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       # taz.de -- Rheinmetall und Rüstung für Russland: Gruß aus Nischni-Schnöggersburg
       
       > Verstößt Deutschlands größter Rüstungskonzern gegen das Waffenembargo?
       > Rheinmetall baut in Russland ein Gefechtsübungszentrum.
       
   IMG Bild: Mai 2013: Protest gegen den Rüstungskonzern Rheinmetall in Berlin.
       
       BREMEN taz | Rheinmetall Defence könnte die Verwirrung beseitigen. Aber
       Deutschlands größter Rüstungskonzern lässt bloß „um Verständnis bitten“
       dafür, dass man zum Thema des Gefechtsübungszentrums (GÜZ) Mulino „derzeit
       keine Stellungnahme abgeben“ werde. Vielleicht will man ja bloß nicht
       jammern. Denn Mulino ist schließlich das Projekt, mit dem der Konzern
       offiziell das spektakulärste deutsche Opfer infolge der Ukraine-Krise
       erbringt.
       
       Das GÜZ Mulino entsteht westlich von Nischni Nowgorod auf einem Areal von
       mehr als 500 Quadratkilometern. Den Vorläufer, das GÜZ Letzlingen bei
       Magdeburg, hat man mithilfe der Bundeswehr-Erfahrungen, optimiert, so dass
       nun laut Rheinmetall in der Wolga-Region „die weltweit modernste
       Trainingsbasis“ gebaut wird: Pro Jahr sollen 30.000 Soldaten dort
       durchgeschleust werden.
       
       Unter anderem ist geplant, dass sie dort Häuserkampf lernen, inklusive der
       Erstürmung von Verwaltungsgebäuden. Dafür soll extra eine Modellstadt
       entstehen, die den Rahmen für das Gefechtsszenario bildet und beim
       deutschen Vorläufer „Schnöggersburg“ heißt. Doch nach dem
       Sanktionsbeschluss des EU-Ministerrats musste Rheinmetall Defence das
       Geschäft stoppen.
       
       Generalunternehmer ist die staatliche JSCo Oboronservis. Aber Konzept,
       Hard- und Software stammen aus den Rheinmetall-Laboratorien. Am 19. März
       hatte Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) angesichts der Krim-Annexion die
       weitere Ausfuhr von Gerätschaften für „nicht vertretbar“ erklärt – und
       gestoppt. Die Einschätzung gilt weiterhin, das Exportverbot auch.
       
       ## Politische Entwicklung unwichtig
       
       Allerdings gibt es Hinweise, dass das nicht alle so eng sehen. Im
       russischen Verteidigungsministerium ist General Dimitri Bulgakow, einer der
       acht Vize-Minister, für die Deutschland-Kontakte zuständig. Ende Mai
       verkündete er, die politische Entwicklung werde „absolut keinen Einfluss“
       auf die Realisierung des GÜZ haben, man liege „voll im Zeitplan“.
       
       Propaganda? Möglich, dass russische Politiker ein eigenes Interesse daran
       haben, Unsicherheit zu schüren. Doch passen die Sprüche Bulgakows zu
       Aussagen von Unternehmensinsidern: Bislang habe der offensiv verkündete
       Ausfuhrstopp „für nicht eine Stunde Pause zusätzlich“ gesorgt, erfährt man.
       Noch im Mai seien Fachleute aus dem zuständigen, auf Simulations-Elektronik
       spezialisierten Standort Bremen in die Wolga-Region geflogen. Die Montage
       laufe.
       
       „Der wertmäßig weit überwiegende Teil der für die Errichtung des
       Gefechtszentrums notwendigen Güter ist nicht nach Russland ausgeführt
       worden“, sagt dagegen ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums. Doch dieser
       Satz wäre ja auch wahr, wenn die Güter in Russland in Lizenz produziert
       würden, wie Rheinmetall Defence das in anderen Fällen auch macht.
       
       Der Deal ums Mulino-GÜZ wird auch anderswo skeptisch bewertet, weil die
       russische Armee das Truppenübungsgelände Mulino gern zusammen mit den
       weißrussischen Streitkräften nutzt. So behauptet der US-amerikanische
       Journalist Josh Rogin im News-Portal The Daily Beast, Deutschland solle
       Russland im Rahmen des Mulino-Deals bereits für den Krieg vorbereiten.
       „People are pissed“, zitiert er eine anonyme Pentagon-Quelle, stützt sich
       aber auch auf die Analyse von Vize-Admiral Franc C. Pandolfe.
       
       ## Strategische Neuorientierung
       
       Pandolfe hatte Anfang April vor dem Kongress den Zustand des russischen
       Heeres erläutert, das zwar nur über „begrenzte logistische Fertigkeiten“
       verfüge, aber seit dem Georgien-Krieg 2008 eine bemerkenswerte strategische
       Neuorientierung erfahren habe. Der Schwerpunkt liege nun auf der Bildung
       schneller und beweglicher Spezialeinheiten. Diese seien auf
       Überraschungsangriffe trainiert (snap exercises), gewieft im Umgang mit
       neuester Informationstechnologie – und ausgebildet, als hätten sie lange in
       Schnöggersburg gelebt.
       
       Auch die Hauptversammlung von Rheinmetall Defence hat, wie der kritische
       Aktionär Michael Ebeling auf seinem Blog [1][devianzen.de] mitteilt, keine
       Klarheit gebracht: So habe der Vorstand beklagt, dass Gabriels Ausfuhrstopp
       bis 2015 einen Umsatzverlust von insgesamt 64 Millionen Euro bedeute.
       Zugleich gebe er an, dass der Umsatz im Russlandgeschäft, wo es nur diesen
       einen großen Mulino-Auftrag gibt, seit 2011 auf 75 Millionen Euro
       geklettert sei. Vorher habe dort eine Null gestanden.
       
       9 Jun 2014
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://devianzen.de
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Benno Schirrmeister
       
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