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       # taz.de -- „The House of One“ in Berlin: Drei Religionen bauen gemeinsam
       
       > Am Petriplatz in Berlin-Mitte soll ein gemeinsames Bethaus für Christen,
       > Juden und Muslime entstehen - ein Experiment mit ungewissem Ausgang.
       
   IMG Bild: Drei Steine für ein Hallelu... nein, wir wollen ja keine Religion bevorzugen (v. l. n. r.: Gregor Hohberg, Tovia Ben-Chorin, Kadir Sanci).
       
       BERLIN taz | Und siehe, aus dem Volk Gottes wurde eine Crowd, und die Crowd
       baute ein Haus. Das Haus des Einen. Crowdmäßiger ausgedrückt: The House of
       One.
       
       Wenn das jetzt unklar war, hier die Auflösung: Seit diesem Dienstag
       betreibt das interreligiöse Projekt "The House of One" ein Crowdfunding, um
       den Bau eines Multifunktionsgebäudes auf dem Petriplatz in Mitte zu
       ermöglichen. Darin, in ausgeklügelter räumlicher Verteilung: eine Synagoge,
       eine Moschee und eine Kirche, aber auch ein zentraler Veranstaltungsraum,
       in dem sich die Vertreter der drei monotheistischen Religionen sowie andere
       interessierte Berliner begegnen sollen.
       
       Mit einer sehr professionell gestalteten Website ([1][house-of-one.org])
       wirbt der Ende 2011 gegründete Verein "Bet- und Lehrhaus Petriplatz Berlin
       e. V." um die Spendenbereitschaft der Berliner. Da es sich bei dem bereits
       vorliegenden Entwurf für das "House of One" um ein Gebäude aus
       Ziegelmauerwerk handelt, kann man - symbolisch, versteht sich - einen oder
       mehrere Steine im Wert von 10 Euro kaufen. Insgesamt müssen 43,5 Millionen
       Euro zusammenkommen.
       
       ## Experiment am historischen Ort
       
       Nach außen hin hat das Projekt vor allem drei Gesichter: Gregor Hohberg,
       Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde St. Petri-St. Marien, Tovia
       Ben-Chorin, Rabbiner der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, und Kadir Sanci -
       der Imam vertritt den muslimischen Verein [2]["Forum für Interkulturellen
       Dialog" (FID)]. Den Anstoß gegeben haben die Kirchengemeinde und der
       Kirchenkreis Stadtmitte - sie wollten den historischen Petriplatz zwischen
       Auswärtigem Amt und Fischerinsel für das interreligiöse Experiment nutzen.
       An dem Ort, der als Berlins Keimzelle im Jahr 1237 gilt, sollen Christen,
       Muslime und Juden den respektvollen Gedankenaustausch einüben und
       gleichzeitig - säuberlich getrennt - die eigenen Kulte zelebrieren. Auch
       ein Zugang zu archäologischen Funden, den Grundmauern der mittelalterlichen
       Petrikirche sowie der Lateinschule Berlins, ist vorgesehen.
       
       "Wir hoffen, einen großen Teil des Geldes bis Anfang 2016 einsammeln zu
       können", erklärt Gregor Hohberg den ambitionierten Plan. Die Planungen der
       Architekten seien bereits jetzt so weit fortgeschritten, dass dann mit dem
       Bau begonnen werden könne. Das selbst gesteckte Ziel ist freilich hoch, und
       von den Institutionen, die hinter den Beteiligten stehen, wird es keine
       finanzielle Förderung geben.
       
       Im Gegensatz zu dem kleinen Verein FID und der Jüdischen Gemeinde, die seit
       Jahren mit Finanzproblemen kämpft, wäre die evangelische Landeskirche
       (EKBO) zu einer monetären Unterstützung sicherlich in der Lage. Allerdings,
       erklärt Hohberg, sei das gar nicht gewollt: "Wir sind eine Basisbewegung,
       bei der von Anfang an alles paritätisch gelaufen ist. Und wir wollen, dass
       das so bleibt." Keine Gruppe solle finanzielles Übergewicht gewinnen und
       mehr Einfluss haben als die anderen.
       
       Für den Fall, dass den Spendern die Puste schon früher ausgeht, hat der
       Verein bereits einen Plan B: Schon mit 10 Millionen Euro würde er nach
       eigenen Angaben einen ersten Bauabschnitt realisieren - ein Basisgebäude,
       das für bestimmte Zwecke bereits nutzbar wäre. Dann könnte in Ruhe
       weitergesammelt werden. Kommt allerdings noch weniger als dieser Betrag
       zusammen, sieht die Satzung vor, die Mittel für Projekte aufzuwenden, "die
       zum gegenseitigen Verständnis der Religionen beitragen".
       
       ## Welche Rolle spielt Gülen?
       
       Das gegenseitige Verständnis ist der Dreh- und Angelpunkt, wahrscheinlich
       aber auch die Achillesferse des "House of One". Schon das Standing der
       Beteiligten ist sehr unterschiedlich: Mit der EKBO, die den Plan nach
       anfänglicher Skepsis unterstützt und auch bewirbt, hat das Projekt rund 1,3
       Millionen protestantische Christen im Rücken. Auch die Berliner Katholiken,
       von denen vorerst niemand im Boot sitzt, begrüßen nach Angaben des
       Erzbistums-Sprechers die Idee ausdrücklich.
       
       Dagegen repräsentiert das FID ein sehr überschaubares Segment der
       zerklüfteten muslimischen Community: sunnitisch und türkischsprachig, sind
       seine Mitglieder zudem der Bewegung des im US-Exil lebenden türkischen
       Predigers und Islamgelehrten Fethullah Gülen zuzurechen. Gülen, dessen
       Anhänger ein internationales Netzwerk an Bildungseinrichtungen aufgebaut
       haben, firmiert als Ehrenvorsitzender des Vereins.
       
       Die Idealisierung, die seine Anhänger Gülen entgegenbringen, hat bisweilen
       Züge von Heiligenverehrung. Und auch wenn er sich heute den friedlichen
       Dialog zwischen den Kulturen auf die Fahnen geschrieben hat, kursieren
       Texte aus den neunziger Jahren im Internet, in denen er antijüdische Töne
       anschlägt. Vielleicht erklärt das unter anderem die Zurückhaltung, mit der
       offenbar ein Teil der Jüdischen Gemeinde dem Religionen-Bündnis
       gegenübersteht. Auf ihrer [3][Website] gibt die Gemeinde bislang keinen
       Hinweis auf das Projekt.
       
       "Es gab von unserer Seite durchaus Überlegungen, wie wir mit dem Verhältnis
       des FID zu Gülen umgehen", sagt Maya Zehden, neben Rabbiner Ben-Chorin die
       zweite jüdische Vertreterin im Vorstand des Bethaus-Vereins. Es gebe aber
       wenige muslimische Gruppen, die für eine Kooperation mit der Jüdischen
       Gemeinde offen seien, und man habe entschieden, die Zusammenarbeit nicht
       von der Figur des Ehrenvorsitzenden abhängig zu machen. "Es geht um die
       Zukunft und um den Dialog - und den führen wir mit den Personen, die am
       Projekt beteiligt sind."
       
       Über Gülens Verhältnis zum Judentum sagt Ercan Karakoyun, langjähriger
       Geschäftsführer des FID und seit kurzem Vorsitzender der Gülen-nahen
       Stiftung Dialog und Bildung, der Prediger habe seine frühere Meinung längst
       revidiert, auch durch viele Kontakte mit jüdischen Vertretern seit den
       neunziger Jahren. "Sein Bild des Westens, Israels und der USA war das
       Mainstream-Bild in der Türkei der neunziger Jahre, das durch die
       kemalistischen Regimes vermittelt wurde", so Karakoyun. Gülen habe heute
       eine andere Sichtweise, predige diese und setze sich aktiv für die Rechte
       von Juden und anderen Minderheiten ein.
       
       Im vergangenen Jahr kam es in der Türkei zu einem erbitterten Konflikt
       zwischen der Gülen-Bewegung und der ebenfalls religiösen Erdogan-Regierung,
       dessen Partei AKP lange mit dem Prediger an einem Strang gezogen hatte.
       Pfarrer Hohberg sagt, man habe das natürlich mit Bedauern verfolgt. Davon
       abgesehen sei das Verhältnis des Berliner FID zur Gülen-Bewegung sowie
       deren Inhalte eingehend überprüft worden - "dabei war auch unserem
       muslimischen Partner Klarheit sehr wichtig". Hohbergs Fazit: "Wir konnten
       nichts finden, was gegen das FID spricht."
       
       ## Nicht alles ist vereinbar
       
       Aber was spricht überhaupt für ein gemeinsames Haus? Hartmut Zinser,
       Religionswissenschaftler an der Freien Universität, ist ein wenig
       skeptisch: Früher schon habe die Eröffnung gemeinsamer Gebetsräume für
       großes Interesse gesorgt, ihre praktische Bedeutung sei aber marginal
       geblieben. Letztlich komme es sehr auf die beteiligten Persönlichkeiten und
       ihr Engagement für die Sache an. Dass es ganz ohne Konflikte abgehen kann,
       bezweifelt Zinser: "Religionen geben Antworten auf die Frage 'Wie soll ich
       leben?', und diese Antworten fallen unterschiedlich aus. Im Einzelfall kann
       man sie nicht vereinbaren." Andererseits könnten die drei Gruppen sich im
       Alltag relativ leicht aus dem Weg gehen, da ihre regulären Zeremonien auf
       verschiedene Wochentage fallen.
       
       An Themen dürfte es Gottes Crowd also nicht mangeln. Die Frage ist eher:
       Redet sie wirklich miteinander?
       
       6 Jun 2014
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://house-of-one.org
   DIR [2] http://dialog-berlin.de/
   DIR [3] http://www.jg-berlin.org
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Claudius Prößer
       
       ## TAGS
       
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