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       # taz.de -- Bauernverband und Massentierhaltung: Hilses Abwehrkräfte schwinden
       
       > Auf die Ärzte-Initiative gegen Massentierhaltung reagiert Niedersachsens
       > Bauern-Boss Werner Hilse mit Ablenkungsmanövern.
       
   IMG Bild: Die Proteste gegen die Vergabe von Antibiotika sind alt - vielleicht finden sie mehr Gehör, wenn sich auch die Bauern davon bedroht fühlen.
       
       BREMEN taz | Als in der Woche vor Pfingsten eine Gruppe anerkannter
       Infektiologen und Hygiene-Ärzte in Hannover die bundesweite
       „Ärzte-Initiative gegen Massentierhaltung“ vorstellte, hätten die Bauern
       und ihre Interessenvertreter alarmiert sein müssen: Sie sind zu allererst
       gefährdet durch den Vormarsch antibiotikaresistenter Keime.
       
       Aber statt einer besorgten Nachfrage, wie man sich denn schützen könne, kam
       bloß eine motzige Erklärung von Werner Hilse: Der ist Vorsitzender des
       Landvolks, wie der Bauernverband in Niedersachsen heißt, und er forderte,
       jeder solle „vor seiner eigenen Tür [1][kehren]“. Doch der Versuch, vom
       Thema abzulenken, ist höchst fahrlässig. Schließlich hat gerade erst der
       Chef der Weltgesundheitsorganisation, Keiji Fukuda, zu „schnellem und
       koordiniertem Handeln“ gegen Antibiotikaresistenzen aufgerufen. Sonst
       bewege sich „die Welt in eine postantibiotische Ära, in der gewöhnliche
       Infektionen wieder tödlich sein können“.
       
       Das aber betrifft zu allererst die Mitglieder des Landvolks. Denn: Die
       Nasenschleimhäute von Schweinehaltern sind laut „MedVet-Staph“, dem vom
       Bundeswissenschaftsministerium initiierten Forschungsverbund, „bis zu
       [2][77] Prozent“ mit dem MRSA-Erreger besiedelt, und laut Robert
       Koch-Institut haben „Menschen mit direktem Tierkontakt ein [3][138-fach
       erhöhtes] Risiko eine MRSA-Besiedlung zu erwerben als nicht Exponierte im
       gleichen Umfeld“.
       
       ## Langwierige Therapien
       
       Zwar ist eine MRSA-Besiedlung an sich keine Krankheit. Aber: Selbst ein
       Kratzer kann, MRSA-infiziert, zum ernsten gesundheitlichen Problem werden,
       das lange Therapien, den Verlust betroffener Gliedmaßen und Schlimmeres
       nach sich zieht. Erschreckend an Hilses Erklärung ist ihre Ignoranz: statt
       sich um die Gesundheit der Verbandsmitglieder seines Verbands zu sorgen,
       verwahrt sich der Bauernboss vor allem „gegen eine Differenzierung der
       Landwirtschaft in ’groß‘ und ’klein‘“.
       
       Dabei ist der Zusammenhang zwischen Resistenz, Tierstückzahl und
       Haltungsform empirisch belegt: Eine Mikrobiologen-[4][Gruppe] hatte schon
       2011 das Fehlen der besorgniserregenden Keime in tiergerechten
       Haltungssystemen festgestellt. In der Vorgänger-Untersuchung hatte dasselbe
       Team Besiedlungswerte nahe 100 Prozent in „konventionellen“ Betrieben
       nachgewiesen.
       
       Irreführend ist vor diesem Hintergrund Hilses Hinweis auf „Studien
       britischer Wissenschaftler“. Vermutlich ist es eine einzige. Anfang des
       Jahres sorgte die Fehlinterpretation einer vom Mikrobiologen Guanghui Wu
       koordinierten Untersuchung in Schweinehalterforen für ein großes Hallo. Sie
       beschäftigt sich, anders als Hilse offenbar glaubt, nicht mit sämtlichen
       resistenten Keimen, sondern [5][nur mit einem]: Escherichia coli des
       Resistenztyps eSBL – also Bakterien, die ein viele Antibiotika aushebelndes
       Enzym [6][bilden].
       
       ## Fragwürdige Studie
       
       Allerdings hat Wu nur sehr wenige Tier-Isolate aus einem mit vier Jahren
       vergleichsweise großen Zeitraum gesammelt. Basis der Untersuchung sind
       Proben von 35 Puten – (drei davon vom Kontinent), 157 Hühnern (fast alle
       aus den Niederlanden) und insgesamt 17 Schweinen (davon eins britisch).
       Verglichen wurde mit 274 Menschen-Isolaten, mehrheitlich aus dem UK. Starke
       Mensch-Tier-Übereinstimmungen hat er nur bei 1,2 Prozent gefunden.
       
       Das mag am Design liegen: Die allein auf die Niederlande und den Vergleich
       von erkrankten Menschen und Geflügel [7][fokussierte] Untersuchung der
       Mikrobiologin Maurine Leverstein-van Hall hatte bei 516 menschlichen und 98
       tierischen Proben aus einem Dreimonats-Zeitraum eine Übereinstimmung von 35
       Prozent der menschlichen mit den tierischen Erregerstämmen gezeigt. In
       einem noch breiteren Rahmen hat den Zusammenhang gleichzeitig die
       Medizinerin Ilse Overdevest in ihrer Dissertation untersucht - mit
       ähnlichen [8][Ergebnissen].
       
       Trotzdem bleibt wahr, dass Doktor Wuss Stichproben-Ergebnisse wie er selbst
       schreibt "nahe legen (suggest), dass das Wichtigste , um die Ausbreitung
       von ESBL-positiven E.coli unter Menschen unter Kontrolle zu bringen,
       derzeit die Minimierung der Mensch-zu-Mensch-Übertragung" ist. Das
       allerdings ist schon seit Jahren weltweit Lehrmeinung.
       
       Recht hat Hilse, wenn er betont, dass die Verordnung von Antibiotika allein
       Sache von Ärzten ist. „In der Landwirtschaft werden Antibiotika nicht
       prophylaktisch eingesetzt, sondern ausschließlich auf Anordnung eines
       Tierarztes zur Behandlung kranker Tiere“, hat er klargestellt. Der
       Medikamenteneinsatz werde damit „auf Notfälle“ begrenzt.
       
       Das ist indes nicht beruhigend. Denn die Vergabe erlaubt - ganz im Sinne
       des von Thomas G. Blaha und seinen Promovenden bereits 2006 am Versuchsgut
       der Tierärztlichen Hochschule Hannover für die Schweine-Haltung
       entwickelten [9][Tierbehandlungsindex] - Rückschlüsse auf die Morbidität
       der Tiere. Sprich: Im Postleitzahlen-Bereich 49 – also von Osnabrück bis
       Haren und zwischen Meppen und Lohne – leben nicht nur sehr viele, sondern
       vor allem sehr kranke Tiere.
       
       ## Tiermedizinischer Notfall
       
       Denen wurden laut dem im April vom Bundesamt für Gesundheit
       [10][vorgelegten] „Bericht über den Antibiotikaverbrauch“ allein 2012 bis
       zu 800.000 Kilo Antibiotika verabreicht, das entspricht rund 90 Kilo
       stündlich.
       
       Das ist ein schlagender Beweis dafür, dass Kurzmastbroiler krank werden,
       wenn bis zu 28 Tiere auf einem Quadratmeter eingequetscht werden. Und dass
       diese Enge jede Krankheit zur Stall-internen Epidemie avancieren lässt, ist
       klar: Das Emsland ist, nach der Analyse der Landvolk-Chefs, ein einziger
       tiermedizinischer Notfall. Gut, dass er das endlich einsieht.
       
       9 Jun 2014
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.bauernverband.de/jeder-muss-vor-seiner-tuer-kehren
   DIR [2] http://medvetstaph.net/DE/bish_hauptergebnisse.html
   DIR [3] http://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Antibiotikaresistenz/LA_MRSA_und_ESBL.html#doc2774670bodyText13
   DIR [4] http://aem.asm.org/content/78/4/1296.full
   DIR [5] http://www.plosone.org/article/info:doi/10.1371/journal.pone.0075392
   DIR [6] http://www.bfr.bund.de/de/fragen_und_antworten_zu_esbl__und_ampc_bildenden_antibiotikaresistenten_keimen-106471.html
   DIR [7] http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/j.1469-0691.2011.03497.x/full#t1
   DIR [8] http://wwwnc.cdc.gov/eid/article/17/7/11-0209_article.htm
   DIR [9] http://www.tiho-hannover.de/nc/forschung/publikationen-suchen/
   DIR [10] http://www.bvl.bund.de/DE/05_Tierarzneimittel/05_Fachmeldungen/2014/2014_04_10_Fa_germap2012.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Benno Schirrmeister
       
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