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       # taz.de -- Teletext für Gehörlose bei der WM: Das Spiel lesen
       
       > Dank der Untertitel können auch Gehörlose bei den ARD-Übertragungen
       > mitfiebern. Auch Hörende können sich so das Sender-Geschwafel ersparen.
       
   IMG Bild: Die zehn untertitelnden Redakteure des WM-Teams der ARD sind ausgewiesene Sprach- und Sprechexperten.
       
       POTSDAM taz | Andrea Pirlo in Nahaufnahme. Es hakt im zweiten Gruppenspiel
       seiner Italiener gegen Costa Rica. Am unteren Bildrand beschreiben
       nacheinander drei Untertitel das Schlurfen der Ikone. „Er sieht fast aus,
       als würde er schlafen. / Andrea Pirlo, fast teilnahmslos. / Doch das ist
       eine wirkliche Bedrohung, was er aus den Füßen schüttelt.“ Die im
       [1][ARD-Teletext auf Seite 150] abrufbaren Untertitel sind eigentlich ein
       Service für gehörlose Zuschauer, doch in ihren schönsten Momenten sind sie
       Lyrik, kunstvoll dosiert wie das Spiel Andrea Pirlos.
       
       Gesendet werden die WM-Untertitel aus Potsdam-Babelsberg. Im ersten Stock
       eines rostbraunen Gebäudes mit großzügigen Fenstern befindet sich das
       sogenannte Play-Out-Center, in dem viele Inhalte des ARD-Teletextes
       produziert werden, unter anderem zahlreiche Untertitel.
       
       In einem Büro mit hellblauem Teppich stehen vier Schreibtische mit je
       mehreren Bildschirmen. Hier untertiteln Florian Hayler und Donya
       Zahireddini das Spiel zwischen Italien und Costa Rica. Live-Sendungen wie
       die Spiele der Weltmeisterschaft sind selbst für Profis wie sie besonders
       anspruchsvoll. Um die Konzentration hoch zu halten, wird in Zweierteams
       kommentiert, einmal pro Halbzeit wechselt man sich ab.
       
       Die Redakteure schauen das Spiel und hören den Kommentar von Tom Bartels
       über Kopfhörer, übersetzen ihn in Schriftsprache, das heißt in Haupt- und
       kurze Nebensätze, sprechen ihn dann in ein Spracherkennungssystem. Darauf
       erscheinen ihre Sätze auf einem zweiten Bildschirm, wo sie korrigiert und
       abgesendet werden können. All das muss in kürzester Zeit passieren, damit
       die Untertitel dem Live-Bild nicht zu sehr hinterherhängen. Minutenlange
       Aufzählungen der Passstationen können die Redakteure deshalb ebenso wenig
       mitmachen wie ausschweifende Anekdoten über die Spieler.
       
       ## Absolut präzise Sätze
       
       Hört man Hayler und Zahireddini hochkonzentriert ihre Kommentare in die
       Spracherkennung diktieren, klingt es, als würden Petra Gerster und Jan
       Hofer die WM kommentieren. Damit das Programm funktioniert, müssen ihre
       Sätze absolut präzise und emotionsfrei eingesprochen werden, auch bei
       Traumtoren und Fantasiegrätschen. Einige Redakteure können deshalb keine
       Deutschlandspiele übernehmen, weil sie es nicht schaffen, dabei kalt zu
       bleiben.
       
       Sie müssen achtsam sein, denn die Spracherkennung ist, obwohl sie in den
       letzten Jahren optimiert wurde, fehleranfällig bei ähnlich klingenden
       Wörtern. In einem WM-Spiel der Niederländer hieß es, Nigel de Jong habe
       sich im Kopfballduell „aufgeschlitzt“. Die zehn untertitelnden Redakteure
       des WM-Teams sind ausgewiesene Sprach- und Sprechexperten – Dolmetscher,
       Journalisten oder Schauspieler – damit ihnen solche Verdreher möglichst
       selten passieren.
       
       Kleinere Fehler sind aber so lange sekundär, wie der Textkommentar die
       wichtigsten Informationen überliefert und dem Publikum einen roten Faden
       bietet. Zudem sollen Eindrücke von der Stadionatmosphäre übermittelt
       werden. Welche Gesänge und Instrumente sind zu hören, wen pfeift das
       Publikum aus, wen feiert es?
       
       ## „Das ist gerecht so“
       
       Als kurz vor der Halbzeit das 1:0 für Costa Rica fällt, titelt Hayler: „Die
       Italiener sind viel zu spät. / Der Kopfball passt genau nach einer idealen
       Flanke. / Keine Fragen offen, das ist gerecht so.“ Die Redakteure hadern
       etwas am Ende, es sei kein leichtes Spiel gewesen. Je weniger passiert,
       desto länger werden die Geschichten des Kommentators, oder die Pausen. Dann
       müssen sie selbst etwas ergänzen, damit die Zuschauer nicht denken, der
       Teletext sei ausgefallen. Wenn viel passiere, schrieben sich die Untertitel
       fast von selbst.
       
       Die hohen Zugriffszahlen der Untertitelung deuten für Frauke Langguth,
       Leiterin ARD-Text, darauf hin, dass nicht nur Gehörlose das Angebot nutzen.
       „Sondern auch Menschen, denen es zu laut ist zu Hause oder deren Kinder
       nebenan schlafen. Auch beim Deutschlernen helfen Untertitel, weil man
       mitlesen kann, was gesprochen wird.“ All jenen, denen Geschwafel und
       Selbstgefälligkeit der Kommentatoren die Spiele verwölken, dürfte die Seite
       150 ebenfalls eine attraktive Option sein.
       
       24 Jun 2014
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.ardtext.de/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christoph Farkas
       
       ## TAGS
       
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