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       # taz.de -- „Smart Guns“ in Amerika: Diese Pistole rettet Leben
       
       > Eine „Smart Gun“ lässt sich nur in der Hand ihres Besitzers abfeuern. In
       > den USA könnte sie verkauft werden. Doch der mächtigen Waffenlobby passt
       > das nicht.
       
   IMG Bild: Früh übt sich: Waffen sind in den USA Statussymbol, Sammlerobjekt, Familienerbstück, manchmal gar Religion.
       
       Mehr Waffen. Das ist die Lösung für die Waffengewalt in den USA. Logisch
       für alle, die Waffenbesitz befürworten. Seit Kurzem rufen aber auch
       Waffenskeptiker nach Aufrüstung. Es kommt auf die Waffe an.
       
       Andy Raymond betreibt einen Waffenladen in Rockville, Maryland, eine halbe
       Stunde Autofahrt von Washington D. C. entfernt. Raymonds Sortiment bietet
       Waffennarren die halbautomatische Pistole ebenso an wie das Jagdgewehr. Um
       noch mehr Kunden von der Notwendigkeit der Selbstverteidigung oder der
       Schönheit des Waffensports zu überzeugen, wollte Raymond die iP1 des
       deutschen Herstellers Armatix vertreiben. Kaliber 22. Es ist eine Smart
       Gun, eine intelligente Waffe.
       
       Neben Waffe und Magazin liegt der iP1 auch eine schwarze Uhr bei. Sie
       funktioniert nur, wenn der Besitzer der Waffe diese via Funkuhr am
       Handgelenk mit einem Pincode aktiviert. Uhr, plus Pin, plus Waffe, Schuss.
       
       Reißt die Verbindung mit dem Funkchip ab, etwa, weil jemand die Waffe hält
       und zu weit weg ist von der Uhr, funktioniert sie nicht. Es ist die
       Technik, die die Kontradiktion des Begriffs „Smart Gun“ auflöst. Kein
       Kleinkind, das beim Hantieren mit einer Waffe sich oder andere töten kann.
       Ein Verkaufsargument für die urbane Großstadtfamilie mit hohem
       Sicherheitsbedürfnis, die dem eher konservativen Milieu der Waffenbesitzer
       ansonsten nicht entspricht. Und ein lukratives, denn die Waffe kostet 1.400
       US-Dollar – plus 400 Dollar für die Uhr. Der neue heiße Scheiß auf dem
       Markt?
       
       ## Ideologische Katastrophe
       
       Nicht für alle. Denn mit diesen Waffen gibt es ein Problem – vor allem für
       die mächtige Pro-Waffen-Organisation der USA, der National Rifle
       Association (NRA). Es liegt in der Landesverfassung des Bundesstaates New
       Jersey begründet. Seit 2002 gibt es in dem Bundesstaat an der Ostküste ein
       Gesetz, das alle Händler zwingt, innerhalb von drei Jahren nur noch Smart
       Guns anzubieten, sobald es diese irgendwo in den USA zu kaufen gibt.
       
       Das will die NRA um jeden Preis verhindern und geht deshalb sogar gegen
       ihre eigene Klientel vor. Träte das Gesetz in New Jersey in Kraft, weil
       Händler in Kalifornien und Maryland die Waffen auf den Markt bringen, wäre
       das eine ideologische wie wirtschaftliche Katastrophe, wobei die NRA das so
       offen nicht formuliert. Bislang drohte keine Gefahr, marktfähige Smart Guns
       gab es bis zur iP1 nicht, obwohl die Industrie seit Mitte der 90er Jahre
       solche entwickelt. Daniel Craigs auf einem Fingerabdruck basierte Waffe im
       letzten James-Bond-Film – näher kamen Amerikaner intelligenten Waffen
       bisher nicht.
       
       ## Nur kluge Menschen tragen Waffen
       
       Andy Raymond aus Maryland wollte an den Smart Guns mitverdienen. Doch nach
       seiner Ankündigung, die Waffe zu vertreiben, lief die Waffenlobby Sturm. Am
       Telefon und im Internet überzog sie ihn mit Schmähungen und Todesdrohungen.
       In der Logik der NRA tragen nur kluge, verantwortungsbewusste Menschen eine
       Waffe. Da braucht es keine Technologie, die die Waffe an den Besitzer
       bindet. Verlässliche Statistiken darüber, wie viele Amerikaner jährlich
       durch Pistolen und Gewehre verletzt werden, gibt es nicht. Viele solcher
       Unfälle gehen als Totschlag oder Selbstmord in die Statistik ein. Ebenso
       wenig gibt es Verlässliches über die Häufigkeit, mit der Kinder sich oder
       andere versehentlich mit einer Waffe töten. Das wiederum nützt der NRA.
       
       „Besorgt,dass jemand ihre Kreditkartendaten hacken könnte? Was, wenn ein
       Krimineller, ein Hacker oder gar die Regierung Ihre Waffe jederzeit an- und
       ausschalten könnte?“, fragt Mark A. Keefe IV in [1][einem Artikel] in der
       American Rifleman. Keefe ist Chefredakteur des NRA-Kampfblatts und bedient
       mit seinen Fragen zwei Urängste seiner Klientel: eine Waffe, die technisch
       versagen kann. Und eine Regierung, die sich einmischt.
       
       Also mischt sich die NRA lieber bei Andy Raymond ein, dem schließlich nur
       der Whiskey bleibt. Das Glas in der Hand, sitzt er vor laufender Kamera in
       seinem Laden: „Ich dachte, diese Sache wäre eine gute Sache.“ Doch nun
       hilft nur noch Alkohol und klar, eine Waffe: Das militärische Sturmgewehr
       in der Hand, nuschelt Raymond, an all die gerichtet, die ihn bedroht haben:
       „Fuck, kommt mit dem Scheiß nicht zu mir.“
       
       Ähnliche Erfahrungen hat der Oak Tree Gun Club in Kalifornien gemacht, der
       im März ebenfalls ankündigte, Smart Guns zu vertreiben – und nach massivem
       Druck einen Rückzieher machte. Raymond bleibt nur eins: [2][„Ich
       entschuldige mich bei den Menschen von New Jersey.“] Die iP1 werde er
       niemals verkaufen. Darauf einen Schnaps. Und Klappe. Auf Facebook ist das
       Video mittlerweile gelöscht. Es hat seinen Zweck erfüllt. Raymond hat Ruhe
       – und New Jersey vorerst auch.
       
       ## Millionen für die Forschung
       
       Doch diverse Hersteller investieren in diese Technologie. Ein Bericht des
       US-Justizministeriums aus dem letzten Jahr listet mehrere Firmen auf, die
       Smart Guns entwickeln. Neben der deutschen Firma Armatix die amerikanischen
       Kodiak Industries oder iGun Technology Corporation. Daneben gibt es
       Start-ups wie Sentinl. Omer Kiyani hat es gegründet. Er ist beides,
       Waffenbesitzer und Opfer. Mit 16 wurde er versehentlich angeschossen. Seine
       Waffe soll mit einem biometrischen Sensor verlässlich nur in der Hand des
       Besitzers funktionieren – markttauglich ist sie ebenso wenig wie viele
       andere Entwicklungen.
       
       Unterstützt werden Unternehmer auch von der US-Regierung. Nach dem Amoklauf
       von Newtown im Dezember 2012 hat das Justizministerium im Haushalt 2
       Millionen Dollar angefordert, um die beste Forschung im Bereich sichere
       Waffen zu prämieren.
       
       Bleiben nur die schätzungsweise mindestens 300 Millionen Waffen, die in den
       USA bereits im Umlauf sind. Keine von ihnen ist „intelligent“. Sie werden
       nicht vom Markt verschwinden, argumentiert das [3][Violence Policy Center],
       eine Non-Profit-Organisation, die für die Reduzierung von Waffengewalt
       Lobbyarbeit betreibt. „Jede Diskussion um personalisierte Waffen sollte
       eine realistische Einschätzung beinhalten, was diese Technologie überhaupt
       erreichen kann“, heißt es in einem Papier zum Thema. Auch Smart Guns
       könnten weiterverkauft werden, dann halt mit Funkuhr. Und Kinder könnten
       mit weit weniger komplexen technischen Mitteln geschützt werden – etwa
       einer sicheren Verwahrung und einem Schloss am Abzug.
       
       ## Smart Gun statt Smith & Wesson?
       
       Die [4][Brady Campaign] sieht das anders. Die Lobbyorganisation hofft auf
       einen Durchbruch von Smart Guns, um Waffengewalt in den USA zu reduzieren.
       Deswegen hat die Organisation Mitte Mai Klage gegen den US-Bundesstaat New
       Jersey eingereicht. Der Staat habe es versäumt, regelmäßig Berichte über
       die Verfügbarkeit von Smart Guns zu erstellen und somit das Gesetz
       einzuhalten. „Die Umsetzung zu erzwingen, wird die Waffengewalt massiv
       reduzieren und Leben retten“, sagt Gregory G. Little, Berater der Brady
       Campaign.
       
       Doch würden Waffenbesitzer ihre Smith & Wesson gegen eine Smart Gun
       eintauschen? Der Besitz von Waffen ist für viele Amerikaner mehr als ein
       Mittel zur Selbstverteidigung. Waffen sind Statussymbol, Sammlerobjekt,
       Familienerbstück, manchmal gar Religion. Nicht zu ersetzen mit einer
       personalisierten Waffe. „Diese Technologie bereitet der Waffenindustrie
       einen ganz neuen Markt“, so eine Sprecherin des Violence Policy Center –
       für diejenigen, die sich eine Waffe im Haus bisher nicht vorstellen
       konnten.
       
       Ob die Smart Guns tatsächlich ihren Weg in die amerikanischen Läden finden,
       werden die NRA und die Waffengegner zwar entscheidend, aber nicht endgültig
       beeinflussen können. Es wird der anderen starken Kraft im Land obliegen.
       Dem freien Markt. Und der giert, immer nur kurzfristig von einem erneuten
       Amoklauf oder einem weiteren erschossenen Kleinkind irritiert, vor allen
       Dingen nach einem: mehr Waffen.
       
       11 Jun 2014
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.americanrifleman.org/blogs/smart--guns-dude-you-hacked-my-gun
   DIR [2] http://www.msnbc.com/all-in/watch/after-vowing-to-sell-a-smart-gun-a-mea-culpa-247522371551
   DIR [3] http://www.vpc.org/
   DIR [4] http://www.bradycampaign.org/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Rieke Havertz
       
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