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       # taz.de -- Pressefreiheit während der WM: Journalisten leben gefährlich
       
       > Vera Araújo filmte, wie rüde ein Polizist mit einem Fan umging. Als
       > Journalistin tat sie nur ihre Arbeit. Kurz darauf wurde sie verhaftet.
       
   IMG Bild: Die brasilianische Polizei geht mitunter brutal gegen Journalisten vor.
       
       RIO DE JANEIRO taz | Vera Araújo hat ihren schlichten, braunen Schreibtisch
       ganz hinten rechts. Wenn die Journalistin morgens zu ihrem Platz in dem
       lauten Großraumbüro der Tageszeitung O Globo kommt, muss sie zuerst sehr
       weit laufen. Die zwei Stockwerke in der Rua Irineu Marinho 35 hoch, dann
       vorbei an der Sport-, Inlands- und Auslandsredaktion, vorbei am
       Konferenztisch und der Wirtschaftsredaktion. Erst wenn sie die 46
       Arbeitsplätze ihrer Kollegen in der Lokalredaktion von Rio de Janeiro
       passiert hat, ist sie da.
       
       Heute ist sie aber nicht da. Die kleine, schmale Frau mit dem einnehmenden
       Lachen hat frei bekommen. Denn sie muss mal durchatmen, nach dem, was ihr
       passiert ist. Vera Araújo, 46, will am Sonntagnachmittag mit ihrem Handy
       nur filmen, wie rüde ein Polizist mit einem Argentinien-Fan umgeht, der
       zuvor an eine Straßenecke gepinkelt haben soll.
       
       Dann verlangt der Polizist, dass Araújo das Filmen einstellt. Araújo weist
       sich als Journalistin aus, doch der Polizist verpasst ihr Handschellen und
       nimmt sie mit. Begründung: „Widerstand gegen die Staatsgewalt“. Als die
       preisgekrönte Journalistin und Juristin auf der Hinterbank des
       Streifenwagens – gleich neben dem Argentinier – losfährt, lächelt sie noch.
       Später nicht mehr.
       
       Lange fährt der Polizist laut Araújo ziellos mit ihr umher, überlegt
       offenbar, was er nun mit ihr machen soll. Er verbietet ihr, ihre Redaktion
       zu kontaktieren oder die Pressestelle der Polizei. Weil Araújo Expertin für
       Sicherheitsthemen ist, kennt sie dort eigentlich alle wichtigen
       Ansprechpartner. Dann nimmt der Polizist ihr das Handy ab. Das macht Angst.
       Erst nach einer Stunde hat die Irrfahrt ein Ende.
       
       ## Ein Medienimperium im Rücken
       
       Es dauert nicht lange, bis die Rechtsanwälte der vielleicht mächtigsten
       Tageszeitung Brasiliens bei der Polizei vorstellig werden. Araújo hat es
       gut: Mit dem Globo-Konzern hat sie ein Medienimperium im Rücken, das
       schnell dafür sorgen wird, dass der Polizist, dessen Namen die Zeitung
       umgehend veröffentlicht, seine Strafe sicher erhalten wird. Doch der Fall
       zeigt zu Beginn der Fußball-WM wieder auf: Journalisten in Brasilien haben
       auch bei Alltagsangelegenheiten mit allem zu rechnen.
       
       Schon bei den Auftaktprotesten zur WM-Eröffnung waren in São Paulo
       mindestens vier Journalisten verletzt worden, die meisten von ihnen durch
       Polizeimaßnahmen. Es war keine riesige Sache, doch sofort kamen
       Erinnerungen auf an jenen Tag im Februar dieses Jahres, als eine
       Feuerwerksrakete, von Demonstranten gezündet, den 49-jährigen Kameramann
       Santiago Ilídio Andrade am Kopf traf. Er starb vier Tage später. Der
       Vorfall erschütterte das Land. Die Demonstrationen flauten seitdem ab, aber
       die kritische Lage der Journalisten hält an.
       
       Die Brasilianische Vereinigung für investigativen Journalismus ABRAJI hat
       seit den großen Sozialprotesten im Juni 2013 bis zum Frühjahr 2014 allein
       170 Gewalttaten gegen JournalistInnen registriert – laut der
       Journalistenvereinigung geht die Mehrheit der Übergriffe auf das Konto der
       Polizei.
       
       Auch die internationale Journalistenorganisation Reporter ohne Grenzen
       (ROG) schreibt in ihrem Landesbericht zu Brasilien: „Viele der Gewalttaten
       und verbalen Anfeindungen gegen Journalisten in Brasilien gehen von
       Lokalpolitikern und -behörden aus.“ Darin heißt es auch: „Brasilien gehört
       zu den Ländern, in denen seit Jahren immer wieder Journalisten ermordet
       werden, ohne dass es einen Krieg oder Bürgerkrieg gäbe.“
       
       ## Fünf Journalisten ermordet
       
       Laut der Reporterorganisation sind allein im Jahr 2013 fünf Journalisten
       wegen ihrer Arbeit ermordet worden. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty
       International hat daher im WM-Jahr eine eigene Brasilien-Kampagne gestartet
       – und die brasilianische Regierung aufgefordert, sichere Arbeitsbedingungen
       von Journalisten zu garantieren.
       
       In dem Bericht der Organisation heißt es: „Für Amnesty International
       bedeutet die WM einen wichtigen Test, ob Polizei und andere Behörden in
       Brasilien ihre Verpflichtung verstehen und ernst nehmen, das Recht auf
       freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit zu respektieren.“ Vera
       Araújo hat diesen Test auch mal wieder gemacht. Heute bleibt sie lieber zu
       Hause.
       
       Der Autor besuchte einen Monat lang die Redaktion von „O Globo“. Dort war
       es Vera Araújo, die ihn Anfang Mai an die Stelle führte, an der am 6.
       Februar der Kameramann Santiago Ilídio Andrade getötet wurde.
       
       22 Jun 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Martin Kaul
       
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