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       # taz.de -- Schwulenfeindlichkeit in WM-Stadien: Kulturgut Homophobie
       
       > Rassismus im Stadion gilt mittlerweile als pfui. Schwulenfeindlichkeit
       > dagegen stört nur wenige. Auch die Fifa verhält sich scheinheilig.
       
   IMG Bild: Knappes Höschen – Gaypride in Guadalajara, Mexiko.
       
       „Puto, puto“, riefen mexikanische Fans unermüdlich bei jedem Abstoß des
       brasilianischen Torwarts Júlio César. Brasilianischen Fans gefiel das
       anscheinend so gut, dass sie den mexikanischen Torwart mit ebendenselben
       Rufen bedachten. Auch im ersten Spiel gegen Kamerun waren die Rufe
       unüberhörbar. Nun ermittelt die Fifa, denn „puto“ ist eine Beschimpfung,
       frei zu übersetzen mit „Schwuchtel“.
       
       Die Statuten der Fifa sind eindeutig – nicht nur rassistische
       Beleidigungen, sondern auch Diskriminierungen wegen sexueller Orientierung
       sind in den Stadien verboten. Die Fifa beziehungsweise die nationalen
       Verbände müssen in solchen Fällen handeln. Das hat beim Kampf gegen
       Rassismus auch durchaus Wirkungen gezeigt.
       
       Rassistische Beschimpfungen insbesondere gegen schwarze Spieler waren nicht
       nur in Europa, sondern auch in Lateinamerika häufig. „Que se vengan los
       macacos“ – die Affen sollen nur kommen –, titelte die argentinische
       Zeitschrift Olé vor einem Spiel gegen Brasilien bei den olympischen Spielen
       von 1996 – bis heute von allen brasilianischen Fans unvergessen.
       
       Seitdem sind zwar nicht die rassistischen Beleidigungen verschwunden, aber
       deren Ächtung ist Allgemeingut geworden. Kein Verein kann sich mehr offen
       vor seine Fans stellen, wenn so was geschieht, und auch deren Relativierung
       als normale Begleiterscheinung eines Fußballspiels („da wird halt
       gepöbelt“) hat inzwischen an Überzeugungskraft verloren.
       
       ## Festnahme auf dem Spielfeld
       
       In Brasilien können rassistische Beleidigungen sogar die sofortige
       Festnahme zur Folge haben. Als der Argentinier Leandro Desábato den
       brasilianischen Nationalspieler Grafite 2005 während eines Spiels in São
       Paulo als „Scheißneger“ beschimpfte, verhaftete die Polizei ihn noch auf
       dem Spielfeld, und er blieb zwei Tage eingesperrt.
       
       Das hat damals zwar heftigste Diskussionen provoziert, und natürlich sahen
       viele argentinische Fans darin nur eine Rache des Erzrivalen. Aber dennoch
       haben Strafen und Verhaftungen dazu beigetragen, den Rassismus in den
       Stadien Lateinamerikas zu diskreditieren.
       
       Das ist bei homophoben Beleidigungen anders. Der mexikanische Trainer
       reagierte mit Unverständnis auf die Ermittlungen der Fifa: „Das war nicht
       so ernst gemeint, denke ich. Wir unterstützen unsere Fans und müssen daraus
       keine große Sache machen“, erklärt Miguel Herrera und will sich lieber
       „wichtigen Dingen“ zuwenden. Im Internet reagieren mexikanische Fans auf
       die Ermittlungen mit wortgewandten Verteidigungen von „puto“, als wäre der
       Ausdruck eine Art nationales Kulturerbe, reif für die Unesco.
       
       Problematisch ist aber tatsächlich, dass der Fifa und insbesondere ihrem
       Präsidenten Blatter im Kampf gegen Homophobie jegliche Glaubwürdigkeit
       fehlt. Schließlich hat die Fifa die WM 2022 an Katar vergeben, ein Land,
       das Homosexualität unter Strafe stellt. Und Blatter entblödete sich nicht,
       Schwulen während der künftigen WM den Verzicht auf Sex zu empfehlen.
       
       Aber die Scheinheiligkeit des Fußballverbands ist kein Argument für die
       Verharmlosung homophober Fanrufe. Fußballstadien müssen sich nicht als
       Zufluchtsorte machistischer Unkultur durch die Zeiten retten. Schließlich
       kann auch ohne Homophobie, Sexismus und Rassismus fröhlich geschimpft und
       geflucht werden.
       
       ## Neue Generation schwuler Fanclubs
       
       Denn es ist ja nicht nur die Fifa, die durch Statute auf Veränderung
       drängt. In Deutschland haben sich zahlreiche Fans in Kampagnen gegen
       Homophobie in Stadien ausgesprochen. Und in Brasilien entsteht gerade eine
       neue Generation von schwulen Fanclubs der großen Vereine. Palmeiras Livre,
       Queerlorado (Inter aus Porto Alegre), Marias do Galo (Altletico aus Belo
       Horizonte ) sind nur einige Beispiele für GLBT-Fangruppen, die zeigen, dass
       die Fußballkultur sich wandeln und Dumpfbackentum überwinden kann.
       
       Der Autor lebte und arbeitete von 1992 bis 2010 in Brasilien. Zuletzt
       leitete er dort das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung. Er ist Mitherausgeber
       des Buches „Fußball in Brasilien: Widerstand und Utopie. Von Mythen und
       Helden, von Massenkultur und Protest“, erschienen im Mai im VSA Verlag.
       
       25 Jun 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Thomas Fatheuer
       
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