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       # taz.de -- Pressefreiheit in Ungarn: Steuern, Luxus und Telekom-Deals
       
       > Der ungarischen Regierung werden Eingriffe in die Arbeit der Presse
       > vorgeworfen. Tausende demonstrieren dagegen in Budapest, Medien
       > protestieren.
       
   IMG Bild: So geht Journalismus: alle Augen auf Viktor Orbán.
       
       WIEN taz | „János Lázár ist traurig.“ Diese lapidare Mitteilung an die
       Chefredaktion der ungarischen Onlineplattform [1][origo.hu] signalisierte
       in der Vergangenheit, dass Premier Viktor Orbáns Stabschef mit der
       Berichterstattung nicht einverstanden war. Zuletzt war Lázár nicht nur
       traurig, sondern wütend. Der eben zum Kanzleramtsminister aufgewertete
       Vertraute des Ministerpräsidenten Viktor Orbán soll Anfang Juni die
       Kündigung von Origo-Chefredakteur Gergö Sálig erwirkt haben. Davon sind
       alle überzeugt, die die Medien in den letzten Wochen verfolgt haben.
       
       Mehrere tausende Menschen gingen am Montag in Budapest für die
       Pressefreiheit auf die Straße. Und auch über 60 Medien demonstrierten in
       ungewohnter Einigkeit. Die Zeitungen erschienen Donnerstag und Freitag mit
       der Seite 3 in Weiß mit dem Aufdruck: „Wir protestieren gegen die
       Einführung der Werbesteuer“. Radios und TV-Sender schalteten ihre
       Übertragungen 15 Minuten ab. Selbst jene Redaktionen, die der Regierung
       oder der regierenden Fidesz nahestehen, wie Hir-TV oder Magyar Nemzet,
       schlossen sich dem Protest an. Denn eine geplante neue Steuer auf
       Werbeeinnahmen wird von vielen als existenzbedrohend gesehen.
       
       Die Entlassung von Gergö Sálig dürfte aber einem Privatfeldzug von János
       Lázár geschuldet sein. Das Nachrichtenportal hatte vor Kurzem öffentlich
       gemacht, dass Lázár auf einer angeblichen Dienstreise nach London, in die
       Schweiz und nach Italien in nur fünf Tagen umgerechnet über 6.000 Euro nur
       für die Unterkunft verbraten hatte.
       
       Damit nicht genug: Origo zwang den Minister per Gerichtsbeschluss, die
       Details seiner Abrechnung offenzulegen. Lázár behauptete zwar, alles habe
       seine Richtigkeit und er sei in offizieller „nichtmilitärischer
       Geheimdienstmission“ unterwegs gewesen, unterhöhlte aber gleichzeitig seine
       eigene Glaubwürdigkeit, indem er die zwei Millionen Forint an den Staat
       zurücküberwies. Damit ersparte er sich die Offenlegung. Gerüchte, der
       Politiker habe auf Staatskosten einen Luxusurlaub mit einer Geliebten
       finanzieren wollen, machten schnell die Runde.
       
       ## Saftiges Geschäft
       
       Origo.hu gehört der Ungarischen Telekom, die wiederum im Mehrheitseigentum
       der Deutschen Telekom steht. Streng genommen hat der ungarische Staat daher
       keinen Einfluss auf die Personalpolitik des Portals, das sich in 18 Jahren
       den Ruf eines seriösen Mediums erworben hat. Gergö Sálig war erst im
       vergangenen November engagiert worden und journalistisch wie wirtschaftlich
       offenbar erfolgreich. Deswegen überzeugt die vage Begründung, die
       Entlassung sei Folge einer „integrierten Content-Produktionsstrategie“, in
       Ungarn nicht einmal die blauäugigsten Fans der Regierung. Vielmehr vermutet
       man in Pressekreisen, die Deutsche Telekom hätte Sálig im Rahmen eines
       lukrativen Deals zum Abschuss freigegeben.
       
       Die zeitliche Nähe zur Unterzeichnung eines „partnership agreement“ zum
       Breitbandausbau in Ungarn durch Telekom-Chef Timotheus Höttges und Viktor
       Orbán legt das nahe. Selbstverständlich weist die Deutsche Telekom jeden
       Verdacht, sie hätte Ungarns Pressefreiheit für ein saftiges Geschäft
       verkauft, von sich: „Personelle Veränderungen“ bei ihrem Tochterbetrieb
       seien Resultat interner Umstrukturierungen, auf die man „zu keinem
       Zeitpunkt Einfluss genommen“ habe.
       
       Origo.hu hütet sich bereits seit zwei Jahren, durch kritische Kommentare
       ins Visier der Medienbehörde zu geraten und hat deshalb Meinungsspalten zur
       Gänze eingestellt. Dennoch wurden die Werbeschaltungen von regierungsnahen
       Institutionen spürbar heruntergefahren. Lázár ließ immer wieder wissen,
       dass er traurig sei.
       
       Ungarische Medien berichten von einem 150 Seiten starken Dossier, mit dem
       János Lázár nachweisen wollte, dass origo.hu nicht objektiv berichte und
       deswegen in die Schranken gewiesen werden müsse. Das Papier listet auf, in
       wie vielen Beiträgen das Onlineportal von der Darstellung im staatlichen
       ungarischen Fernsehen abgewichen sei. Er bestreitet aber jede Einflussnahme
       und forderte Gergö Sálig auf, seine Behauptung, er hätte seinen Kopf
       gefordert, zu widerrufen. Diese Behauptung hat der geschasste Chefredakteur
       aber in der Öffentlichkeit nie erhoben.
       
       11 Jun 2014
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.origo.hu/index.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ralf Leonhard
       
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