URI: 
       # taz.de -- Londoner Club „Slimelight“: Dämonen im Dämmerlicht
       
       > Das „Slimelight“ trotzt der hippen Londoner Clubszene seit 30 Jahren.
       > Hier vergnügt sich die Gothicszene in der zweiten Generation. Ein
       > Augenschein.
       
   IMG Bild: Tagsüber wird hier mit Schrott gehandelt – nachts wird Gothik oder Darkwave gespielt.
       
       Den meisten Ortsansässigen im Londoner Stadtviertel Angel, das zum Bezirk
       Islington gehört, sind diese seltsamen Frauen und Männer schon mal
       begegnet. Mit ihrem dick aufgetragenem Make-up unter den roten müden Augen,
       den turmhoch aufgeföhnten Haaren und kunstvoll geflochtenen Extensions, den
       einheitlichen schwarzen Klamotten und Nietenschwärmen und plateauhohen
       Stiefeln, schauen sie leicht jenseitig aus. Liefe ein Film, dann hätte man
       es mit Dämonen, Vampiren oder Teufeln zu tun. Aber wir sind in der
       Wirklichkeit und diese Gestalten sitzen völlig übermüdet, aber zufrieden
       lächelnd Sonntagmorgens gegen 7 Uhr friedlich in den Straßencafés der Upper
       Street. Seit 26 Jahren ist es das gleiche Bild.
       
       Es sind die letzen Übriggebliebenen einer langen Nacht im Slimelight.
       
       Slimelight, so heißt der bekannteste Gothic-Club Großbritanniens. Während
       sich die Clubszene Londons fast täglich ändert, gibt es das Slimelight
       inzwischen in der zweiten Generation. Seine Geschichte lässt sich unter dem
       alten Namen Kitkat sogar bis in die frühen Achtziger zurückverfolgen.
       
       „Manche, die früher hierher kamen, und bei denen dann irgendwann Arbeit und
       Familie ins Zentrum des Lebens rutschten, sind nach 20 Jahren wieder
       aufgetaucht und bringen ihre inzwischen erwachsenen Kinder mit“, erzählt
       Mayuan Mak, der Manager und Teilhaber des Clubs.
       
       Der Soziologe Paul Hodkinson, der seine Dissertation über die Gothicszene
       geschrieben hat, bezeichnet das Slimelight als Aushängeschild der Szene.
       Als Club für Gothic und Darkwave, mit Überschneidungen zu Death-Metal
       könnte der Club gar nicht verführerischer aussehen. Das Wort Metal gilt
       hier nämlich sprichwörtlich. Es prangt schon an einer der Außenwände, an
       der in großen Lettern „Non Ferrous Metal Merchant (Handel mit
       nichteisenhaltigem Altmetall)“ steht.
       
       ## Altmetall bringt den Cashflow
       
       Und tatsächlich, in einer Ecke des Clubgeländes ist tagsüber ein
       Schrotthandel untergebracht, der einzige in der Gegend. Der Schrott vom
       Tage unterstützt so die Nächte im Club, nicht nur finanziell: „Alles
       Möbeldesign, was in unserem Club steht, wurde aus dem Schrott hergestellt“,
       erklärt Mak und lacht.
       
       Der schlanke Mann in dem ärmellosen schlichten schwarzen T-Shirt und seiner
       schwarzen Jeans mit dem enormen Schlüsselbund gibt sich bescheiden. Doch
       Mayuan Maks Karriere ist in ihrer unkonventionellen Art einer der größten
       Erfolgsgeschichte der britischen Clubszene überhaupt. Als 19-Jähriger
       versuchte Mak 1987, den Kitkat-Club, damals noch in Westbourne Grove, im
       Londoner Westen gelegen – zusammen mit der benachbarten Portobello Road,
       einer der Szeneorte jener Jahre – am Leben zu erhalten, als dessen Manager
       sich mit dem Inhaber in den Haaren hatte.
       
       Mit einer gebrauchten Anlage ließ Mak den Kitkat-Club weiterlaufen. Trotz
       anfänglicher Erfolge wurde das Gebäude, in dem der Club untergebracht war,
       bald verkauft. Unter dem neuen Namen Slimelight – eine Parodie auf die
       schicke Diskothek Limelight – zog man quer durch London. Mak veranstaltete
       etwa Events in der libyschen Botschaft und in einer verlassenen Kirche in
       Holborn. Ende 1987 bezog das Slimelight schließlich den obersten Stock der
       Torrens Street 7 in Angel, in einem dreistöckigen alten Pferdestall aus dem
       späten 19. Jahrhundert.
       
       Einst wurden dort die Pferde der Taxidroschken beherbergt, bis der Stall
       1925 in eine metallverarbeitende Fabrik umgebaut wurde. Über die Jahre
       ergatterten Mak und seine Teilhaberin Dette zwei weitere Etagen des
       Gebäudes und der Club vergrößerte sich. Auf seine anhaltende Popularität
       angesprochen urteilt Mak, dass Gothic oder Darkwave als Musikgenre von
       vielen jungen Fans falsch interpretiert wird: „Sie glauben, dass wir in den
       Achtzigern nur seltsame B-Seiten von Sisters of Mercy und Siouxsie and the
       Banshees aufgelegt hätten. Vollkommen falsch“, sagt Mak. „Wir hörten alles
       durcheinander, auch heute läuft hier mal ein Song von Blondie oder
       psychedelische Musik im Set, wenn uns danach ist.“
       
       ## Für alle Anlässe
       
       Trotz seiner zentralen Lage, ganz auf sich allein gestellt hätte das
       Slimelight kaum überleben können. Nicht nur mit dem Altmetallhandel hält
       sich der Club über Wasser; auch auf anderen Ebenen ist man flexibel: Zwar
       lassen Mak und Dette jeden Samstag in einer der Hallen „echten Gothic“
       auflegen. Aber auf den anderen Dancefloors gibt es Clubnächte für andere
       Crowds. „Auch die Gothic-Heads tanzen nun mal gerne zu Acid-House. Nur
       wollen sie eben nicht, dass es in ’ihrer Gothic-Halle‘ gespielt wird“.
       Daneben laufen Spezialnächte wie „Voodoo Rock“, oder „Hard House“ und eine
       Transgender-Industrial-Nacht, außerdem werden die Räumlichkeiten auch für
       Hochzeiten und Konzerte vermietet.
       
       Vor sechs Jahren ließ der italienische Kunstfonds den „Double Club“
       errichten, einen temporären mehrstöckigen Club mit kongolesischer Bar und
       Restaurant. Viele der damals ausgeführten Umbauten bestehen noch.
       Zusätzlich wartet ein alter rot-weißer Londoner U-Bahn-Waggon mit
       integrierte Bar, auf eine imaginäre Fahrt Richtung Upminster. Wichtig sei,
       sagt Mayuan Mak, nicht das Geld, sondern „die Gäste, die immer wieder
       fragen, ob es noch mal so eine Nacht, wie die Letzte geben könne! Bei uns
       geht es um Liebe zur Musik, die entgegen herkömmlicher Geschäftsmodelle
       existiert!“
       
       ## Knutschen und Kontrollverlust
       
       Im hellen, von der lauten Musik abgeschirmten Chill-out-Room spielen nun,
       es ist zwei Uhr morgens, die Gothics in Leder, Latex, Maskara und hohen
       Stiefeln Tischfußball. Andere reden miteinander, ein Pärchen knutscht an
       einer Ecke des ausrangierten U-Bahn-Waggons, während zwei ältere Rocker
       Marke Kontrollverlust etwas fußlahm durch die Gegend stolzieren.
       
       Hier steht auch Demon, der extra aus dem 100 Kilometer entfernten
       Portsmouth in die Hauptstadt gepilgert ist. Wo er zu Hause ist, gibt es
       Gothic nur noch als Teil einer Industrial-Subkultur, bedauert er. „Das
       Slimelight ist deshalb äußerst wichtig!“, sagt der 44-Jährige, der einen
       Teil seinen vorderen Haarsträhnen zwischen seinem rechten Auge und seiner
       Brille gesteckt hat, vielleicht weil es so abartiger aussieht. Russ, der
       neben ihm in einer Jacke mit gigantischen Killernieten steht, fasst Demons
       Aussehen in einem Satz zusammen: „We are all freaks in our own way here!“
       
       Dann fügt Demon mit heiligem Ernst hinzu: „Wenn das Slimelight tot ist,
       stirbt Gothic auch!“
       
       Nicht weit von ihm sitzen Lisa, 27, und Nadia, 25. Nadia mit langen
       türkisfarbenen in ihr Haar geflochtene Extensions und Silberperlen im
       Gesicht stimmt Demon zu: „Der Club bedeutet alles für mich! Ich habe hier
       sogar meine große Liebe kennengelernt!“ Auch Calum Gray aka „Jo the
       Waiter“, einer der DJs, die im Slimelight auflegen, hält den Club für ein
       ganz besonderes Refugium. „Ich habe schon in vielen Ländern aufgelegt, auch
       in Deutschland“, sagt er stolz, „aber dort ist die Szene viel anonymer. Im
       Slimelight ist die Atmosphäre richtig familiär, selbst Fremde begegnen sich
       freundlich, das gibt es nirgendwo sonst!“
       
       ## Wie eine Ersatzfamilie
       
       Eine Zigarette bei der Außenabsperrung im Freien rauchend, erzählt Panda,
       schon seit 24 Jahren Stammgast, dass sie und die anderen Älteren inzwischen
       auf die Jüngeren aufpassen, „weil die Kurzen ihre Grenzen noch nicht
       kennen. Wie in einer Ersatzfamilie“, beschreibt sie dieses Miteinander. Es
       ist inzwischen drei Uhr morgens, im Trockeneisnebel, vor dem mit Seilen und
       Netzen flankierten DJ-Pult, im Licht der Scheinwerfer, flattern
       viktorianisch gekleidete Gestalten rhythmisch-verloren wie Fledermäuse zur
       düsteren Musik.
       
       Trotz der vielen falschen Zombiekontaktlinsen und den der Fetischszene
       entnommenen S&M-Accessoires, herrscht eine gemütliche Anmutung. Im
       Gegensatz zu den Angeberläden und Fleischmärkten andernorts in London, ist
       das Slimelight eine Mischung aus Nostalgie, Theater, Popmusik und
       Geselligkeit.
       
       Bis in die frühen Morgenstunden werden die Rocker, Punks und Vampire sich
       hier amüsieren, genau wie vor 30 Jahren. Besonders war schon zu Zeiten als
       der Club noch Kitkat hieß, dass die Musik auf der Tanzfläche bis mindestens
       um 7 Uhr erklingt, und damit die Heimreise mit der Londoner U-Bahn
       ermöglicht.
       
       Auch Paul Hodkinson erinnert sich, wie er vor etwa 15 Jahren ab vier Uhr in
       einem semi-vegetativen Zustand im Slimelight zubrachte, bis es schließlich
       Zeit war, mit dem Morgenzug in seine Heimatstadt Birmingham zurückzufahren,
       die etwa 200 km nördlich liegt. „Da versuchte ich, mich gegenüber all den
       ausgeschlafenen Sonntagmorgen-Menschen im Zug unsichtbar zu machen.“
       
       Gothics leben eben nur im Dunkeln richtig auf. Mindestens einmal in der
       Woche, jeden Samstag, pilgern sie deshalb aus ihren Geheimverstecken nach
       Angel in London, im Dämmerlicht des Schleimes.
       
       16 Jun 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Daniel Zylbersztajn
       
       ## TAGS
       
   DIR London
   DIR Club
   DIR Gothic
   DIR Innenarchitektur
   DIR Pop
   DIR London
   DIR China
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Buch über Möbeldesigner: Form follows humour
       
       Endlich gibt es eine Monografie über Susi und Ueli Berger. Sie entwerfen
       Möbelklassiker, die keine falsche Ehrfurcht auslösen.
       
   DIR Debütalbum von „Drangsal“: Ein Disco-Wolpertinger
       
       Auf seinem Debütalbum „Harieschaim“ huldigt Drangsal dem Sound der
       80er-Postpunk-Jahre und spielt dabei in einer Liga mit alten Helden.
       
   DIR Labeljubiläum von Hyperdub: Aufwachen zum Future Shock
       
       Sozialer Zusammenhang und ästhetisches Projekt: Hyperdub veröffentlicht nur
       Platten von Freunden und wird so zum besten Label der Welt.
       
   DIR Shanzai meets Pop: Frisch aus der Szechuan-Küche
       
       Was für ein Debüt: „Asiatisch“, das Konzeptalbum der kuwaitischen
       Künstlerin Fatima Al Qadiri, beschäftigt sich mit China als westlicher
       Vorstellungswelt.