# taz.de -- Die Inszenierung der Rolling Stones: Dauerhaft im Flüchtigen
> Anti-Beatles, Mythos der Moderne, Unternehmen, ewig junge Rock-Opas,
> größte Rock-’n’-Roll-Band aller Zeiten: Die Stones sind alles auf einmal.
IMG Bild: Die Stones haben sich den schwarzen Hut des Rock'n'Roll aufgesetzt. Und den gestreiften gleich dazu
Die Rolling Stones sind eine Lüge. Das ist nicht weiter schlimm. Unter
allen Lügen, die wir uns täglich gerne auftischen lassen, sind die Rolling
Stones noch eine der besseren. Genau genommen sind sie sogar eine Notlüge.
Weil sie den übermächtigen Beatles in kreativer oder innovativer Hinsicht
nicht das Wasser reichen konnten, ließen sie sich von ihrem damaligen
Manager Andrew Loog Oldham als Anti-Beatles inszenieren. „Wir setzten uns
den schwarzen Hut auf“, wie Keith Richards in einer neuen TV-Dokumentation
einräumt, „weil jeder gute Film einen Bösewicht braucht.“
Ästhetisch schöpften sie ihre behauptete Bedrohlichkeit aus dem
schwitzenden schwarzen Blues, der einen Rhythmusgitarristen wie Keith
Richards nicht überforderte. Hinzu kam die sexuelle Ambivalenz und damit
Energie eines Mick Jagger, der sich seinen Gesangsstil sehr detailliert bei
Van Morrison abgehorcht hatte.
Ihre großen Songs? Hatten das große Glück, in eine große Zeit zu fallen.
Ihre eigene große Zeit endete, wie die Zeit aller Dinosaurier dieser Ära,
spätestens 1979. Das eigentliche Wunder dieser Gruppe besteht darin, dass
sie als Gruppe bis zum heutigen Tage bestehen blieb. Damit setzen sie einem
auf Flüchtigkeit gebauten Genre die eigene Dauerhaftigkeit entgegen. Ihre
musikalische Erwartbarkeit gilt inzwischen als Verlässlichkeit. Längst ist
ihr Logo, die so aufreizend wie provokant ausgestreckte Zunge, zum
Markenzeichen eines weltweit operierenden Unternehmens geworden.
Jagger, Richards, Wood und Watts sind die Teilhaber eines Konzerns, dessen
Geschäfte vier Jahrzehnte von dem unlängst verstorbenen Rupert Loewenstein
geführt wurden. Der deutsche Aristokrat machte seinen Job unauffällig – und
perfekt. Seitdem verkauften sie immer weniger und weniger Platten,
verdienten aber umso mehr und mehr Geld. Vor allem mit ihren Konzerten,
könnte doch schon seit mehr als 30 Jahren jede Tournee ihre letzte sein.
## Gottesdienst und Altersheim
Umso einhelliger das Lob, das ein Mick Jagger, 70, inzwischen allein für
seine physische Präsenz einstreicht. Die meisten Rezensionen lesen sich,
als kämen die Kritiker geradewegs von einem Gottesdienst. Oder aus dem
Altersheim: „Mensch, Opa ist aber wirklich noch fit!“ Da sieht man es ihm
gerne nach, dass er stets die gleichen alten Geschichten erzählt.
Wobei die epische Erzählung von der eigenen Unsterblichkeit ihren
eigentlichen Markenkern bildet. Stellvertretend für ihr Publikum haben die
Stones alle nur denkbaren Exzesse bis zur Neige genossen. Anders aber als
ein Großteil ihres Publikums von vor 50 Jahren sind die Hedonisten immer
noch „alive and kickin’“. Sie haben alle ihre Kritiker überlebt und die
Kritiker ihrer Kritiker.
Sie werden allein deshalb die größte Rock’n’Roll-Band aller Zeiten bleiben,
weil die Zeiten des Rock’n’Roll zusehends zu Ende gehen. In nur einem
halben Jahrhundert sind die Rolling Stones zu einem Mythos der Moderne
geworden. Und der Mythos ist eine höhere Form der Wahrheit. Keine schlechte
Karriere für eine Lüge.
10 Jun 2014
## AUTOREN
DIR Arno Frank
## TAGS
DIR The Beatles
DIR Rock'n'Roll
DIR Rolling Stones
DIR Lesestück Recherche und Reportage
DIR Rolling Stones
DIR Blues
DIR Rolling Stones
DIR Rolling Stones
DIR Mick Jagger
## ARTIKEL ZUM THEMA
DIR Ein Museum für Rolling-Stones-Fans: Endlager in Sachen Stones
Die Rolling Stones sind allemal reif fürs Museum. Und das einzige seiner
Art steht im Wendland: In Lüchow stellt Uli Schröder aus.
DIR Konzert der Rock'n'Roller in Berlin: Damen und Herren, die Rolling Stones
Sie sind längst Teil des Weltkulturerbes und ein Ereignis, das man mal
gesehen haben sollte: Die Rolling Stones spielten am Freitag in Berlin.
DIR Konzert von Van Morrison: Kleiner Mann mit großer Stimme
Bei ihm groovte jeder Song: Van Morrison gab in Stuttgart sein einziges
Deutschlandkonzert. Vorab: Gospelgöttin Mavis Staples.
DIR Legendäres Stones-Konzert in Berlin: Beat und Schläge
Die Randale nach dem Konzert 1965 in der Waldbühne hatte auch Folgen für
DDR-Beatbands. Das Regime ging danach hart gegen sie vor.
DIR Stones-Konzert 1965 in der Waldbühne: „Een Irrsinn war det“
Die rechte Presse geiferte, die Fans randalierten. 1965 traten die Rolling
Stones erstmals in der BRD auf. Bommi Baumann war in der Waldbühne dabei.
DIR Mick Jagger wird 70: Das Zentralorgan des Rock
Mick Jagger verkörpert das Versprechen darauf, dass die Party nie zu Ende
geht. Am Freitag wird er 70 Jahre alt. Gefeiert hat er schon.
DIR die wahrheit: Keith Richards litt am Arschloch der Welt
Dass Mick Jagger nichts in der Hose hat, weiß jetzt endlich jeder, Keith
sei Dank. Wer die Autobiografie des Rolling-Stones-Gitarristen noch nicht
gelesen hat, dem wird ...
DIR Die Ikonisierung von "The Doors": Komm, wir gießen Öl ins Feuer
Warum erscheint ein neuer Film über den Rocktoten Jim Morrison und seine
Band The Doors? Ein Blick in die Vergangenheit hilft bei der Beantwortung.