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       # taz.de -- Besuch im deutschen WM-Lager: Ballermann in Bahia
       
       > Während der WM residiert die deutsche Nationalelf in einem Luxusresort am
       > Strand – abgeschieden und von den Anwohnern abgeschottet.
       
   IMG Bild: Idylle im Campo Bahia
       
       SANTO ANDRÉ taz | Das Campo Bahia liegt gleich da unten, 14 Häuser direkt
       am tosenden Atlantik. Mit Kokospalmen, Sandstrand und einer
       Reisegesellschaft, die irgendwie Fußball-Weltmeister werden will. Günter
       Keseberg, der hier oben wohnt, genießt das außergewöhnliche Panorama auf
       die Wohngemeinschaft des Deutschen Fußball-Bundes jeden Tag.
       
       Der Hügel über dem kleinen brasilianischen Dörfchen Santo André gehört ihm,
       etlichen Ridgeback-Hunden und einem Papagei. Er hat das Land, das
       jahrhundertelang den Pataxó-Indígenas gehörte, vor über 20 Jahren günstig
       erworben; einen Dollar hat der Quadratmeter damals gekostet, heute sind es
       bis zu 200. Ein Ende des Booms ist nicht in Sicht. Jetzt erst recht nicht.
       
       Sein Anwesen hat Keseberg, früher in leitender Stellung in der
       Unternehmensberatung Roland Berger aktiv, mit Bedacht gewählt. Er
       überschaut die Dinge gern, die sich da unten im Dorf abspielen. Keseberg
       ist der heimliche Chef der deutschen Gemeinde – und damit der ganzen
       Siedlung. Als „Teutonisches Dorf“ hat Oliver Bierhoff das Wohnprojekt des
       DFB bei einer Präsentation im Dezember 2013 bezeichnet. Wahrscheinlich
       glaubte der Manager der Nationalmannschaft, dass man sich in die vorhandene
       Struktur ganz leicht einfügen könnte.
       
       Aber irgendetwas ist da schief gelaufen, denn Keseberg fremdelt mit den
       Neuen da unten. „Die, die jetzt kommen, sind eine andere Güteklasse.“ Nach
       seinem Verständnis passt der DFB nicht so richtig rein. Der Verband habe
       „schlecht kommuniziert“, hätte einen ständigen Vertreter vor Ort haben
       müssen.
       
       Die armen Einwohner seien trotz diverser Wohltätigkeiten wie der
       Bereitstellung eines Krankenwagens und der Verlosung eines Kühlschrankes
       nicht „mitgenommen“ worden. Die Neuankömmlinge vom DFB wären „auch ein
       bisschen zu arrogant“ aufgetreten. Außerdem findet Keseberg die Abschottung
       des Campo Bahia „übertrieben“. 180 Militärpolizisten sind im Einsatz,
       ferner 30 Bundespolizisten. Die Marine patrouilliert, und ein
       Polizeihubschrauber überfliegt mehrmals täglich das Gelände. Eine
       Fußballmannschaft wird beschützt wie die Staatschefs auf dem
       Weltwirtschaftsforum.
       
       ## Finster dreinblickende Militärpolizisten
       
       Keine Frage, auch Keseberg sorgt sich. Wird es nach der DFB-Episode ähnlich
       laut und unstet wie drüben hinter dem Fluss, in Santa Cruz Cabrália oder
       Porto Seguro, wo er eine „Ballermannisierung“ des Strandes ausgemacht hat?
       Was wird aus dem beschaulichen, nur mit einer Fähre zu erreichenden Santo
       André, dem Dorf der Seilmacher und Fischer? Keseberg fürchtet „hier bald
       sehr viel Schickimicki“.
       
       Mit der kleinen Fähre „Bicudo I“ oder dem Schwesterschiff „Dodo“
       übergesetzt, erreicht man den Hort der Abgeschiedenheit in zehn Minuten. In
       Südafrika stand das WM-Quartier in einem großen Nichts in der Nähe von
       Pretoria. Hauptsache weit ab vom Schuss – das ist die Devise des DFB, die
       er nun so konsequent umgesetzt hat, dass man gar nicht erst ans Campo Bahia
       herankommt. Ein Sicherheitsbeamter des Fußball-Bunds und ein finster
       dreinblickender Militärpolizist, die auf der sandigen Dorfstraße postiert
       sind, weisen jeden Neugierigen ab.
       
       Zu sehen bekommt man die Nationalspieler im Pressezentrum, das der DFB in
       der Fünf-Sterne-Anlage Costa Brasilis hat errichten lassen. Offensivspieler
       André Schürrle auf dem Podium sagt: „Wir haben Playstation und einen
       schönen Pool, da bekommt man die Freizeit gut unter.“ Alles sei
       „hervorragend“, ach was: „überragend“.
       
       Ob der DFB nicht eine Mauer wie seinerzeit in Berlin errichtet habe, will
       Patricia Grinberg wissen. Das sei nicht der Zuständigkeitsbereich der
       Nationalmannschaft, wiegelt Pressesprecher Jens Grittner ab: „Wir haben
       vollstes Vertrauen in die Sicherheitsbehörden.“ Die Spieler sagen nichts
       dazu.
       
       ## „Heil Hitler!“ und Hakenkreuze
       
       Grinberg gehört zur Fundamentalopposition in Santo André. Sie vertritt die
       Ansicht, „eine deutsche Armee“ sei mit dem DFB-Tross gelandet. In E-Mails
       fällt auch schon mal das Wort „Blitzkrieg“. Manch ein deutscher Einwohner
       wird neuerdings von ortsansässigen Brasilianern mit „Heil Hitler“ begrüßt.
       Und ein Hakenkreuz wurde angeblich auch schon ans Campo Bahia geschmiert.
       „Verrückt“ sei die Grinberg, „verwahrlost“ und „nachtragend“, kontert die
       deutsche Gemeinde von Santo André. Grinberg habe es lediglich gestört, dass
       sie nun auch einen Passierschein brauche, um ihr Anwesen zu erreichen.
       
       Die Mehrheit der Bewohner lässt man bei dem Rumgegifte außer Acht, zumeist
       arme Brasilianer, die froh sind, auf der Baustelle des Campo Bahia Arbeit
       gefunden und ein paar Reais mehr in der Tasche zu haben.
       
       11 Millionen haben die Münchner Investoren, Ingenieur Tobias Junge, dessen
       Jugendfreund Kay Bakemeier, ein Allianz-Vertreter, und der Münchner
       Geschäftsmann Christian Hirmer, für das Projekt ausgegeben, das vom
       deutsch-brasilianischen Unternehmerverband Lide an Bierhoff
       weitervermittelt wurde. Und der DFB? Trägt keinerlei finanzielles Risiko.
       Den Polizeieinsatz zahlt der Bundesstaat Bahia, und auch die Kosten fürs
       Pressezentrum von einer halben Million Euro übernehmen die Brasilianer.
       
       ## „Die Militärpolizei wird schnell nervös“
       
       Maik Paschkin wird immerhin vom DFB bezahlt. Er vereitelt einen erneuten
       Annäherungsversuch der taz und der Neuen Zürcher Zeitung ans Lager der
       deutschen Fußballelite, diesmal von Strandseite. „Hey Jungs, geht mal
       weiter, sonst werden die von der Militärpolizei ganz schnell nervös“, sagt
       er mit leicht russischem Akzent, „hier stehen bleiben und reingucken geht
       nicht.“ Sichtblenden verhindern ohnehin den direkten Blick, trotzdem sind
       Götze und Durm – oder war es Höwedes? – zu sehen.
       
       Zum Greifen nah ist Teamarzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt, der am Strand
       sitzt und telefoniert. Kurze Zeit später sind dann sogar ein paar
       Nationalspieler aus dem Campo ausgebüxt: Miroslav Klose, Manuel Neuer und
       Lukas Podolski mischen sich unters einfache Volk. Poldi-Fotos und
       Miro-Selfies am Strand machen schnell die Runde im Dorf. „Mensch, haben die
       sich doch noch einmal rausgewagt“, staunt die deutsche Gemeinde am Abend
       bei Bier und Amazonasfisch.
       
       Normalerweise bewegt sich das DFB-Team nur im geschützten Bereich. Beim
       Nachmittagstraining läuft alles auch wieder streng nach Vorschrift. Mehrere
       Militärpolizisten stehen am Eingang des Trainingsplatzes. Zugang wird nur
       mit Akkreditierung gewährt. Nach 15 Minuten müssen alle Journalisten und 22
       Kamerateams die Zuschauertribünen verlassen. Gesehen haben sie bis dahin
       ein bisschen Gedaddel mit dem Ball. Die verbleibende Zeit wird geheim
       trainiert. Abgeschottet.
       
       „Das Campo ist trotz der kurzen Bauzeit sehr schön geworden“, sagt derweil
       Günter Keseberg auf seinem Hügel, „wenn den Jungs das nicht zusagt, dann
       hilft wohl nur noch eine Extraportion Puderzucker in den Hintern.“ Der
       Vollmond ist am Himmel aufgezogen. Unten im Mangrovenwald schreien ein paar
       Makaken. Die Wellen schlagen rauschend an den Strand. Sonst herrscht Ruhe
       im Paradies.
       
       13 Jun 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Markus Völker
       
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