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       # taz.de -- Die Konkurrenz am Strand: Ufer der Glückseligkeit
       
       > Wellness am Strand: Die italienischen Seebäder überbieten sich mit
       > Gratis-Wohlfühlkursen, Weinproben, Ökoduschen und Partnersuche.
       
   IMG Bild: Die Konkurrenz ist groß am Strand von Rimini.
       
       Mit Hingabe kneten die Leute ihre großen Zehen. Über dem kleinen Zeltdach,
       wo die Fußreflexzonen-Massage stattfindet, glüht die italienische Sonne.
       Schweißperlen tropfen auf die bunten Matten am Strand, während die
       Kursteilnehmer sich zu den Stimulationspunkten für Pankreas und Magen
       vorarbeiten. Zur selben Zeit schwitzen 100 Meter weiter ein Dutzend Männer
       und Frauen beim Yoga. Wellness macht sich breit an der Küste von Rimini.
       
       Den meisten Erfolg versprechen sie sich von dem Programm „Spiagge del
       Benessere“ (Wellness am Strand). In der Sommersaison 2014 wollen mehr als
       50 Strandbäder Pilates, Tai-Chi, Chigong oder Shiatsu anbieten. Richtig
       exotisch wird es bei „Indischen Nächten“ und „Vollmond-Meditationen“.
       
       Es gibt einen eigenen Dachverband, der alles organisiert und seine
       Fachübungsleiter vormittags und abends in den Sand schickt, um Urlaubern zu
       zeigen, wie sie sich beim Yoga entspannen oder per Reflexzonen-Stimulation
       die Verdauungsschwierigkeiten wegmassieren können. Bis auf wenige
       Ausnahmen, etwa Rückenmassagen zum Sonnenaufgang oder speziellen
       Bootsausflügen, ist das Angebot für die Gäste der Strandbäder kostenlos.
       
       Um zu verstehen, warum sich die Betreiber so viel von solchen Aktionen
       erhoffen, muss man wissen, wie Strandbäder in Rimini funktionieren. Sie
       sind nicht bloß einfache Badeanstalten, in denen man ab 16 Euro am Tag zwei
       Liegen und einen dringend notwendigen Sonnenschirm mieten kann.
       
       Sie sind ein eigener, spezieller Kosmos, Treffpunkt für Familienmitglieder
       und Nachbarn. Lebensmittelpunkt im Sommer, wenn es so heiß wird, dass man
       am liebsten Tag und Nacht in einer Badewanne voller Eiswürfel liegen
       wollte. Im Strandbad steigen Grillfeste, und der „Bagnino“, so lautet der
       niedliche Begriff für den Bademeister, der einen Strandabschnitt vom Staat
       pachtet und das Geschäft betreibt, lädt zur Weinverkostung in den späten
       Abendstunden.
       
       Mehr als 250 dieser durchorganisierten Strandbäder gibt es an der gut 15
       Kilometer langen Küste von Rimini. Wer die freien Strände zählt, auf denen
       man sich einfach mit seinem Handtuch und der Kühlbox niederlassen darf,
       kommt gerade mal auf sieben. Aber die Geschäfte laufen schon lange nicht
       mehr so gut. Und das Image von Rimini ist im Eimer.
       
       ## Umkleidekabinen vom Designer
       
       „Die vielen Sauftouristen tun uns nicht gut“, sagt Stefano Lippi, der Bagno
       numero 70 betreibt. Er hat seinen Strandabschnitt kräftig umgekrempelt, für
       die Wellness-Fraktion einen Pavillon aufgestellt und mit Teppichen
       ausgelegt. Seine Gäste können auf Fitnessgeräten radeln und Gymnastikbälle
       ausleihen.
       
       Trotzdem blickt er neidisch auf seinen Kollegen Luca Casadei, der seinen
       Strand nebenan mit der Hilfe von drei Architekten in ein Anwesen mit
       Designer-Umkleiden verwandelt hat. Die Solarpanels auf dem Dach liefern
       Strom, um die Kabinen zu erhellen, eine Filteranlage fürs Wasser rundet das
       Ökoprojekt ab.
       
       „Wir müssen investieren, damit die Leute auch in Zukunft gerne zu uns
       kommen“, sagt Casadei. Sein Bagno ist ein Pilotprojekt. Die
       Schönheitsoperation für Casadeis Strandabschnitt hat 250.000 Euro gekostet.
       Aber das hat nicht jeder im Kreuz, zumal über den Bagnino ein böser Geier
       kreist, der bald seine Krallen ausfahren könnte: Die EU strebt ein
       Ausschreibungsverfahren an, sodass die Strandabschnitte auf den freien
       Markt kommen und sich jedermann bewerben kann.
       
       ## Strandbad mit Rentengarantie
       
       Bisher haben die Strandbäder noch eine eingebaute Rentengarantie und werden
       seit Jahrzehnten von derselben Familie betrieben. Die Väter haben das
       Pachtrecht auf ihre Söhne übertragen. Die Kommune hat sich nicht groß
       eingemischt, sondern nur die Miete kassiert.
       
       Weil einige nun befürchten, sie würden ihr Geld in den Sand setzen, hat ein
       kreativer Wettbewerb begonnen. Eines der schönsten Beispiele ist „Spiagge
       delle Donne“ (Strand der Frauen), der seit 65 Jahren in weiblicher Hand
       ist: Badegäste, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln anreisen, erhalten als
       Ökobelohnung Energiesparlampen fürs heimische Wohnzimmer. Singles können
       sich ein Bändchen holen, um zu signalisieren, dass sie auf Partnersuche
       sind.
       
       Höhepunkt ist der wöchentliche Piadina-Kochkurs, bei dem die Gäste
       gemeinsam Fladenbrot auf den Tisch zu zaubern. Dazu gibt es Käse und Wein
       und romagnolische Schnulzen, die die Entspannungsmusik aus dem benachbarten
       Bagno übertönen. Nebenan sitzt nämlich eine Gruppe unter dem Sonnensegel
       und knetet eifrig die Füße.
       
       22 Jun 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Schreiber
       
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