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       # taz.de -- Was das DFB-Team braucht: Eine Klatsche würde guttun
       
       > Die Deutschen sind fast schon Weltmeister? Wie vor vier Jahren – und dann
       > kam das Aus. Warum eine Niederlage in der Vorrunde wachhält.
       
   IMG Bild: Jetzt braucht es eine Niederlage – sonst droht den Deutschen wieder sowas: Philipp Lahm bei der Halbfinal-Niederlage gegen Italien 2012
       
       SALVADOR taz | Es ist nur eine Gefühlslage. Aber dieses Gefühl besagt: Es
       ist wieder alles möglich für die deutsche Nationalmannschaft. Sie ist im
       Turnier. Das Label „Turniermannschaft“ darf wieder aufs Reisegepäck der
       DFB-Elf gepappt werden. Dieses Label gilt ja gemeinhin als Freifahrtschein
       fürs Halbfinale. Und wer weiß: Vielleicht werden die Deutschen durchgebucht
       bis ins Finale am 13. Juli in Rio.
       
       Viele Dinge, von denen man glaubte, sie seien nur Ausdruck verzweifelten
       Mutmachens und einer gezielten PR-Strategie, scheinen sich tatsächlich zu
       bewahrheiten: Das Quartier Campo Bahia, idyllisch am Atlantikstrand
       gelegen, gefällt den DFB-Jungs und ist praktisch wie nie. Heißt es. Die
       Stimmung in der Mannschaft ist im Vergleich zur Europameisterschaft in
       Polen und der Ukraine dufte, und fußballerisch haben sie mit der neuen
       4-3-3-Formation auch den Stein des Weisen entdeckt. Sagen sie. Die
       Zuversicht hat Konjunktur im deutschen Lager. Es ist kein Pfeifen im Walde
       mehr. Die DFB-Elf wirft sich in die Brust.
       
       Die erste Mission haben sie schon jetzt erfolgreich bewältigt: Den Auguren,
       die den Deutschen einen denkbar schlechten Verlauf der Weltmeisterschaft
       prognostizierten, haben sie mit dem 4:0-Sieg gegen Portugal einen Schlag
       versetzt. Hm, heißt es nun unter den professionellen Weissagern und
       Weitblickern, wer weiß, es könnte ja eventuell doch klappen mit einem
       Durchmarsch der Deutschen.
       
       Das ist das eine. Das andere ist: Das Auftaktspiel gegen den
       Weltranglistenvierten ist nur bedingt aussagekräftig. Alles, wirklich alles
       lief zugunsten des deutschen Teams: Spielverlauf, Chancenverwertung,
       Überzahl und Schwäche des Gegners.
       
       ## Muster ohne Wert
       
       Überspitzt könnte man sagen: Diese Partie ist ein Muster ohne Wert, weil
       sich die deutsche Kickerelite nicht mal anstrengen musste. Sie wurde nicht
       gefordert. Aber genau diesen Test der eigenen Leistungsfähigkeit braucht
       das Team von Bundestrainer Jogi Löw. Eine Härteprüfung. Ein Stahlbad, das
       die Spieler in der Gewissheit verlassen, nun alle Hindernisse leicht
       überwinden zu können. Nehmen wir zum Beispiel die Holländer, die es schon
       zweimal in diesem Turnier geschafft haben, einen Rückstand aufzuholen,
       zuerst gegen Spanien, dann gegen überraschend starke Australier. So etwas
       prägt und macht wach.
       
       Daher muss die Frage erlaubt sein, ob der Glaube der Mannschaft an die
       eigene Stärke nicht fundamental erschüttert werden muss, damit sie danach
       noch besser Fußball spielt und nach 18 Jahren der Dürre endlich mal wieder
       einen Titel gewinnen kann. Ghana könnte die Rolle des Leistungskatalysators
       spielen – so wie im Jahre 2010 Serbien im zweiten Vorrundenspiel den
       DFB-Trupp gelehrt hat, dass das deutsche Spiel keine suprematische
       Konstante ist, sondern eben auch störanfällig und bisweilen wackelig.
       
       Das DFB-Team muss jetzt auf spielstarke, hoch motivierte Teams treffen,
       damit sie vorbereitet sind auf den Ernstfall, der 2012 im EM-Spiel gegen
       Italien eintrat. Damals war Löw berauscht von sich und seinen taktischen
       Möglichkeiten, die sich in der DFB-Auswahl eröffneten – und scheiterte
       kläglich. Weil bis dahin alles zu rund lief. Zu einfach. Zu glatt. Den
       ersten großen Test verpatzte man. Und jetzt? Lässt zumindest die Spielweise
       der Deutschen nichts Gutes erahnen, denn den Trend setzen bei dieser WM
       eher Teams, die körperliche Robustheit mit klassischem Knipsertum vereinen:
       Chile etwa. Fußball darf wieder schmutzig sein, fies und durchtrieben.
       
       ## Wie die Spanier
       
       Götze, Lahm, Müller und Özil sind natürlich fantastische Fußballer. Aber
       das deutsche Spiel ist eine Adaptation ans Spiel der Spanier: leichtfüßig,
       kombinationsfreudig, eher auf Ballbesitz und wenig Körperkontakt ausgelegt.
       Was aus den Spaniern in diesem Turnier geworden ist, weiß man nun. Kann
       sich also die deutsche Mannschaft quasi gegen den Trend des
       Muskelbergfußballs und der Stoßstürmershow durchsetzen? Kann sie einen ganz
       eigenen Trend setzen, der die anabole Anmutung des WM-Kraftfußballs ad
       absurdum führt? Liegt hierin vielleicht das Surplus der DFB-Elf in Bezug
       auf den WM-Titel? Oder ist zu viel Spanien in der deutschen Mannschaft und
       zu wenig Chile?
       
       Löw, der Ästhet, glaubt ja, alles mit einer gewissen Eleganz lösen zu
       können, mit fußballerischer Grandezza. Bisher wurden die Schönspieler beim
       ersten großen Sturm umgepustet. Oder auskombiniert. Wenn Löw sich als
       lernfähig erweist, dann muss er diesmal eine Lösung anbieten. Besteht sie
       darin, vier Innenverteidiger als Glieder der Abwehrkette aufs Feld zu
       schicken, ein Defensivquartett, das sich erst noch finden muss?
       
       Ist es der Weisheit letzter Schluss, auf einen klassischen Stürmer in der
       Startelf zu verzichten? Der Fußball kennt darauf nur eine Antwort: Siege.
       Dann hat der Trainer immer Recht. Aber nur dann.
       
       (Samstag, 21 Uhr, Gruppe G, Ghana – Deutschland, ARD)
       
       21 Jun 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Markus Völker
       
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