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       # taz.de -- Liberalismusdebatte bei den Grünen: Streit um fremde Erbschaft
       
       > Bleibt Grün grün oder wird's gelb? Die Ökopartei treibt auch neun Monate
       > nach der Bundestagswahl noch immer die Liberalismusdiskussion um.
       
   IMG Bild: Dabei passen Gelb und Grün in der politischen Farbenlehre doch ganz gut zusammen
       
       BERLIN taz | Das große F-Wort geistert seit Monaten durch die Partei. Ein
       „Freiheitskongress“ ist für den Herbst geplant. Beim Länderrat vor zwei
       Wochen organisierte die Grünen-Führung schon mal einen ersten
       programmatischen Workshop zu „Freiheit und Selbstbestimmung“. Die Grünen
       sind auf Standortsuche – und ringen um eine Antwort auf die Frage, was sie
       aus ihrem Veggie-Day-Desaster und dem Absturz der FDP folgern sollen.
       
       Doch die jüngste Wendung der Strategiedebatte stößt auf Protest aus der
       Parteiführung. „Wird Grün gelb?“, titelte die Frankfurter Allgemeine
       Sonntagszeitung und zitierte drei einflussreiche grüne Landespolitiker mit
       der Forderung, doch konsequent das Erbe der FDP abzugreifen – schließlich
       gebe es keine andere relevante liberale Partei mehr im Land.
       
       Mit einem liberalen Profil könnten die Grünen „sicher auch einen Teil der
       früheren FDP-Klientel ansprechen, die sich enttäuscht von der FDP
       abwendet“, argumentierte der hessische Wirtschaftsminister Tareq Al-Wazir.
       Der bayerische Landeschef Dieter Janecek – ebenfalls ein Realo – regte gar
       an, „endlich konsequent für echten Wettbewerb einzutreten und dem
       Staatsdirigismus der großen Koalition Einhalt zu gebieten“.
       
       Doch das provoziert Widerspruch aus dem Parteivorstand. In einem
       Strategiepapier, das der taz vorliegt, warnt Bundesgeschäftsführer Michael
       Kellner die Grünen, nur ja nicht das Erbe der FDP als „entkernter
       Scharnierpartei der Macht“ anzutreten: Es werde sich nicht lohnen.
       Natürlich stünden die Grünen „vor der Aufgabe, neue WählerInnen zu gewinnen
       und alte zurückzugewinnen“, argumentiert der Partei-Linke – aber: „Eine
       politische Strategie, die versucht, die knapp eine Million Wähler der FDP
       von der Europawahl für uns zu gewinnen, wäre für uns Grüne eine tiefe
       Sackgasse und würde unseren Aufbruch verspielen.“
       
       Kellner warnt: „Eher noch gewinnt die AfD mit ihren nationalkonservativen
       Inhalten einige dieser Stimmen.“ Laut Kellner hätten
       Wählerwanderungsstudien gezeigt, dass der Austausch mit der liberalen
       Wählerschaft – genau wie der mit der Linken – „ziemlich marginal“ sei. Er
       plädiert dafür, vor allem auf die Anhänger von SPD, CDU und auf Nichtwähler
       zu zielen.
       
       ## Weniger Debatten um Heizpilze
       
       Auch inhaltlich widerspricht Kellner den Realo-Parteifreunden aus dem Süden
       und Westen des Landes: Das linksliberale Erbe der FDP hätten die Grünen
       ohnehin schon mit ihrer Parteigründung 1980 angetreten. „Hier brauchen wir
       nichts erben“, schreibt er: „Hier können wir höchstens die FDP als
       Negativbeispiel studieren, wie man dieses Profil verspielen kann.“
       
       Den Sinn der von Janecek geforderten wirtschaftspolitische Liberalisierung
       zieht Kellner ebenfalls in Zweifel: Schließlich seien die Grünen ohnehin
       „keine Vertreter eines Nachtwächterstaats“. Mit seinen Vorbehalten gegen
       das FDP-Erbe ist der Partei-Linke mitnichten allein.
       
       Im April hatten Schleswig-Holsteins Vizeregierungschef Robert Habeck und
       die Bundestagsabgeordnete Franziska Brandtner in einem gemeinsamen Papier
       gewarnt: „Die Grünen als Partei der Liberalität – die Behauptung schmeckt
       etwas schal. Sie klingt nach FDP-Erbschleichertum, nach
       Veggie-Day-Traumatherapie.“ Allerdings verlangten sie auch, ihre Partei
       solle sich weniger mit „Debatten um Heizpilze, Helmpflichten auf Fahrrädern
       oder Radfahren im Wald“ aufhalten.
       
       Auf die seit Herbst 2013 bei den Grünen allgegenwärtige Verbotsdebatte geht
       Bundesgeschäftsführer Kellner in seinem Papier nur implizit ein – mit dem
       lapidaren Hinweis, die Grünen müssten sich „manchmal vor Überregulierungen
       hüten“ und sollten „nicht jede Lebensstilfrage in feste Regeln gießen
       wollen“.
       
       11 Jun 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Astrid Geisler
       
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