URI: 
       # taz.de -- Debatte Dschihadisten im Irak: Wer hat Angst vor Isis?
       
       > Alle reden über den Streit der Religionen, dabei geht es oft ums Geld.
       > Isis ist brutal, vor allem aber reich – und kann gute Gehälter zahlen.
       
   IMG Bild: Die Macht von Isis baut auf zwei Dinge: finanzielle Ressourcen und Einschüchterung durch besonders brutales Vorgehen
       
       Ein Albtraum scheint wahr zu werden: Im Herzen des Nahen Osten entsteht ein
       islamischer Kalifenstaat, der die bestehenden Grenzen auflöst und die
       gesamte Region in einen dauerhaften Krieg zwischen verschiedenen Milizen
       verwickeln könnte.
       
       Der irakische Premierminister Nuri al-Maliki ersuchte umgehend um
       US-Unterstützung, der Iran signalisierte Bereitschaft zur Zusammenarbeit
       mit den USA, Hisbollah-Anführer Hassan Nasrallah verkündete, er sei bereit
       „fünfmal so viele Kämpfer“ in den Irak zu entsenden, wie er bereits zu
       Assads Unterstützung nach Syrien geschickt hat. Nur Damaskus beließ es bei
       lapidaren Bekundungen der Solidarität mit der irakischen „Regierung, Armee
       und Bevölkerung“.
       
       Isis (Islamischer Staat im Irak und in Syrien) hat in Mossul reiche Beute
       gemacht. Sie hat die von den USA finanzierte hochwertige Ausrüstung
       übernommen, die die irakische Armee ihnen kampflos überlassen hat, und ist
       mit Ölverkäufen ans Regime in Irak und Syrien sowie den Geldern der Bank in
       Mossul die finanziell bestausgestattete Terroristenvereinigung aller Zeiten
       geworden, eine „Rekrutierungsbonanza“, wie es Nahost-Experte Michael Weiss
       in seinem Artikel „Begleiteter Selbstmord“ bezeichnet.
       
       Kapital in den Händen von Isis ist nicht zu unterschätzen, denn ihre Macht
       baut im Wesentlichen auf zwei Dinge: Geld und Einschüchterung durch
       besonders brutales Vorgehen. Während viele Syrer sich weder von den
       Fassbomben- noch den Chemiewaffenangriffen des Regimes haben abschrecken
       lassen, wird Isis mit einem solchen Horror verbunden, dass die Organisation
       im letzten Herbst in vielen Orten Nordsyriens leichtes Spiel hatte. Umso
       bemerkenswerter ist es, dass seit Januar 2014 moderate Milizen den Mut
       fassten, sich gegen Isis zu erheben und weite Gebiete zurückzuerobern.
       
       Trotz dieser beachtlichen Erfolge verschwand Isis nicht von der Landkarte –
       eben weil sie im Gegensatz zur Freien Syrischen Armee (FSA) etwas
       anzubieten hatte. Ihre insgesamt bessere Ausstattung erlaubte Isis, Kämpfer
       zu bezahlen; Isis brachte die Stromversorgung von Raqqa mit vom Regime
       gekauftem Strom wieder in Schwung und verteilte von der FSA gekaufte
       Nahrungsmittel.
       
       In einer Situation, in der in Syrien die Verarmung immer weiter
       fortschreitet, sind finanzielle Anreize ein zentraler Grund dafür, warum
       Kämpfer von anderen Fraktionen zu ihnen wechseln. Denn mit der brutalen
       Umsetzung ihres Fundamentalismus hadern die meisten Syrer.
       
       ## Assad profitiert von Isis
       
       Schon zuvor war die Verbindung zwischen Syrien und Irak interessant für die
       Aktivität von Isis in der Region. Unter anderem bildeten in Mossul
       erpresste Schutzgelder einen bedeutsamen Anteil der Finanzierung von Isis
       in Syrien. Die jetzigen Gewinne haben das Potenzial, die wenige hundert
       Mann umfassenden Truppen von Isis zu vergrößern und sie auch zahlenmäßig zu
       einer mächtigen Gruppe in der Region werden zu lassen.
       
       Warum also scheint Assad sich keine Sorgen zu machen? Das liegt zum einen
       daran, dass Isis für ihn ein willkommener Rettungsanker ist: Selbst Anfang
       2011, als es noch gar keine islamistischen Milizen in Syrien gab, hat das
       Regime die Aufständischen als „Terroristen“ bezeichnet und war seither
       bemüht, sich als „Bollwerk gegen den Extremismus“ darzustellen.
       
       Dass sich Extremisten etablierten, kam dem Regime zupass, denn das
       aggressive Potenzial von Islamisten in dem multikonfessionellen Staat ließ
       sich nun nicht mehr von der Hand weisen. Isis diente erfolgreich als
       Schreckgespenst auf internationaler Ebene, um jede Unterstützung der
       syrischen Opposition unter den Generalverdacht zu stellen, damit
       Terrorismus zu fördern.
       
       Intern stellte Isis gleichzeitig keine Bedrohung für das Regime dar, da der
       Kampf sich in entlegenen Landesteilen abspielt – im Wesentlichen in Raqqa
       und Deir as-Sur, und somit so weit wie in Syrien möglich vom Herzstück der
       Macht Assads, von Damaskus und der Küste entfernt.
       
       Damit nicht genug: Es ist auch dort kein Kampf zwischen Regime und den
       Extremisten. In Deir as-Sur, einer wichtigen Stadt an der irakischen
       Grenze, herrscht auf der einen Seite das Regime, auf der anderen Isis, und
       sie kämpfen nicht gegeneinander, sondern gegen die in ihrer Mitte
       eingeschlossenen Rebellen moderater Ausrichtung.
       
       Einen Nachweis, dass Assads Luftwaffe oder Truppen wirksame Angriffe gegen
       bekannte Stellungen von Isis durchgeführt hätten, bleibt das Regime bislang
       schuldig. Gleichzeitig ist gut dokumentiert, wie es sich auf Zivilisten und
       andere Rebellengruppen konzentriert, Extremisten gewähren lässt oder
       indirekt unterstützt. Auch bei den jüngsten Luftschlägen auf Raqqa: Spuren
       der Zerstörung weist lediglich die Straße davor auf, nicht das
       Hauptquartier von Isis selbst.
       
       ## Der Gewinner heißt Assad
       
       Das Erstarken von Isis wird eher als Auslöser des Zerfalls staatlicher
       Ordnung gesehen, weniger als dessen Konsequenz. Ein wesentlicher Teil der
       Diskussion über die jüngsten Entwicklungen richtet sich daher auch
       punktuell auf das Bekämpfen dieser Gruppe, dreht sich aber nicht um die
       Hintergründe ihres Entstehens und die Politik konfessioneller Spaltung, die
       Baschar al-Assad und Nuri al-Maliki in ihren Ländern erfolgreich
       vorangetrieben haben. Dass sich die Folgen, nämlich Gewalt durch
       konfessionell ausgerichtete Milizen, kaum wieder einhegen lassen, ist
       beiden egal.
       
       Assad setzt auf der internationalen Ebene auf die Macht seines eigenen
       Wortes. Er hat erfolgreich das Narrativ etabliert, die internationale
       Gemeinschaft hätte nur die Wahl zwischen ihm und islamischen Extremisten.
       Größer als die Sorge darum, was in der Region gerade passiert, ist im
       Westen, was die Dschihad-Heimkehrer in den eigenen Ländern anrichten
       könnten.
       
       Wenn Isis in Syrien tatsächlich deutlich mächtiger werden sollte, kann
       Assad sich auf die verzerrte Wahrnehmung von Extremismus verlassen: ob
       150.000 Tote, 11.000 in Regimegefängnissen nachweislich zu Tode Gefolterte,
       Zehntausende Verschwundene oder 9 Millionen Vertriebene – sie alle haben
       keine Lobby, solange der Verantwortliche dafür sich nicht auf den Islam
       beruft. Assad kann sich in der Gewissheit wiegen, dass sich das Erstarken
       von Isis für ihn nur auszahlen kann.
       
       25 Jun 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bente Scheller
       
       ## TAGS
       
   DIR Heinrich-Böll-Stiftung
   DIR Schwerpunkt Syrien
   DIR Terrorismus
   DIR „Islamischer Staat“ (IS)
   DIR Irak
   DIR Dschihadismus
   DIR Irak
   DIR Streitfrage
   DIR Schwerpunkt Syrien
   DIR Schwerpunkt Syrien
   DIR Muktada al-Sadr
   DIR Irak
   DIR „Islamischer Staat“ (IS)
   DIR Irak
   DIR USA
   DIR Irak
   DIR Irak
   DIR Irak
   DIR Irak
   DIR Irak
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Kommentar Obamas Irakpolitik: Diplomatie statt Bomben
       
       Obamas Ziele unterscheiden sich von denen seines Vorgängers, seine Methoden
       bleiben aber gleich. Über den Irak sollte er mit dem Iran verhandeln.
       
   DIR Der sonntaz-Streit: „Politik ersetzt keine Luftangriffe“
       
       Isis-Rebellen sind weiter nach Bagdad vorgerückt. Sollte der Westen
       intervenieren? Ein parteiisches Pro & Contra.
       
   DIR Isis im Irak: USA brauchen noch Zeit
       
       Isis-Kämpfer haben im Irak laut Menschenrechtsaktivisten Mitte Juni rund
       180 Menschen exekutiert. Viele Kämpfer ziehen sich in einer syrischen
       Grenzstadt zusammen.
       
   DIR Unterstützung für syrische Rebellen: Obama bittet um 500 Millionen Dollar
       
       Bislang hatte es US-Präsident Obama vermieden, die syrischen Rebellen
       direkt finanziell zu unterstützen. Russland kritisiert die Kehrtwende.
       
   DIR Krise im Irak: Maliki begrüßt Assads Luftschläge
       
       Iraks neu gewähltes Parlament will ab Dienstag eine neue politische Führung
       bilden. Ministerpräsident Maliki bestätigte syrische Angriffe auf eine
       Grenzstadt.
       
   DIR Kampf gegen Isis: Iran liefert Drohnen in den Irak
       
       Ministerpräsident al-Maliki zeigt sich weiter uneinsichtig, wenn es um eine
       Regierung mit Sunniten und Kurden geht. Aus dem Iran treffen Waffen im Land
       ein.
       
   DIR Kampf gegen Isis im Irak: USA warnen vor Eingreifen Syriens
       
       Syrien und der Iran wollen ebenso wie der Westen die Terrormiliz Isis
       stoppen. Doch die USA sehen ein Eingreifen der Nachbarländer kritisch.
       
   DIR Krise im Irak: Keine „nationale Rettung“ in Sicht
       
       Ministerpräsident al-Maliki lehnt eine Einheitsregierung und seinen
       Rücktritt ab. US-Außenminister John Kerry hatte eine Regierungsbildung bis
       zum 1. Juli verkündet.
       
   DIR Krise im Irak: Die USA sind wieder da
       
       US-Militärberater haben ihre Zusammenarbeit mit irakischen
       Sicherheitskräften begonnen. Indes lehnte Ministerpräsident Maliki eine
       Einheitsregierung ab.
       
   DIR Kurdengebiete im Irak: Bagdad verliert den Norden
       
       Nördlich der Städte Tikrit und Kirkuk hat eine neue Zeitrechnung begonnen.
       Hier gibt es nur noch Isistan und Kurdistan.
       
   DIR US-Außenminister im Irak: Kerry droht Isis mit Militärschlägen
       
       Die Dschihadisten im Irak rücken weiter vor. Die größte Ölraffinerie soll
       unter ihrer Kontrolle stehen. Der US-Außenminister spricht mit der Führung
       der Kurden.
       
   DIR Unesco über Kulturerbe im Irak: „Die Zerstörung ist ein Teufelskreis“
       
       Mesopotamien gilt als Wiege der Zivilisation, doch die archäologischen
       Stätten des Irak sind gefährdet. Unesco-Expertin Al Hassan sagt: „Wir
       können nichts tun“.
       
   DIR Nach der Dschihadisten-Offensive im Irak: Letzte Ausfahrt vor Isistan
       
       Die Armee ist geflohen, jetzt stehen sich die Dschihadisten und kurdische
       Peschmerga-Kämpfer vor den Toren Mossuls gegenüber.
       
   DIR Krise im Irak: Niemand will ihn mehr
       
       Der Rückhalt für den irakischen Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki
       schwindet. Doch der 63-Jährige hält an der Macht fest – auf Kosten seines
       Landes.