die längst
       widerlegten Märchen vom Kostentreiber Ökostrom, der die deutsche Wirtschaft
       bedroht, ungeniert wiederholen, ohne mit breitem öffentlichem Protest
       rechnen zu müssen.
       
       Die Gesetzentwürfe aus seinem Ministerium werden vom eigentlich
       entscheidenden Parlament nur noch abgenickt. Der teils von Brüssel, teils
       aber auch von der Bundesregierung selbst geschaffene Zeitdruck spielt ihm
       dabei zusätzlich in die Hände.
       
       ## Industrie behält Privilegien
       
       Gewinner sind angesichts des mächtigen Wirtschaftsministeriums aber vor
       allem jene Akteure, die ihre spezifischen Interessen dort dank guter
       Lobbyverbindungen am effektivsten einspeisen können. Wenn man das Gesetz
       nüchtern betrachtet, gehören vor allem jene Teile der Industrie zu den
       großen Gewinnern, die schon bisher fast nichts zur Energiewende beitragen
       mussten.
       
       Obwohl alle Parteien deren Privilegien bei der EEG-Umlage einschränken
       wollten, sind diese am Ende in vollem Umfang erhalten geblieben. In den
       letzten Tagen sind noch einmal viele Details geändert worden, die in der
       Öffentlichkeit niemand wahrnimmt oder gar versteht, die aber für viele
       Unternehmen gewaltige Ersparnisse ausmachen dürften.
       
       Die erneuerbaren Energien hingegen haben klar verloren. Wie stark ihr
       Ausbau tatsächlich zurückgehen wird, lässt sich noch nicht wirklich
       absehen. Aber dass die Warnungen der Ökostrombranche diesmal wohl ernst zu
       nehmen sind, zeigt sich schon an den jüngsten Solar-Zahlen: Noch bevor
       Gabriels Reform in Kraft tritt, sind die Ausbauzahlen so stark
       eingebrochen, dass selbst das niedrige neue Ziel von 2.500 Megawatt Zubau
       in diesem Jahr nicht erreicht werden wird.
       
       Kaum eine Debatte gab es auch darüber, dass mit der heute verabschiedeten
       EEG-Reform das Ende für zwei wesentliche Erfolgsfaktoren der deutschen
       Energiewende eingeleitet wird: die festen Vergütungstarife für Ökostrom,
       die durch Ausschreibungen und Direktvermarktung ersetzt werden. Und der
       Einspeisevorrang für erneuerbare Energien, der künftig nicht mehr
       uneingeschränkt gelten soll.
       
       Auch bei diesen Veränderungen sind die konkreten Auswirkungen derzeit nicht
       im Detail abzuschätzen. Auffällig ist jedoch: Gefordert hat diese
       grundsätzliche Umstellung, die nun von der SPD umgesetzt wird, im Wahlkampf
       vor allem die FDP. Das sollte eine Warnung sein, die Energiewende trotz
       ihrer Komplexität nicht allein den Wirtschaftslobbyisten zu überlassen.
       
       27 Jun 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Malte Kreutzfeldt
       
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