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       # taz.de -- Schweizer Multikulti-Team: Für viele kein Vorbild
       
       > Das Schweizer Team ist multikulti wie kaum ein anderes. An den Kickern
       > mit Migrationshintergrund diskutiert die Schweiz nun die
       > Einwanderungsfrage.
       
   IMG Bild: Manchem Nazi ein Dorn im Auge: die Schweizer Nati.
       
       Fußballerisch betrachtet ist die Schweiz das Land, das der Welt den Sepp
       Blatter geschenkt hat. Wer mit dem Zug durch Visp im Kanton Wallis fährt,
       die Heimatstadt des Fifa-Präsidenten, sieht den großen Schriftzug „SEPP
       BLATTER“ an der Schule prangen. Schließlich wurde der größte Sohn der Stadt
       hier aufs Leben vorbereitet.
       
       „Das Wallis ist eine Art Paralleluniversum, das sich ein Stück weit von der
       Gesamtschweiz unterscheidet“, sagt Susann Sitzler, eine Schweizer
       Journalistin und Autorin, die in Berlin lebt und mit Büchern wie „Grüezi
       und Willkommen“, „Aus dem Chuchichäschtli geplaudert“ [„Chuchichäschtli“
       ist ein beliebter Schweizer Zungenbrecher, zu deutsch: „Küchenschränkchen“;
       d. Red.] und „Überleben in Zürich“ deutschen Lesern die merkwürdige
       Alpenrepublik näherbringen will.
       
       Im Wallis, sagt Sitzler, haben Familienclans noch einen hohen Stellenwert.
       „Die Gesellschaft ist bis zum heutigen Tag hierarchisch, verschwiegen und
       extrem familienorientiert.“
       
       In Visp steht kein Minarett – also muss es gar nicht erst verhindert
       werden, wie es per Volksabstimmung 2009 als Bauverbot in die eidgenössische
       Verfassung geschrieben wurde. Aber weil hier kein Minarett steht, keine
       nennenswerte Black Community lebt und Ausländer nur als zahlungskräftige
       Besucher mondäner Bergdörfer wie Zermatt bekannt sind, kann sich der
       weltberühmte Mann aus dem Wallis auch als großer Bekämpfer des Rassismus
       aufführen.
       
       ## Buntes Nati-Team
       
       Vor allem im Fußball. Die Schweiz ist zu dieser WM mit einer Mannschaft
       angereist, die als eine der multikulturellsten gilt: Torwart Diego Benaglio
       hat auch den italienischen Pass, die Verteidiger Johan Djourou-Gbadjere und
       Ricardo Rodríguez sind ivorischer beziehungsweise chilenisch-spanischer
       Abstammung. Im Mittelfeld tummeln sich Valon Behrami und Xherdan Shaqiri,
       die beide aus dem Kosovo stammen; außerdem Granit Xhaka, der als gebürtiger
       Basler familiäre Wurzeln in Albanien hat, Admir Mehmedi aus Mazedonien und
       Gökhan Inler, der in der Schweiz geboren ist, aber dessen Eltern aus der
       Türkei kommen. Und der einzige Stürmer, mit dem Trainer Ottmar Hitzfeld
       (Deutschland) zuletzt beim WM-Spiel gegen Frankreich (2:5) auflaufen ließ,
       ist Haris Seferovi und bosnischer Abstammung.
       
       Aber in der Schweiz ist die Nationalmannschaft, die man Nati abkürzt und –
       für deutsche Ohren, sagen wir: ungewöhnlich – Nazi ausspricht, kein
       integrationspolitisches Symbol. Roger Köppel, der als Chefredakteur aus der
       eins linksliberalen Weltwoche ein rechtspopulistisches Sturmgeschütz
       gemacht hat, regt sich darüber auf, dass einige bereits „die bunte
       Hitzfeld-Truppe“ als Widerlegung der „Dummheit und schrebergartenhaften
       Provinzialität“ fremdenfeindlicher Schweizer bemühen.
       
       ## Die „Secondos“
       
       Diese Kicker beziehungsweise ihre Eltern oder Großeltern seien ja gekommen,
       als es noch schwerer war, in die Schweiz zu gelangen. Also seien die eher
       ein Lob für die Begrenzung der Einwanderung und bewiesen, dass die Schweiz
       ein Land sei, in dem „durch Leistung gerade auch jene ganz nach oben kommen
       können, die hier nicht geboren wurden.“ Dieser Logik zufolge muss man sich
       das Recht auf Anwesenheit aufs Härteste erkämpfen.
       
       Eine Ausnahme ist Ottmar Hitzfeld. „Dass er Deutscher ist, spielt keine
       Rolle“, sagt Autorin Sitzler. „Ohnehin gilt er als Lörracher ja nicht als
       ganz so schlimmer ’Sauschwoob‘ [zu Deutsch: Sauschwabe; d. Red.].“
       Hitzfelds Geburtsort liegt nahe an der Schweizer Grenze, und als Spieler
       und Trainer war der Mann, der mit Borussia Dortmund und Bayern München die
       Champions League gewann, auch schon in der Schweiz tätig. „Wenn er
       kritisiert wird, dann als Trainer, nicht als Deutscher.“
       
       Dass andere „Secondos“, wie Menschen mit Migrationshintergrund in der
       Schweiz genannt werden, anders beurteilt werden, wird auch im Fußball
       überdeutlich. „Anlässlich der WM wird mal wieder diskutiert, dass die
       Spieler der Nati bei Länderspielen die Hymne nicht mitsingen“, berichtet
       Sitzler. Zwar sänge in der Schweiz traditionell kaum jemand mit – „die
       meisten Leute kommen auswendig nicht mal über die zweite Textzeile hinaus“
       –, aber den Kickern mit den „exotisch-balkanisch klingenden Namen“ (Köppel)
       werde nun das Nichtmitsingen angelastet.
       
       Um zu zeigen, wie absurd der Hymnenstreit ist, erzählt Sitzler von einer
       Forderung, mit der sich der rechtspopulistische Politiker Christoph Blocher
       (SVP) einst lächerlich machte: Vor jeder Parlamentssitzung sollte gemeinsam
       die Hymne gesungen werden. Erst wurde dies verlacht – mittlerweile aber
       wird im Berner Bundeshaus zu Beginn einer Legislaturperiode gesungen, auf
       Antrag einer Sozialdemokratin.
       
       Die Kritik, er verweigere das nationale Lied, hat nun sogar den mächtigen
       Fifa-Boss aus dem weltabgewandten Wallis erwischt. „Warum singt Blatter die
       Hymne nicht?“, empörte sich das Boulevardblatt Blick nach dem gewonnen
       WM-Auftakt gegen Ecuador (2:1). „Beim Schweizerpsalm bleiben seine Lippen
       diskutiert zusammen.“
       
       ## Hat Blatter seine Hemat vergessen?
       
       Blatter ist in der Schweiz umstrittener, als man glaubt. Viele schauen auf
       ihn mit einer Mischung aus Bewunderung und Verachtung. „Er ist für viele
       einfach ein weltberühmter Schweizer“, sagt Sitzler. „Und davon gibt es ja
       nicht so viele.“ Weil Blatter aus dem kleinen Visp mit großer Eloquenz und
       noch größerem Machtinstinkt in der ganz großen Welt Karriere machte,
       kompensiert man die eigene Zurückgebliebenheit mit der Nörgelei, der
       Blatter-Sepp habe seine Heimat vergessen. Etwa so artikuliert sich auch die
       Kritik an der Nati. Was sich hier findet, ist Sozialneid: Verdienen so viel
       Geld und treffen nicht mal das Tor!
       
       In der linken Wochenzeitung Woz findet sich eine Karikatur, zu deren
       Verständnis man nur wissen muss, dass die genannten Namen allesamt für
       frühere Misserfolge im Schweizer Fußball stehen: Zwei Schweizer, einer von
       ihnen erkennbar rechtsradikal, der andere nicht minder dumpf, unterhalten
       sich. „Wenn ich diese Multikulti-Nati mit ihrem deutschen Trainer sehe,
       dann trauere ich den goldenen Zeiten unter Paul Wolfisberg und Daniel
       Schandüpöö [sic] nach, als die Schweiz immer verlor und ich mich so richtig
       bemitleiden konnte!“, schimpft der Rechtsextreme.
       
       Sein Kumpan ist überzeugt: „Wir wollen Heinz Hermann zurück! Alain Geiger!
       Andy Egly!“ Im Hintergrund hat der Karikaturist einen an seinem blonden
       Scheitel leicht als Deutscher erkennbaren Mann gezeichnet, der sich denkt:
       „Was ist denn ein Multikulti-Nazi?“
       
       25 Jun 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Martin Krauß
       
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