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       # taz.de -- Gelebte Inklusion: Das Supertrio
       
       > Der Bremer Film „Apostel & Partner“ wurde von Menschen mit und ohne
       > Behinderung gemacht. Entstanden ist ein schräger Krimi mit
       > eindrucksvollen Figuren.
       
   IMG Bild: Die Detektive im inklusiven Krimi "Apostel & Partner": Jochen Lamprecht (vorn), Isabel Gersiek (Mitte) und Thomas Kalin (hinten).
       
       BREMEN taz | Jeder Mensch soll sich gleichberechtigt an allen
       gesellschaftlichen Prozessen beteiligen können. Das ist das Ziel der
       Initiativen für Inklusion und es gilt natürlich auch für künstlerische
       Arbeiten. Inzwischen gibt es Theatergruppen, Chöre und Bands, in denen
       Menschen mit und ohne körperliche Behinderungen und psychische Erkrankungen
       zusammenarbeiten. Und es gibt Filmteams: Der Bremer Spielfilm „Apostel &
       Partner“ ist streng nach inklusiven Prinzipien produziert worden.
       
       Der Dozent für Behindertenpädagogik und Medien, Jürgen J. Köster, macht
       schon seit den frühen 1980er-Jahren integrative Filmarbeit, zum Beispiel
       mit den Patienten einer Kinder- und Jugendpsychiatrie. Dabei entstand eine
       Reihe von Kurz- und Dokumentarfilmen mit Titeln wie „Ich bin versengt
       ...?“, „Aufgetaucht“ oder „Ich küsse den Vermieter“. Sein Prinzip besteht
       darin, dass Inhalt und Form der Filme von den Gruppen erarbeitet werden.
       Man kann Köster also kaum als „Autor“ oder „Regisseur“ bezeichnen,
       „Gesamtkoordinator“ ist da die passendere Bezeichnung.
       
       Für sein bisher ehrgeizigstes Projekt versammelte er eine Reihe von
       filmbegeisterten Laien um sich, die zuerst das Drehbuch entwickelten.
       Sieben AutorInnen haben drei Jahre lang daran geschrieben, darunter auch
       die drei späteren Hauptdarsteller Jochen Lamprecht, Isabel Gersiek und
       Oliver Kurschat. Sie konnten viel von ihren Erfahrungen mit psychischen
       Erkrankungen einfließen lassen, denn inklusiv ist nicht nur das
       Herstellungsprinzip, Inklusion ist auch das Thema des Films.
       
       In „Apostel & Partner“ wird eine Detektivgeschichte erzählt: Ein
       geheimnisvoller Fremder hat in seinem Testament die Protagonisten Anna,
       Nils-Peter und Johannes als seine Erben eingesetzt, allerdings unter der
       Bedingung, dass sie als Team den Skandal um ein Pflegeheim aufdecken. Es
       geht um einen Pharma-Konzern, der jeden Raum der Klinik mit Kameras
       überwachen und an den Patienten Medikamente ausprobieren lässt.
       
       Alle drei haben psychische Probleme wie Angstzustände, psychotische Schübe
       oder Spielsucht und können sich nicht denken, warum gerade sie für diese
       Aufgabe ausgesucht wurden. Doch im Laufe der Ermittlungen zeigt sich, dass
       sich gerade ihre speziellen Weltsichten als hilfreich erweisen.
       
       „Was wir brauchen, sind ein paar verrückte Leute. Seht euch an, wohin uns
       die normalen gebracht haben.“ Dieses Zitat von Georg Bernard Shaw ist das
       Motto des Films, der zwar etwas holprig erzählt ist, was man bei sieben
       nicht professionellen AutorInnen auch kaum anders erwarten kann, aber durch
       den Krimiplot durchaus Dramatik entwickelt.
       
       ## Erstaunlich authentisch
       
       Viel wichtiger als der Plot ist, dass die Darsteller sich spielerisch mit
       ihren Schwächen und Problemen auseinandersetzen. Sie wirken erstaunlich
       authentisch, obwohl man natürlich bei jeder Einstellung merkt, dass sie
       keine professionellen Schauspieler sind: Isabel Gersiek hat lange in einer
       Flugschule gearbeitet und dann Angststörungen entwickelt. Im Film trägt sie
       ständig eine Pilotenkappe mit Mikro und einer ihrer großen Auftritte ist
       eine Panikattacke. Jochen Lamprecht wiederum leidet unter Psychosen und
       spielt einen Mann, der sich für einen Apostel hält. Ständig erkennen ihn
       Leute als einen Zuhälter, doch er hat keinerlei Erinnerung an sein früheres
       Leben.
       
       Man merkt, wie viel Mühe in die Ausformung der Figuren geflossen ist und
       dass die Darsteller nur wenig schauspielern müssen, um ihre Figuren
       lebendig wirken zu lassen. Ein schönes Beispiel für diese Methode ist
       Burhan Sözer, der einen immer finster dreinblickenden Mafioso spielt. Im
       „Making of“ des Films mit dem programmatischen Titel „Meine, Deine, Unsere
       Welt!“ erzählt er, dass er oft mit einer depressiven Stimmung zu den
       Dreharbeiten kam und sich selber so überhaupt nicht mochte. Aber für die
       Rolle waren seine bösen Blicke perfekt.
       
       Auch bei den Nebenrollen ein paar ironische Spiegelungen. So beschatten
       zwei Blinde die Helden und die Pfleger im Heim werden deutlich erkennbar
       von Patienten gespielt.
       
       Wichtiger als die erzählerische Plausibilität war dem Team, dass jeder
       Mitspieler sich in seiner Rolle ausleben konnte. Wenn einer von ihnen etwas
       nicht spielen wollte oder konnte, wurde oft noch am Set die Szene geändert
       und wenn ein Mitspieler so aufgeregt war, dass er den Text vergessen hatte,
       wurde nicht, wie sonst üblich, solange wiederholt, bis die Szene im Kasten
       war, sondern man drehte etwas anderes.
       
       ## So vielfältig wie möglich
       
       Die Besetzung ist so vielfältig wie möglich. Eine der Hauptpersonen spricht
       mit einem schweren französischen Akzent, eine andere hat sichtbar
       asiatische Wurzeln. Beides muss nicht umständlich erklärt werden, sondern
       wird als selbstverständlich präsentiert. Und es gibt einen kleinen, dafür
       aber sehr ironischen Auftritt von Peter Behrens, dem Schlagzeuger der Band
       Trio, der bei Trio immer stumm blieb, hier aber den Satz „Das ist ein
       Supertrio!“ von sich gibt.
       
       Im Grunde ist bei diesem Film der Produktionsprozess wichtiger als das
       Ergebnis. Jahrelang hat das Kollektiv gemeinsam an diesem Projekt
       gearbeitet. Abgesehen von einigen technisch anspruchsvollen Gewerken wie
       Kamera, Ton und Schnitt haben Laien sich langsam die handwerklichen und
       schauspielerischen Fähigkeiten angeeignet. Die meisten haben dies als eine
       sinnvolle, schöpferische Tätigkeit erlebt, bei der sie Anerkennung und
       Kollegialität erfuhren. Kein Wunder also, dass eine der Darstellerinnen
       nach Drehschluss in ein tiefes Loch fiel und sich in die Psychiatrie
       einweisen ließ.
       
       ## “Apostel & Partner“: 19. 6., 18 Uhr, City 46, Bremen; der
       Gesamtkoordinator Jürgen J. Köster ist anwesend
       
       19 Jun 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Wilfried Hippen
       
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