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       # taz.de -- Debatte Gauck und die Außenpolitik: Selbstgerechter Shitstorm
       
       > Bundespräsident Gauck wird heftig dafür kritisiert, dass er den „Griff
       > zur Waffe“ nicht ausschließen will. Die Kritik ist falsch. Und kann
       > tödlich sein.
       
   IMG Bild: Instrument der deutschen Außenpolitik: die Bundeswehr
       
       Vor 70 Jahren landeten die westlichen Alliierten im deutsch besetzten
       Frankreich und starteten den europäischen Zweifrontenkrieg gegen Hitler,
       der schließlich zum Ende des Zweiten Weltkriegs führte. „Gemeinsam erinnern
       wir an diesem Tag an die Männer und Frauen, Soldaten, Widerstandskämpfer
       und Zivilisten, die durch ihren Mut und ihre Opferbereitschaft den D-Day zu
       einem Sieg der Freiheit gemacht haben“, sagte Frankreichs Staatspräsident
       François Hollande (Sozialist) bei der Gedenkfeier in der Normandie am 6.
       Juni.
       
       Vor 20 Jahren ließ die Weltgemeinschaft in Ruanda die Massenmörder
       gewähren, die beim Versuch der Ausrottung der Tutsi-Minderheit in drei
       Monaten eine Million Menschen töteten. „Wir schulden ihnen, dass wir uns
       nicht dem Gefühl der Ohnmacht und schon gar nicht der Gleichgültigkeit
       hingeben; dass wir nicht nur anprangern, sondern das tun, was in unser
       Macht steht, um Völkermord zu verhindern“, sagte Deutschlands Außenminister
       Frank-Walter Steinmeier (SPD) bei der Gedenkstunde des Bundestages am 4.
       April.
       
       Am vergangenen Samstag gab Bundespräsident Joachim Gauck dem
       Deutschlandradio Kultur ein Interview, in dem er auf Nachfrage sagte, er
       empfehle Deutschland „im Verbund mit denen, die in der Europäischen Union
       oder in der Nato mit uns zusammengehen, ein Ja zu einer aktiven Teilnahme
       an Konfliktlösungen im größeren Rahmen“. Und „in diesem Kampf für
       Menschenrechte oder für das Überleben unschuldiger Menschen ist es manchmal
       erforderlich, auch zu den Waffen zu greifen“.
       
       ## „Mit Hurra in alle Welt“
       
       Diese Äußerung Gaucks hat einen regelrechten Shitstorm der
       Selbstgerechtigkeit nach sich gezogen, von der Linken („Ein
       Staatsoberhaupt, das als Feldherr die Bundeswehr mit Hurra in alle Welt
       schicken möchte, stellt sich gegen die Bevölkerung“) bis zum konservativen
       Nordbayerischen Kurier („[1][article_id=289243:Was ist bloß in Joachim
       Gauck gefahren?] Zu den Waffen greifen, um Zivilisten zu schützen?“) und
       der taz („[2][Kriegsrhetorik]“) mittendrin.
       
       Aber kann im Gedenkjahr von D-Day und von Ruandas Völkermord ernsthaft in
       Deutschland argumentiert werden, der Griff zu den Waffen sei immer, unter
       allen Umständen und ausnahmslos falsch? Wer wirklich so denkt, muss
       gutheißen, dass UN-Blauhelme untätig bleiben, wenn vor ihren Augen Menschen
       abgeschlachtet werden, und soll das ruandischen Überlebenden des
       Völkermordes ins Gesicht sagen. Wer wirklich so denkt, muss die
       D-Day-Landung für eine Katastrophe halten und hätte am 6. Juni auf die
       Straße gehen müssen, um dagegen zu protestieren, dass Angela Merkel einen
       Militäreinsatz ehrt.
       
       Wer stattdessen aus der Geschichte gelernt hat und inzwischen weiß, dass es
       Situationen gibt, wo der Griff zur Waffe die einzige menschenwürdige
       Reaktion auf menschenverachtende Gewalt ist, muss demgegenüber die
       Voraussetzungen nennen, unter denen militärische Einsätze geboten sein
       könnten. In diesem Zusammenhang ist der von Gauck genannten Voraussetzung –
       „Kampf für Menschenrechte oder für das Überleben unschuldiger Menschen“ –
       als Grundlage menschenrechtsorientierter Außenpolitik nicht zu
       widersprechen.
       
       „So wie wir eine Polizei haben und nicht nur Richter und Lehrer, so
       brauchen wir international auch Kräfte, die Verbrecher oder Despoten, die
       gegen ihr eigenes Volk oder gegen ein anderes mörderisch vorgehen, zu
       stoppen“, [3][sagt Gauck].
       
       ## Nichts tun bringt nichts
       
       Es stimmt, die Kriege in Irak und Afghanistan sind dafür kein Vorbild. Aber
       sie hatten andere, fragwürdige Ziele. Mit dem Verweis darauf einfach gar
       nichts tun – wie jetzt in Syrien, mit den aktuell zu beobachtenden
       katastrophalen Folgen – ist menschenverachtend und funktioniert nicht,
       weder für die Syrer noch für den Rest der Welt. Der ehemalige britische
       Premierminister Tony Blair hatte recht, als er am Wochenende schrieb: „Drei
       Jahre lang haben wir Syrien beim Abstieg in den Abgrund zugesehen, und bei
       seinem Untergang knüpft es langsam, aber sicher seine Fäden um uns und
       zieht uns mit hinunter.“
       
       Es geht bei Gaucks Äußerungen natürlich überhaupt nicht um Syrien, die
       Ukraine oder sonst irgendein Konfliktgebiet. Es ist auch unlauter, den
       Bundespräsidenten dafür zu geißeln, dass er in einem Radiointerview kein
       konkretes Einsatzgebiet nennt – als würden seine Kritiker ihm Beifall
       zollen, wenn er das getan hätte. Als konkretes Vorbild nannte Gauck
       übrigens gar keinen Militäreinsatz, sondern Norwegens Vermittlerrolle beim
       Friedensprozess in Guatemala. Pazifistischer geht es nicht.
       
       Eine sinnvolle Diskussion über Gaucks Äußerungen muss die Frage stellen, ob
       die außenpolitischen Instrumente Deutschlands – und dazu gehört die
       Bundeswehr nun einmal – sinnvoll eingesetzt werden. Dabei geht es nicht um
       hypothetische Grundsatzfragen, sondern um reale Vorgänge. Welche Lehren
       genau zieht die deutsche Politik eigentlich aus dem Einsatz in Afghanistan?
       Wie wird der Einsatz im Kosovo bewertet? Was sind die Erfolgskriterien für
       die laufenden militärischen Ausbildungsmissionen in Mali und Somalia?
       
       ## Konkrete Fragen zum Militär
       
       Oder, konkreter: Warum hat die Bundesregierung die Bitte des deutschen
       Leiters der UN-Mission im Kongo, Martin Kobler, nach einer Entsendung
       deutscher Beobachter und Technik in den von Milizen terrorisierten Ostkongo
       abgelehnt, sich aber auch nicht aktiv am Weltgipfel zur Bekämpfung
       sexueller Gewalt in Konfliktgebieten vergangene Woche in London beteiligt?
       Welcher Logik folgt die Entscheidung, in der von völkermordähnlicher Gewalt
       heimgesuchten Zentralafrikanischen Republik zwar die Beteiligung von bis zu
       80 Bundeswehrsoldaten an der neuen EU-Militärmission zu beschließen, aber
       dann nur vier zu entsenden, die auch nie das Hauptquartier verlassen
       sollen?
       
       Über solche Dinge muss offen diskutiert und gestritten werden. Aber das
       geht nur, wenn der Griff zur Waffe grundsätzlich als legitimes Mittel der
       Politik anerkannt wird. Fundamentalistische Denkverbote haben in der
       Politik keinen Platz, und Nichtstun kann tödlich sein. Wer diese Lehre aus
       Ruanda und Bosnien nicht beherzigt, hat nichts begriffen.
       
       17 Jun 2014
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.deutschlandfunk.de/presseschau-was-ist-bloss-in-joachim-gauck-gefahren.1818.de.html?dram
   DIR [2] /Kommentar-Gauck-und-Militaereinsaetze/!140411/
   DIR [3] /Bundeswehreinsaetze-im-Ausland/!140416/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dominic Johnson
       
       ## TAGS
       
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