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       # taz.de -- Debatte Erfolg der Rechten in Frankreich: Alles, nur kein Erdbeben
       
       > Der Erfolg des rechten Front National bei der Europawahl war keine
       > Überraschung. Schon seit 12 Jahren lässt sich sein Aufstieg beobachten.
       
   IMG Bild: Die Linken haben es den beiden Rechten sehr einfach gemacht: Vater und Tochter Le Pen.
       
       Der nationalistische Front National (FN) wurde bei der EU-Wahl in
       Frankreich zur stärksten Partei – genau wie rechte Parteien in
       Großbritannien und Dänemark, die mit 29 beziehungsweise 26,6 Prozent der
       Stimmen zu Wahlsiegern aufstiegen. Das französische Wahlergebnis wurde als
       alarmierend empfunden. Le Monde kommentierte es als „Erdbeben“.
       
       Diese Rhetorik ist irreführend, denn der Sieg des FN unter Marine Le Pen
       ist keine unvorhersehbare Naturkatastrophe. Vielmehr handelt es sich um das
       absehbare Resultat einer Entwicklung, die sich seit zwölf Jahren
       abzeichnet.
       
       Die von Jean-Marie Le Pen, dem Vater der heutigen Parteichefin, 1972
       gegründete Partei gewinnt seither bei Wahlen auf lokaler, regionaler und
       nationaler Ebene Stimmen dazu. Den Durchbruch schaffte Vater Le Pen im
       ersten Wahlgang zu den Präsidentschaftswahlen am 21. April 2002. Er
       überholte mit 4,6 Millionen Stimmen (16,8 Prozent) den sozialistischen
       Kandidaten Lionel Jospin (16,1 Prozent) und warf diesen damit aus dem
       Rennen für den zweiten Wahlgang, den Jacques Chirac mit über 80 Prozent der
       Stimmen gewann.
       
       Auch der Sieg Le Pens über Jospin war kein „Erdbeben“, denn die Linken
       hatten es dem Nationalisten sehr einfach gemacht. Für die Linke
       kandidierten nicht weniger als sechs Bewerber plus Jospin, die zusammen
       zwar mehr Stimmen erhielten als der Konservative Chirac. Aber mit ihrer
       Vielzahl von Kandidaten machte sich die Linke vorab zum Wahlverlierer.
       Bornierte Parteipolitik verhinderte, dass sich Sozialisten,
       Sozialdemokraten, Grüne, Kommunisten, Trotzkisten und andere linksradikale
       Sekten auf einen oder zwei aussichtsreiche Kandidaten einigten, und
       schwächten damit ihr Wahlpotenzial.
       
       Während sich die linken Parteien zerstritten, schöpfte der FN das rechte
       Wählerreservoir aus. 2007 kam der Präsidentschaftskandidat Jean-Marie Le
       Pen nur auf 7,5 Prozent der Stimmen, weil Sarkozy in seiner demagogischen
       Kampagne im rechten Lager Stimmen fischte. Aber Marine Le Pen erzielte fünf
       Jahre später 17,9 Prozent und macht sich jetzt Hoffnungen auf einen Sieg
       2017. Voraussetzung dafür ist eine geringe Wahlbeteiligung, denn hinter dem
       FN steht keine Mehrheit der Franzosen. Bei einer Wahlbeteiligung von 40
       Prozent – wie jetzt bei der EU-Wahl – entsprechen 25 Prozent der
       abgegebenen Stimmen einem Anteil von 10 Prozent aller Franzosen.
       
       ## Die Mitte macht es dem FN leicht
       
       Bei nationalen Parlamentswahlen verschleierte das geltende
       Mehrheitswahlrecht bislang das stetige Wachstum des FN. Mit Absprachen
       zwischen Konservativen und Sozialisten auf Wahlkreisebene konnten diese
       beiden Parteien verhindern, dass sich der Wähleranteil des FN in
       Parlamentssitzen niederschlug.
       
       Sozialisten und Konservative konnten sich so jahrelang bequem zurücklehnen,
       denn in die Nationalversammlung brachte der FN 2012 mit 3,5 Millionen
       Stimmen (13,6 Prozent) ganze zwei Abgeordnete. Das pseudo-demokratische
       Mehrheitswahlrecht war aber auch eine Überlebensversicherung für den FN,
       denn es lieferte ihm die Munition für die Dauerpolemik gegen die
       „Systemparteien“ und ihre Kungeleien.
       
       Es gibt aber außer dem Mehrheitswahlrecht noch andere strukturelle Gründe
       für die Wahlerfolge des FN. Der wichtigste ist die Krise des Parteienwesens
       in Frankreich. Mit Ausnahme der kommunistischen (Parti communiste français,
       PCF) gab es in Frankreich nie eine richtige politische Partei, das heißt
       eine Organisation mit flächendeckenden Strukturen und breiter
       Mitgliedschaft.
       
       Nur in den besten Zeiten Mitterrands gelang es den Sozialisten (Parti
       socialiste, PS) ansatzweise, von einer Beamten- und Lehrerpartei zu einer
       Volkspartei zu werden. Heute sind PCF und PS wieder zu dem geworden, was
       die anderen Parteien immer waren und sind: Wahlvereine ohne strukturellen
       Unterbau aus Sektionen, Ortsvereinen und Zellen.
       
       Französische Parteien bestehen aus Honoratiorenclubs, politischen
       „Familien“ und Strömungen, deren Oberhäupter lokale oder regionale Ämter –
       zum Beispiel als Bürgermeister – erobert haben, die ihre materielle
       Existenz absichern. Ihre politische Existenz hängt davon ab, dass es ihnen
       gelingt, auf nationaler Ebene in der Partei und in den Medien Fuß zu fassen
       und in Paris Geld lockerzumachen für „ihre“ Gemeinde, Stadt oder Region.
       
       ## „Franzosen zuerst“
       
       Die beiden großen Parteien – Konservative und Sozialisten – erwiesen sich
       über Jahre hinweg als unfähig, die sozialen Probleme des Landes auch nur
       anzugehen. Die Arbeitslosigkeit wächst, die Wirtschaft stagniert, die
       Gettobildung in den Vorstädten geht weiter, das Bildungswesen ist in einem
       erbärmlichen Zustand – aber alle Regierungen, ob konservativ oder
       sozialistisch, übten und üben sich in Realitätsverweigerung und Passivität.
       
       In dieses Vakuum drang der FN ein. Er brauchte keine Alternativen
       vorzulegen, denn es genügte, die herrschenden Zustände und Konflikte
       propagandistisch aufzubereiten. Das Programm des FN lässt sich in drei
       Worte fassen: „Les Français d’abord“ („Die Franzosen zuerst“). Aus diesem
       nationalistischen Credo leitet der FN seine plakativen Forderungen ab:
       Paris statt Brüssel, national statt global, Franc statt Euro, Einwanderung
       stoppen, Sozialleistungen für Ausländer kürzen, „gefährliche Ausländer“
       ausweisen.
       
       Der biedersinnige Nationalismus des FN ist jedoch anschlussfähig an den
       „normalen“ Nationalismus der bürgerlichen Konservativen, die im Wahlkampf
       gegen Roma hetzen und „Brüssel“ zum Sündenbock machen.
       
       Völlig abwegig ist es, den FN zur „faschistischen Partei“ (Wolfgang
       Schäuble) zu erklären oder ihm die Schelle „Neofaschismus“ (Jürg Altwegg,
       FAZ) umzuhängen – trotz der periodischen antisemitischen Ausraster von
       Vater Le Pen, dem die Tochter darin nicht folgt.
       
       Der FN ist eine nationalistische Partei alten Stils und mobilisiert mit
       seinen Parolen „la France profonde“: das Frankreich der kleinen Leute in
       Stadt und Land, der Arbeiter, Angestellten, Bauern, Arbeitslosen,
       Krisengeschädigten, Abgehängten. Und die regierenden Honoratiorenclubs in
       der Hauptstadt erstarren in Sprachlosigkeit und Ohnmacht.
       
       23 Jun 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Rudolf Walther
       
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