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       # taz.de -- Stones-Konzert 1965 in der Waldbühne: „Een Irrsinn war det“
       
       > Die rechte Presse geiferte, die Fans randalierten. 1965 traten die
       > Rolling Stones erstmals in der BRD auf. Bommi Baumann war in der
       > Waldbühne dabei.
       
   IMG Bild: Die Stones am 4. Juni in Tel Aviv. Mick Jagger (l.) ist mittlerweile Uropa.
       
       BERLIN taz | Gefühlt waren die Rolling Stones an jenem 15. September 1965
       20.000 Lichtjahre von zu Hause entfernt. Deutschland, ganz besonders
       Westberlin, war in Sachen Beatmusik Entwicklungsland, und die Stones, deren
       Selbstbewusstsein durch ihre wenige Monate zuvor absolvierte erste US-Tour
       gestärkt war, kamen sich vor, als wären sie im Mittelalter gelandet.
       
       An jenem Spätsommerabend vor bald 49 Jahren gastierte die Londoner Band bei
       ihrer Deutschland-Premiere in der Waldbühne, einem Freilichtheater, wo zur
       Nazizeit „Thing-Spiele“ veranstaltet wurden. Was sie vorfanden, eine
       lausige Verstärkeranlage und provinzielle Stimmungsmache in den Zeitungen.
       Doch die ließ die Stones nur noch unnahbarer werden.
       
       Berlin war die zweite Station ihrer Deutschland-Tournee, die Massenmedien
       gingen präventiv in Stellung. „Fünf junge Männer, die die Haare länger
       tragen als Mädchen und eine erbärmlich einfallslose primitive Musik zum
       Besten geben“, so beschrieb der Leiter des FAZ-Feuilletons, Karl Korn, am
       14. September 1965 die Band. Ein Schreibtischtäter in vielerlei Hinsicht.
       Anlässlich einer Kritik zum Nazi-Propagandafilm „Jud Süß“ in der
       Zeitschrift Das Reich bemerkte Korn 1940, dass das „jüdische Problem in
       Deutschland […] innerlich bewältigt“ sei. Nun also galt es, Popmusik in
       Herrenmensch-Diktion zu erledigen: Korn wollte bei den britischen Musikern
       „affenähnliche ruckweise Bewegungen“ beobachtet haben.
       
       Michael „Bommi“ Baumann absolvierte damals eine Lehre zum Betonbauer und
       wohnte noch bei seinen Eltern im Bezirk Reinickendorf. Mit breiter Berliner
       Schnauze schildert er den gesellschaftlichen Druck Mitte der sechziger
       Jahre auf die junge Generation. „Du warst von Haus aus abjegessen. Musstet
       dir jut überlegen, wie de aussiehst. Konntest nicht einfach mit langen
       Haaren rumlaufen. Wenn Hertha BSC am Sonnabend jespielt hat, war die Gefahr
       groß, einem Haufen Halbbesoffener in die Hände zu fallen. Die hätten dir
       den Schädel einjeschlagen. Auch die Eltern haben dir Ärger gemacht, Leim in
       det Haar jekippt. Du durftest keene Cordhosen tragen, Rollkragenpullover
       und Stiefel och nich, oder du galtest als schwul.“
       
       ## „Brian Jones war damals der wichtige Stone“
       
       Trotzdem modellierte Baumann sein Aussehen nach den Plattencovern der
       Stones. „Damals war ja Brian Jones der wichtige Stone, nicht Jagger, und
       Keith Richards och nicht.“ Was Baumann an Beatmusik kannte, schnappt er
       beim US-Armeesender AFN auf. In der Nachmittagssendung „Frolic at Five“
       liefen regelmäßig R&B-Stücke, aber auch Songs von britischen Beatbands.
       
       Berühmt geworden ist Baumann Ende der Sechziger als Teil des linksradikalen
       Untergrunds, zunächst als umherschweifender Haschrebell, dann bei den
       Tupamaros Westberlin und schließlich bei der Bewegung 2. Juni. Dem
       bewaffneten Kampf hat er schon lange abgeschworen. Inzwischen im
       Rentenalter, öffnet er die Tür im Pyjama, trinkt beim Gespräch eine Tasse
       Kaffee, freut sich über die mitgebrachten Mentholzigaretten, „darf ick
       eigentlich gar nicht rauchen, die Dinger“. Stolz zeigt er auf seine
       Sammlung von Kassetten und CDs, die in alten Koffern in seinem Zimmer
       untergebracht sind. Erzählt von Berliner Kapellen, deren Musiker er
       persönlich kannte, von Beat-Clubs in Britz und Lübars. Er war damals dabei,
       als die Stones zum ersten Mal in der Waldbühne auftraten.
       
       Dafür opferte Baumann ein Drittel seines Wochenlohns, die Tickets kosteten
       zwischen sechs und acht Mark im Vorverkauf, eine Menge Geld, nicht nur für
       einen Lehrling. „Vor den Stones haben zig Berliner Vorgruppen gespielt, in
       meiner Erinnerung hat et ’ne halbe Ewigkeit jedauert.“ Mehr als 20.000
       Zuschauer waren in die Waldbühne gekommen, darunter Polizei zu Pferd und
       Ordner mit Wachhunden. Vor dem Eingang warteten mehrere tausend Jugendliche
       ohne Ticket.
       
       Die Stones beginnen mit „Everybody needs somebody to love“, eine
       Coverversion des Soul-Sängers Solomon Burke. Währenddessen brechen vor der
       Bühne Tumulte aus, es ist eng und stickig, einzelne versuchen, auf die
       Bühne zu gelangen, den Stones wird es zu viel, sie verschwinden. Nach
       kurzer Zeit kehren sie auf die Bühne zurück und spielen ziemlich lustlos
       sieben weitere Songs, fast alles Coverversionen bis auf „The Last Time“ und
       „(I can’t get no) Satisfaction“. Ihr Konzert sollte eine knappe halbe
       Stunde dauern. „Det war nich so doll, man hat sich viel mehr versprochen
       davon, die Stones live zu sehen. Und mit Zugabe war och nischt.“
       
       ## Brennende -Hefte
       
       Dann ging das Bühnenlicht aus, ohne Begründung. Ende Gelände. Frustrierte
       Fans reißen zunächst die hölzernen Sitzbänke aus den Verankerungen, dann
       biegen sie Laternen um, schmeißen Flaschen auf die Bühne, zünden Feuer an.
       „Überall waren große Stapel von Bravo-Heften ausgelegt, die waren ja
       Mitveranstalter, die sind dann erst durch die Luft geflogen, wurden als
       Konfetti verwendet und dann verbrannt, een Irrsinn war det.“ Bommi Baumann
       erinnert sich auch daran, dass ein Polizist von seinem Pferd
       heruntergerissen wurde. An den Villen im Umkreis der Waldbühne seien
       Scheiben eingeschmissen worden, Stunden später wurden S-Bahn-Züge, die
       damals von der DDR betrieben wurden, demoliert.
       
       Die Ost-Presse reagierte gereizt. In der Berliner Zeitung vom 18. September
       1965 wurde der Sekretär der SED-Berlin und Mitglied des Politbüros Paul
       Verner mit den Worten zitiert, es handle sich bei den Rolling Stones nicht
       um Musik, sondern um „schmutzige Politik“. „Die Ereignisse in der Waldbühne
       sind Teil der psychologischen Kriegsvorbereitung. Statt einer
       konstruktiven, die Jugend fördernden Entwicklung bietet man den jungen
       Menschen fünf geistesschwache ’rollende Steine‘.“
       
       Und die Stones? Die lachten sich ins Fäustchen: Schon die erste
       Schlagzeile, die ihnen jemals in einer überregionalen britischen
       Tageszeitung eingeräumt wurde, sollte auf Jahre hinaus den Lauf der Dinge
       bestimmen: „Bad news is good news for the Stones“, Daily Mirror, 1963.
       
       9 Jun 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Julian Weber
       
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