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       # taz.de -- Künstliche Intelligenz im Turing-Test: „Captain Cyborg“
       
       > Angeblich hat ein Computer den Turing-Test bestanden und künstliche
       > Intelligenz bewiesen. Doch es sind Zweifel angebracht.
       
   IMG Bild: Nicht immer ist klar, von wem die Antworten in einem Online-Chat kommen
       
       BERLIN taz | Ein Computer soll angeblich mehrere Menschen davon überzeugt
       haben, dass er ein denkender Mensch sei. Doch bei genauerem Hinsehen bleibt
       von der Meldung über den intelligenten Computer Eugene nicht mehr viel
       übrig.
       
       Der sogenannte Turing-Test wurde vom Computerpionier Alan Turing erdacht.
       Turing war vor allem dafür bekannt, dass er im Zweiten Weltkrieg die
       Verschlüsselungstechnologien der Nazis brechen konnte. Doch er befasste
       sich auch intensiv mit der Möglichkeit künstlicher Intelligenz und stellte
       die Frage, wann man eine Maschine als intelligent bezeichnen könnte.
       
       Die Idee des Turing-Tests: Ein Mensch kann mit einem Computer nur
       schriftlich kommunizieren. Wenn der Mensch anschließend davon überzeugt
       ist, dass es sich bei seinem Gesprächspartner ebenfalls um einen denkenden
       Menschen handelt, gilt der Test als bestanden.
       
       Die künstliche Intelligenz beflügelt schon seit Langem die
       Science-Fiction-Literatur. Meist erscheint diese Entwicklung als Bedrohung,
       etwa wenn intelligente Roboter in dystopischen Zukunftsszenarien die
       Menschheit unterdrücken. Doch die Realität bleibt bislang weit hinter der
       Fantasie der Science Fiction-Autoren zurück.
       
       ## Der Wissenschaftler ist bekannt für Übertreibungen
       
       Das in Russland entwickelte Programm Eugene hat nun in [1][einem Test des
       Wissenschaftlers Kevin Warwick von der Universität Reading in England] 30
       Prozent der Teilnehmer per Chat in englischer Sprache davon überzeugt, dass
       er ein 13-jähriger Junge aus der Ukraine sei. An diesem Testkriterium gibt
       die meiste Kritik. Denn alle Schwächen, die Eugene hat, können auf
       mangelndes Wissen oder auf fehlende Sprachkenntnisse zurückgeführt werden.
       
       Kevin Warwick ist kein Unbekannter. Schon in der Vergangenheit wurde dem
       britischen Wissenschaftler vorgeworfen, mit übertriebenen Behauptungen auf
       sich aufmerksam zu machen. So behauptete Warwick 2000, dass er dank der
       Implantation eines Chips in seinen Arm der erste Cyborg sei, und einige
       Jahre später, dass er einen Menschen mit einem Computervirus infiziert
       habe. Die britische IT-Nachrichtenwebseite The Register [2][bezeichnet
       Warwick regelmäßig als „Captain Cyborg“].
       
       Alan Turing selbst hat seinen Test für künstliche Intelligenz nur sehr
       ungenau definiert. Wie lange die Kommunikation andauern sollte und welche
       genauen Hintergründe der simulierte Mensch hat, darüber gibt es keine
       Angaben. Oft dreht sich daher der Streit bei angeblich bestandenen
       Turing-Tests um die Frage, wie ein solcher Test überhaupt aussieht.
       
       Bereits 2011 hatte ein ähnliches Programm namens Cleverbot fast 60 Prozent
       der Teilnehmenden davon überzeugt, dass es sich um einen Menschen handelt –
       weit mehr als die von Eugene erreichten 30 Prozent.
       
       ## Medienrummel ohne Relevanz
       
       Ob der Turing-Test ganz grundsätzlich geeignet ist, künstliche Intelligenz
       zu beweisen, wird von vielen Forschern angezweifelt. Mit einigen Tricks,
       die nichts mit wirklicher Intelligenz zu tun haben, lässt sich viel
       erreichen. Eugene wechselt häufig einfach das Thema, wenn er zu einer Frage
       keine passable Antwort weiß, was auch in einer menschlichen Konversation
       nicht weiter auffällt.
       
       Der Informatiker Scott Aaronson hat [3][in seinem Blog] eine Konversation
       mit Eugene veröffentlicht[4][.] Dabei konnte das angeblich intelligente
       Programm selbst einfache Fragen nicht beantworten. Laut Aaronson sei selbst
       einer der Entwickler von Eugene, Vladimir Veselov, der Meinung, dass es
       sich bei der Nachricht vom bestandenen Turing-Test vor allem um
       Medienrummel mit wenig wissenschaftlicher Relevanz handle.
       
       Aaronson betont, dass er den Entwicklern von Eugene keinen Vorwurf mache.
       Vielmehr sei das Problem die übertriebenen Ankündigungen von Kevin Warwick
       – und Journalisten, die die Meldung vom intelligenten Computer unkritisch
       weiterverbreiteten.
       
       13 Jun 2014
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.reading.ac.uk/news-and-events/releases/PR583836.aspx
   DIR [2] http://www.theregister.co.uk/2014/06/10/world_to_captain_cyborg_youre_rumbled/
   DIR [3] http://www.scottaaronson.com/blog/?p=1858
   DIR [4] http://www.scottaaronson.com/blog/?p=1858
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Hanno Böck
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Künstliche Intelligenz
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   DIR Cyborg
   DIR Mathematik
   DIR Nachrichtenagentur
   DIR Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg
       
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