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       # taz.de -- Freispruch für Becherwerfer: Kein Henkel, kein Schuldspruch
       
       > Im Prozess um einen Becher, der bei einem Bundesligaspie einen
       > Linienrichter verletzte, spricht das Landgericht den Angeklagten frei.
       
   IMG Bild: Stefan H. mag damals einen halbvollen Becher geworfen haben - aber nicht eindeutig den, um den es nun ging.
       
       Im Zweifel für den Angeklagten: Am Ende steht die Erkenntnis, dass all die
       Zeugenaussagen und Indizien für eine Verurteilung von Stefan H. nicht
       ausreichen. Zur Last gelegt wurde H., am 1. April 2011 beim
       Bundesliga-Spiel des FC St. Pauli gegen Schalke 04 einen halb gefüllten
       Bierbecher auf den Schiedsrichterassistenten Thorsten Schiffner geworfen
       und diesen damit verletzt zu haben. In erster Instanz war er schuldig
       gesprochen worden. Am Mittwoch nun verließ er das Hamburger Landgericht mit
       einem Freispruch im Rücken.
       
       Zuvor hatte Richterin Katrin Wertenbroch sich mit Zeugen auseinandersetzen
       müssen, die sich an jene paar Sekunden, die nun über drei Jahre
       zurückliegen, nicht mehr zweifelsfrei erinnern konnten. Mit Zeugen, die
       früheren Aussagen in wichtigen Details widersprachen, die eigenen
       Erinnerungslücken durch Schlussfolgerungen ersetzten – und bei denen nicht
       auszuschließen war, dass sich ihre Wahrnehmungsreste mit der ausführlichen
       Berichterstattung vermischt haben könnten.
       
       ## Wankelmütige Zeugen
       
       Vor allem ein zentrales Detail, stand im Zentrum der Widersprüche: die
       Tatwaffe. Einen unbedruckten Bierbecher ohne Henkel habe der Angeklagte
       geworfen, sagte der Zeuge Thomas W. Als ihn die Richterin darauf aufmerksam
       machte, dass er bei seiner polizeilichen Vernehmung vor drei Jahren, kurz
       nach der Tat, noch einen Becher mit Aufdruck und Henkel als Wurfgeschoss
       identifiziert hatte, korrigierte W. sich: Dann werde wohl seine frühere
       Aussage stimmen, sagte er, damals seien seine Eindrücke ja viel frischer
       gewesen.
       
       Videoaufzeichnungen vom Spiel und dem zu Boden gehenden Linienrichter
       zeigen, dass der damals geflogene Becher weder Aufschrift noch Henkel
       aufwies. Weil mehrere Trinkgefäße auf das Spielfeld geworfen wurden, ließen
       sich für die Richterin der Angeklagte und die Tatwaffe nicht einwandfrei in
       Beziehung bringen: Möglicherweise habe H. einen Becher geworfen – aber
       nicht den, der Schiffner niederstreckte.
       
       ## Schweigender Angeklagter
       
       Der Beschuldigte selbst äußerte sich während des Verfahrens nicht, sein
       Anwalt Manuel Fumagali hatte ihm eisernes Schweigen verordnet – nicht dass
       er sich noch in Widersprüche verwickele. Das überließ Fumagali lieber den
       Zeugen, deren Aussagen er in seinem Plädoyer schließlich genüsslich
       sezierte.
       
       ## Erleichterung über den Freispruch
       
       Im Zuhörerraum war man längst nicht einhellig von der Unschuld des
       46-jährigen Familienvaters überzeugt – aber am Ende doch überwiegend
       erleichtert. Denn ein Schuldspruch hätte den Projektmanager aus Seevetal
       die ökonomische Existenz kosten können: Auf rund 400.000 Euro beziffert der
       FC St. Pauli die ihm entgangenen Einnahmen – nach dem Vorfall war er
       verdonnert worden, ein Heimspiel statt am Millerntor in Lübeck zu
       absolvieren.
       
       Nach einer rechtskräftigen Verurteilung hätte der Fußball-Zweitligist
       Stefan H. für diese Summe in Regress nehmen können – drastische Konsequenz
       für eine Tat, die der Zeuge Thomas W. als „ungezielten Frustwurf“ nach
       einer umstrittenen Schiedsrichterentscheidung beschrieb. „Das war das
       teuerste Bier Ihres Lebens“, hatte Amtsrichter Carsten Grote dem
       Angeklagten nach dessen Verurteilung in erster Instanz mit auf den Weg
       gegeben.
       
       Nun ist daraus ein Freibier geworden, während der FC St. Pauli auf seinen
       entgangenen Einnahmen sitzenbleibt – und der damals am Nacken Verletzte das
       Schmerzensgeld in den Wind schreiben muss, das ihm die erste Instanz
       zugesprochen hatte.
       
       25 Jun 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Marco Carini
       
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