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       # taz.de -- Nationalsozialist im Dortmunder Stadtrat: SS-Siggis erster Arbeitstag
       
       > Früher saß Siegfried Borchardt im Knast, nun sitzt er für „Die Rechte“ im
       > Stadtrat. Einen Verbündeten hat er schon gefunden.
       
   IMG Bild: Mit Totenkopf im Stadtrat: Siegfried Borchardt
       
       DORTMUND taz | Das Dortmunder Rathaus hat sich gerüstet. Massive
       Polizeipräsenz an allen Seiten, an den Eingängen kontrollieren eigens
       angeheuerte Sicherheitskräfte. Ohne Zugangsberechtigung kommt hier heute
       niemand herein. Die Gerüste und die Absperrungen für das Public Viewing zur
       WM wirken wie der Teil eines Schutzwalls. Die Leute von der Stadt, von der
       Pressestelle und die Security wirken hypernervös.
       
       „Hoffentlich geht alles gut“, sagt ein städtischer Mitarbeiter mit höchster
       Anspannung in der Stimme. Heute konstituiert sich der im Mai gewählte neue
       Dortmunder Stadtrat. Zum ersten Mal mit dabei: Siegfried Borchardt, genannt
       „SS-Siggi“.
       
       Borchardt ist überzeugter Nationalsozialist. Den Spitznamen mag der
       60-Jährige nicht. „SA-Siggi“ würde ihm besser gefallen. Der Mann, der
       aussieht wie Hulk Hogan mit Bierbauch, kann auf eine lange wie einschlägige
       Karriere zurückblicken. Sie begann mit der Gründung der militanten
       Hooligantruppe „Borussenfront“ Anfang der achtziger Jahre. Er war
       Kameradschaftsführer der Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale
       Aktivisten (ANS/NA), Kreisleiter im Komitee Adolf Hitler (KAH) und
       stellvertretender Bundesvorsitzender der 1995 verbotenen Freiheitlichen
       Deutschen Arbeiterpartei (FAP).
       
       Wegen diverser Delikte, darunter gefährliche Körperverletzung, saß SS-Siggi
       mehrere Jahre im Knast. Jetzt sitzt er im Stadtrat. Bei der Kommunalwahl im
       Mai kandidierte Borchardt als Spitzenkandidat für „Die Rechte“. Die
       neonazistische Partei, personell weitgehend identisch mit dem 2012
       verbotenen „Nationalen Widerstand Dortmund“ (NWDO), erhielt 2.101
       WählerInnenstimmen. Das reichte für ein Mandat.
       
       Am Tag der konstituierenden Sitzung ist das Rathaus für normale BürgerInnen
       zu. „Geschlossene Gesellschaft“ steht am Haupteingang. Ohne
       Zugangsberechtigung kommt niemand zu der Veranstaltung „Vielfalt, Toleranz
       und Demokratie“, die die gleichnamige Koordinierungsstelle organisiert hat.
       So drückt die Stadtspitze ihr Bedauern aus, dass ab heute ein echter Nazi
       im Rat sitzt.
       
       ## Unterschriften für ein Parteiverbot
       
       Im Foyer stehen Stände, einer von der VVN. Gaby Brenner und ihre
       MitstreiterInnen sammeln Unterschriften für ein Verbot der Partei „Die
       Rechte“. Es freut sie, dass die Stadt endlich Flagge zeigt. „Ein bisschen
       spät“, sagt Brenner. „Aber ich bin froh, dass die Stadt jetzt wenigstens
       was macht.“
       
       Draußen treffen DemonstrantInnen ein. Das Bündnis gegen Rechts, dem der
       DGB, viele Parteien, Wohlfahrtsverbände und Kirchen angehören, hat zum
       Flashmob auf dem Friedensplatz direkt vor dem Rathaus aufgerufen. Unter den
       Demonstranten ist Sabine Fleiter von der evangelischen
       Studierendengemeinde. Die Pädagogin war am Wahlabend im Rathaus, als die
       Neonazis überfallartig anrückten.
       
       „Wir haben die Rechten schon von weitem gehört“, berichtet Fleiter. Mit
       Parolen wie „Deutschland den Deutschen“ versuchten mehr als zwei Dutzend
       militante Rechte sich Zugang zu der städtischen Wahlparty zu verschaffen.
       
       ## Faustschlag gegen Abgeordnete
       
       Mit Fäusten und Pfefferspray attackierten sie die Menschenkette, die sich
       ihnen in den Weg gestellt hatte. Mit einem gezielten Faustschlag wurde die
       grüne Landtagsabgeordnete Daniela Schneckenburger niedergestreckt.
       Christian Gebel von der Piratenpartei, gerade frisch in den Rat gewählt,
       wurde durch einen Flaschenwurf am Kopf verletzt. Unter Polizeibegleitung
       zogen die Rechten schließlich ab.
       
       Der Sturm auf das Rathaus am Wahlabend hat bundesweit für Entsetzen
       gesorgt. Gegen 27 Neonazis laufen nun Ermittlungen wegen des Verdachts der
       Volksverhetzung, des Landfriedensbruchs, Beleidigung, gefährlicher
       Körperverletzung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Die
       Rechtsdezernentin der Stadt verhänge rund 30 Hausverbote für das Rathaus
       und andere Gebäude.
       
       Einige hundert Leute sind an diesem Mittwoch auf den Friedensplatz
       gekommen. Fast alle haben Plakate in der Hand. Auf ihnen ist das
       Stadtschild von Dortmund zu sehen: „Dortmund hat keinen Platz für
       Rechtsextremismus“ steht darauf. Auf ein Signal halten es alle gleichzeitig
       in die Höhe. Ein imposantes Bild, auch weil im Hintergrund an den Räumen
       des Wohlfahrtsverbands Der Paritätische ein riesiges Plakat mit dem
       gleichen Motiv hängt.
       
       Unbemerkt von den Leuten auf dem Platz kommt Borchardt um kurz nach halb
       drei schnellen Schrittes über einen Seiteneingang ins Rathaus. Dort stehen
       selbst in den Aufzügen Securitymitarbeiter. SS-Siggi nimmt auf seinem Platz
       in der letzten Reihe ziemlich in der Mitte Platz. Kameras richten sich auf
       ihn, ein WDR-Reporter macht ein Interview.
       
       ## Besuch vom NPD-Vertreter
       
       Borchardt bleibt bis zu Beginn der Sitzung keine Sekunde unbeobachtet. Er
       blättert in den Papieren, die vor ihm liegen. Ab und zu kommt Axel Thieme,
       der NPD-Vertreter im Rat, und spricht mit ihm. Thieme hat einen Anzug und
       eine Krawatte an. Er sitzt weit weg von Borchardt am rechten Rand des
       Plenarsaals.
       
       Der Presseandrang ist enorm, die Mitarbeiter der Pressestelle wirken
       gestresst. Sogar die Korrespondentin der New York Times hat sich
       angemeldet. Punkt 15 Uhr eröffnet Oberbürgermeister Ullrich Sierau (SPD)
       die Sitzung. Regularien stehen an, die Tagesordnung. Borchardt schiebt
       seine Papiere hin und her, schreibt etwas. Bei der ersten Abstimmung über
       die Tagesordnung bleiben seine Arme unten. Es wirkt, als hätte er nicht
       richtig mitbekommen, worum es geht – als würde es hier ein bisschen zu
       schnell für ihn zugehen.
       
       Dann geht es um die Sitzungsordnung. Thieme beantragt, dass er mit dem
       Vertreter der „Rechten“ zusammen sitzen kann. „Am besten vor der Tür“,
       kommentiert OB Sierau (SPD) süffisant das Ansinnen. Nur der NPD-Ratsherr
       und Borchardt stimmen für den Antrag. Als Thieme sich in einem kurzen
       Redebeitrag über 1.000 zerstörte Plakate seiner Partei und den angeblich
       herrschenden „Gesinnungsterror“ beklagt, klatscht Borchardt als einziger.
       
       ## Feierabend nach 45 Minuten
       
       Viel hat der Rat heute nicht zu tun. Eine ganze Reihe von
       Tagesordnungspunkten wird vertagt. Nach einer Dreiviertelstunde ist die mit
       Hochspannung erwartete erste Ratssitzung in Dortmund vorbei. Es ist 15.47
       Uhr. Wieder kommt NPD-Mann Thieme zu Borchardt, die beiden verlassen
       gemeinsam den Saal. Beim Verlassen des Rathauses nimmt SS-Siggi wieder den
       Seiteneingang. Er hätte auch durchs Haupttor gehen können, die
       DemonstrantInnen sind längst weg.
       
       Aber viele Polizisten sind noch da. Sie haben ein Auge auf das Dutzend sehr
       junger Anhänger, die draußen auf Borchardt gewartet haben, weil auf der
       Zuschauertribüne keinen Platz mehr für die war: Die demokratischen Parteien
       hatten dafür gesorgt, dass die Empore frühzeitig komplett besetzt war. Bei
       seinen Kameraden hält sich Borchardt nicht lange auf. Seine beiden
       Begleiter drängen zum Aufbruch. Die drei Neonazis marschieren in aller Ruhe
       in Richtung Friedensplatz zur Tiefgarage. Die nächste Ratssitzung findet am
       3. Juli statt.
       
       18 Jun 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anja Krüger
   DIR Pascal Beucker
       
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