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       # taz.de -- DVD-Neuerscheinung: Keine Lust, Ruhe zu geben
       
       > „Hôtel Terminus – Leben und Zeit des Klaus Barbie“ ist ein wütender,
       > widerspenstiger Dokumentarfilm von Marcel Ophüls.
       
   IMG Bild: Marcel Ophüls, der Regisseur von „Hôtel Terminus“, war kürzlich beim Branchentreff „Dokville“ des Stuttgarter Hauses des Dokumentarfilms zu Gast.
       
       Der Prozessbeginn verzögerte sich, jahrelang. Es war unklar, ob der
       Folterer, Mörder, Naziverbrecher Klaus Barbie überhaupt verurteilt werden
       würde. Womöglich waren seine Untaten nach vierzig Jahren verjährt – so
       jedenfalls das Argument seines Verteidigers Jacques Vergès.
       
       In dieser Situation machte sich Marcel Ophüls, der Dokumentarfilmer, auf
       die Reise. Was erst als Artikelserie geplant war, wurde am Ende ein gut
       vierstündiger Film. Und das ist noch kurz, denn Ophüls hat „Hotel Terminus
       – Leben und Zeit des Klaus Barbie“ aus 120 Stunden Interviewmaterial
       zusammengeschnitten.
       
       Als Gestapo-Chef im besetzten Lyon beging Barbie unsägliche Grausamkeiten,
       und zwar mit von vielen bezeugtem Vergnügen. Ein Massaker unter
       Résistance-Kämpfern, die Deportation 44 jüdischer Kinder und ihrer sieben
       Betreuer, Vergewaltigungen, Folter, Mord fanden unter seiner Teilnahme,
       Aufsicht, Verantwortung statt. Dreimal wurde Barbie nach dem Krieg in
       Frankreich in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Der große Skandal ist nicht
       nur, dass er nach dem Krieg erst in Deutschland, dann in Lateinamerika
       abtauchen konnte. Der Skandal liegt auch darin, wer ihn dabei unterstützte,
       wer wegsah und wer es ihm möglich machte, nicht nur unbehelligt zu leben,
       sondern eifrig weiter im Dienste von allem, was rechts ist, zu wirken.
       
       Zuallererst war da der amerikanische Nachrichtendienst CIC, der den
       „Nazi-Idealisten“ (so ein internes Dokument) als antikommunistischen
       Führungsagenten engagierte und vor der Auslieferung nach Frankreich
       bewahrte. Nach der Flucht bedienten sich die Diktatoren in Bolivien und
       Peru seiner nur zu gern, als Klaus Altmann war Barbie in allerlei finstre
       Geschäfte verwickelt. Auch der BND hatte ihn in den Sechzigern unter
       Kontrakt. Erst 1983, nach der Rückkehr Boliviens zur Demokratie, wurde
       Barbie verhaftet und nach Frankreich ausgeliefert. Ophüls’ Film ist eine
       Parallelaktion zum Prozess, eine Zeugenvernehmung und eine Demonstration,
       wie sehr Leben und Zeit des Klaus Barbie bis in die Gegenwart der achtziger
       Jahre reichen.
       
       ## Schweiger und Lügner
       
       Im Zentrum stehen die Zeugen: Opfer, deren Männer, Brüder, Eltern und
       Kinder durch Barbies Schuld gefoltert wurden und starben. Und vor allem
       Mittäter, Wegseher, Unterstützer. Immer wieder bekommt man zu hören: Er war
       ja so ein anständiger Mann. Und sollte, nach vierzig Jahren, die Sache
       nicht endlich ruhen?
       
       Die Mitmacher und Vertuscher, die selbstzufriedenen Schweiger und Lügner,
       die merkbefreiten Exagenten und Kommunistenfresser und peruanischen
       Expräsidenten mit ihrem Grinsen und sogar die Résistancekämpfer, die die
       Geschichte modifizieren, um nicht das Gesicht zu verlieren: Diese ganze
       Bagage führt Ophüls vor, und er verschweigt keineswegs, dass sie ihn
       wahnsinnig macht.
       
       Der Regisseur ist hier nicht die Fliege an der Wand, sondern oft
       mittendrin. Mit seinem Mitarbeiter spielt er im Freien ein typisches
       Telefongespräch nach. Das ist bösartig komisch. Ophüls hat keine Lust, Ruhe
       zu geben, er hat keine Lust, seine Wut zu verstecken. Er sucht die Nähe zur
       Farce. „Hotel Terminus“ ist ein widerspenstiger Film, der sich keinen
       Regeln und Ordnungen fügt. Er ist bitter und komisch und wütend und ganz
       und gar solidarisch mit Barbies Opfern. Und genau so, wie er ist, ist er
       richtig.
       
       13 Jun 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ekkehard Knörer
       
       ## TAGS
       
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