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       # taz.de -- WM-Kolumne Ordem e Progresso: Die Schönheit der Maschinengewehre
       
       > Zur WM-Zeit ein Zimmer in Rio zu finden, ist nicht einfach. Man nimmt,
       > was kommt. Auch wenn die Vermieterin ein Hohelied auf die Militarisierung
       > singt.
       
   IMG Bild: Idyllisches Straßenbild in Rio de Janeiro.
       
       RIO DE JANEIRO taz | Meine Vermieterin hatte mir die frohe Botschaft schon
       per Mail verkündet. Die Armee und die Polizei haben sich über die ganze
       Stadt verteilt. „Total und absolut! Sicherheit!“, schrieb sie. Und nun ist
       sie glücklich, mir bei einem kleinen Rundgang durch die Copacabana zu
       zeigen, dass sie nicht zuviel versprochen hat.
       
       Im Trikot der Seleção mit der Nr. 10 hat sie mich in Rio de Janeiro
       empfangen. Um den Hals trägt die etwa 50-Jährige eine grün-gelb gefärbte
       Holzkette. Ihr rechtes Knie ist mit einer weißen Bandage verbunden. „Eine
       Fußballverletzung?“, frage ich, um unser erstes Kennenlernen etwas
       aufzulockern. „Ja“, antwortet sie knapp und trocken. Ich habe verstanden,
       das war eine völlig überflüssige Frage.
       
       Ansonsten ist sie aber sehr beredt und sprüht vor guter Laune. Ihre
       Knieschmerzen zwingt sie nieder und humpelt mit mir die Straßen entlang.
       Während ich immer wieder nach dem Meer Ausschau halte, macht sie mich auf
       jeden Polizisten einzeln aufmerksam, als wären sie die eigentliche
       Attraktion der Copacabana. Als wir an einer Straße vorbeikommen, die
       extremst steil in eine benachbarte Favela führt, leuchten ihre Augen. Etwa
       zehn Uniformierte mit schweren Maschinengewehren haben sich hier
       positioniert.
       
       Meine Vermieterin, die mit Nachnamen übrigens Müller heißt, wähnt sich
       offensichtlich im Paradies. Mittlerweile habe ich begriffen, dass so ein
       richtig gut organisierter Polizeistaat sie dauerhaft glücklich machen
       würde. Die „Dilma, vai tomar no cu!“-Rufe („Dilma, fuck you“) des gut
       betuchten rechtskonservativen Lagers beim Eröffnungsspiel in Sao Paulo
       haben ihr Herz schon höher schlagen lassen, erzählt sie mir.
       
       Sie wäre so gern dabei gewesen und hätte mitgebrüllt. Es tut ihr nämlich
       sehr leid um das viele schöne Geld, das die brasilianische
       Staatspräsidentin Dilma Rousseff in diese Sozialprogramme speist. Die Leute
       sollten doch einfach arbeiten. Mit tut es plötzlich sehr leid um das Geld,
       das sie noch von mir bekommt.
       
       ## Traumland WM-Brasilien
       
       Die Investitionen in den Sicherheitsapparat können nach dem Geschmack von
       Senhora Müller gar nicht zu üppig ausfallen. Für sie verbinden sich hier
       Ordnung und Fortschritt auf kongeniale Weise. Dieses WM-Brasilien ist das
       Land ihrer Träume, von diesen alltäglichen Misslichkeiten mal abgesehen.
       
       Gefühlte fünf Mal hat sie sich im Namen ihres ganzen Landes dafür
       entschuldigt, dass mein Flug von São Paulo nach Rio de Janiero gecancelt
       wurde und ich deshalb den halben Tag am Flughafen verbringen musste. „Ich
       liebe mein Land, aber nicht die Art, wie es funktioniert“, beteuert die
       stramme Patriotin. Ich schäme mich nachträglich etwas, dass ich mir wegen
       des ausgefallenen Fliegers die Laune so verhageln lassen.
       
       Vielleicht werde ich dank Senhora Müller die organisatorischen Widrigkeiten
       hier noch zu schätzen lernen. Aber das sage ich ihr lieber noch nicht. Eine
       bezahlbare neue Unterkunft werde ich während der WM gewiss nicht mehr
       finden. Sicher ist sicher.
       
       27 Jun 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Johannes Kopp
       
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