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       # taz.de -- Personaltableau Europas: Alle haben was abgekriegt
       
       > Eine Lösung in der Personalfrage der EU-Spitzenjobs scheint in Sicht. Wer
       > am Ende das Gesicht wahren kann, ist noch nicht ausgemacht.
       
   IMG Bild: Wirkt getrieben: Angela Merkel
       
       BERLIN taz | Ein wenig beschädigt sehen alle Beteiligten nach den
       Verhandlungen um das Personaltableau der europäischen Spitzenjobs schon
       aus. Doch immerhin scheint am Wochenende eine Lösung auf den Weg gebracht
       worden zu sein, die auf dem EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag eine breite
       Zustimmung finden könnte. Das ist mehr, als man nach dem beinharten
       Widerstand, den Londons Premier David Cameron gegen einen
       EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker geleistet hat, und einer
       zögerlichen Bundeskanzlerin hat erwarten können.
       
       Die schwierigste Personalie, die Besetzung des Posten des
       Kommissionspräsidenten mit Jean-Claude Juncker, ist quasi beschlossene
       Sache. Wenn die Staats- und Regierungschefs am Donnerstag zusammenkommen,
       wird man aber nicht – wie geplant – über diesen Punkt abstimmen. Auf
       Drängen von EU-Ratspräsident Herman van Rompuy wird die inhaltliche und
       personelle Entscheidung auf Freitag in Brüssel verschoben.
       
       Am Donnerstag trifft man sich im westflämischen Ypern zum Gedenken an den
       1. Weltkrieg. Angesichts der hohen britischen Opferzahl in Ypern habe van
       Rompuy jede Verbindung mit einer weiteren britischen Niederlage an diesem
       hoch belasteten Ort vermeiden wollen. Und noch eine weitere Schonung des
       britischen Premiers ist im Gespräch: Auf eine offizielle Abstimmung im
       Kreis der Regierungschefs soll verzichtet und stattdessen lediglich die
       protokollarische Feststellung getroffen werden, dass eine qualifizierte
       Mehrheit für die Nominierung Junckers vorhanden ist. Ob Cameron damit im
       eigenen Land sein Gesicht wahren kann, steht aber dahin.
       
       Ohne Zweifel wird das Europaparlament die Nominierung Junckers und die
       parlamentarische Bestätigung des Luxemburgers als eigenen politischen Sieg
       und als Erfolg der Demokratie feiern, da letztlich ja der europäische
       Wähler das Votum zugunsten von Juncker abgegeben habe. Im wochenlangen
       Machtkampf zwischen dem Europäischen Parlament und dem Europäischen Rat um
       diese Personalie müssen die Staats- und Regierungschefs die eigene
       Schwächung eingestehen. Dies ist nicht zuletzt auch dem Zögern und
       Taktieren von Bundeskanzlerin Merkel zu danken, die zwar nie offiziell auf
       die britische Seite geteilt, aber Juncker auch nur recht widerwillig und
       halbherzig unterstützt hat. Am Ende sah es so aus, als habe sie einlenken
       müssen.
       
       ## Die Lösung kam von den Sozialdemokraten
       
       Eingeleitet worden ist die jüngste Lösungstrategie pikanterweise nicht
       durch die Konservativen in Europa, sondern durch ein sozialdemokratisches
       Manöver. Es war der deutsche SPD-Vorsitzende und Wirtschaftsminister Sigmar
       Gabriel, der die sozialdemokratischen Ambitionen in Europa einerseits
       zügelte, um sie andererseits neu zu begründen. Zuerst brachte Gabriel den
       sozialdemokratischen Spitzenkandidaten Martin Schulz zur Vernunft, indem er
       erklärte, dass die SPD keinen Kommissarsposten anstrebe, sondern sich damit
       zufrieden gebe, dass Schulz mit Unterstützung der Konservativen zum
       Präsidenten des EU-Parlaments gewählt würde. Dann aber formierte er ein
       neues sozialdemokratisches Europa, das sich am Wochenende in Paris
       demonstrativ zurück meldete.
       
       Frankreichs Präsident Francois Hollande, Italiens Premier Matteo Renzi,
       Östereichs Bundeskanzler Werner Faymann und Deutschlands Vizekanzler Sigmar
       Gabriel fordern eine Neuorientierung der europäischen Sparpolitik. Den
       Staaten müsse bei der Einhaltung der Defizitkriterien mehr Zeit und
       Spielraum geboten werden. Damit solle der Schwerpunkt wieder auf Wachstum
       und Beschäftigung gelegt werden, verkündeten die Sozialdemokraten. Die
       Initiative, dass beispielsweise Investitionen nicht auf die Verschuldung
       angerechnet und die Sparziele gestreckt werden, kommt vor allem Italien und
       Frankreich entgegen.
       
       Konservative Finanzpolitiker wie Wolfgang Schäuble haben allerdings schon
       darauf hingewiesen, dass eine solche „Lockerung“ duchaus mit den Regeln des
       Stabilitätspakts vereinbar sei. Auch wenn dieses Thema am Freitag in
       Brüssel nicht entschieden wird, so bleibt es jetzt doch auf dem Tisch. Und
       bei weiteren Verhandlungen um die Nachfolge des EU-Präsidenten van Rompuy,
       der im November ausscheidet, oder der Benennung eines neuen
       Außenbeauftragten der EU wird es Teil der Verhandlung sein.
       
       Eine „Lösung im europäischen Geiste“, wie sie von Merkel wiederholt
       gefordert worden ist, wird sozialdemokratische Wünsche künftig stärker ins
       einbeziehen müssen. Damit scheint sich die Kanzlerin schon abgefunden zu
       haben. Offen freilich ist, welche Kompensation Merkel den Briten und
       namentlich Cameron dafür in Aussicht gestellt hat, damit diese Juncker
       endgültig hinnehmen. Ganz ohne Gegenleistung dürfte das nicht abgehen. Am
       Ende könnte Merkel vor Freund und Feind als Getriebene dastehen, die die
       Fäden nicht mehr in der Hand hält.
       
       22 Jun 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Georg Baltissen
       
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