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       # taz.de -- Sri Lankas Nordosten: Warten auf Revanche
       
       > Fünf Jahre nach Ende des Bürgerkriegs setzt das Land auch in den
       > tamilischen Regionen auf Tourismus. Obwohl die Vergangenheit Schatten
       > wirft.
       
   IMG Bild: Auf der Fähre in Jaffna.
       
       TENGALLE taz | Einen besseren Frühstücksdirektor als Viraj kann sich
       niemand wünschen. Der Mittvierziger – drahtig, charmant, in der Welt
       herumgekommen – präsentiert sich stets bestens gelaunt, plaudert witzig und
       klug, spricht Englisch so gut wie Französisch: die Insel, das Wetter, der
       Dorfklatsch, die Busverbindungen, der verstauchte Knöchel einer Urlauberin.
       Viraj trifft den richtigen Ton, gibt die passenden Tipps und komplettiert
       auf diese Weise eine Atmosphäre, die bereits ohne ihn ziemlich perfekt
       anmutet.
       
       Schon die Strände von Tengalle sind atemberaubend: weitläufig, menschenleer
       und von den Zumutungen moderner Zwangsbespaßung noch unberührt. Und während
       die Meeresbrandung das Hirn in einen Zustand selten gekannter
       Tiefenentspannung versetzt und man sich fragt, ob hier nicht vielleicht
       doch das bessere Leben wartet, ist es auch Zeit, wieder aufzuwachen aus
       dieser Verzerrung der Perspektiven, der nur erliegen kann, wer nicht von
       hier ist.
       
       Am Abend zuvor ist Staatspräsident Mahinda Rajapaksa nach Tengalle
       gekommen, in seiner Begleitung zweihundert Soldaten, die nicht nur die
       Umgebung seiner Privatresidenz, sondern auch jeden Kreuzungspunkt des
       kleinen Ortes in Beschlag genommen haben. Wovor Sri Lankas mächtigster
       Politiker Angst hat, ist unklar. Nirgendwo auf der Insel hat der Präsident
       mehr Anhänger als im Süden. Nicht nur weil er von hier stammt und die
       Region mit überdimensionierten Bauprojekten beglückt, sondern vor allem
       weil er 2009 einen langen Bürgerkrieg gewaltsam beendet hat und seither als
       starker Mann gilt. Der Preis dieses Sieges scheint seinen Bewunderern eher
       zweitrangig zu sein.
       
       ## Simulierte Normalität
       
       Viele Singhalesen hegen keine Zweifel, dass die Besiegten es nicht besser
       verdienen. „Die Tamilen sind Teufel, sie geben nie auf. Man muss sie
       zerschmettern“, sagt Viraj und ist nicht mehr der nette Frühstücksdirektor,
       sondern ein verbitterter Exsoldat, der mit seiner Vergangenheit ringt:
       geheime Operationen, Hinterhalte, Massaker, Fahnenflucht, Amnestie,
       Rückkehr nach Sri Lanka, eine neue Existenz im Tourismus. Das ist das
       Verstörende an diesem Land. Jene, die Viraj für Teufel hält und am liebsten
       zerschmettert sehen will, leben zwölf Busstunden von Tengalle entfernt. Die
       Region der Besiegten, Sri Lankas Norden und Nordosten, ist seit einiger
       Zeit wieder Ausländern zugänglich. Man kann sich weitgehend frei bewegen.
       Die Regierung simuliert Normalität, investiert in Straßen und den
       Wiederaufbau der zerstörten Eisenbahnlinie. Ein Sri Lanka für alle soll es
       werden, getragen von einem Wachstum, das sich vor allem aus einem boomenden
       Tourismus speist.
       
       Leute wie Vadivelu merken davon nicht viel. Der junge Tamile fährt den Bus
       auf der Linie zwischen Trincomalee und Jaffna. Das Gehalt muss für fünf
       Leute reichen, seit Vater und Bruder in der Endphase des Krieges bei
       Luftangriffen ums Leben kamen. Weil er niemanden hat, der ihn unterstützt,
       ist der Hindu zu einer evangelikalen Kirche namens Assembly of God
       konvertiert. „Diese vielen hinduistischen Götter, die taugen doch nichts.
       Aber Jesus, der hat Kraft, und er hilft dir“, erklärt er, während der Bus
       die Ebene von Vanni erreicht.
       
       Das weite Flachland war einst Operationsbasis der Tamil Tigers, wovon noch
       zahlreiche ungeräumte Minenfelder erzählen. Die Regierung lässt keinen
       Zweifel, wer heute das Sagen hat. Alle paar Kilometer passiert der Bus eine
       Kaserne oder einen Streckenposten, auf halber Strecke erreicht er einen
       Kontrollpunkt, an dem argwöhnische Soldaten das Fahrzeug akribisch unter
       die Lupe nehmen. Normalität fühlt sich anders an.
       
       Am Ziel der Reise sieht es kaum besser aus. Mit farbenprächtigen
       Hindutempeln, Kühen im Straßenbild und dem obligaten Gandhi-Denkmal wirkt
       Jaffna auf den ersten Blick wie eine quirlige Metropole in Südindien. Doch
       mehr als das ist es eine besetzte, vom Krieg gezeichnete Stadt. Viele
       Einwohner sind geflohen, etliche Straßenzüge durch Luftangriffe zerstört.
       Durch das Zentrum radeln Militärpatrouillen.
       
       ## Die Schatten der Vergangenheit
       
       Es sind Singhalesen aus dem Süden, die kein Tamilisch sprechen und sich mit
       den Einheimischen allenfalls auf Englisch unterhalten können. Verhasst sind
       sie so oder so. „Wir sind jetzt die gehorsamen Jasager, haben nichts zu
       melden, ziehen die Köpfe ein“, sagt der ältere Pensionsbesitzer. Erst vor
       wenigen Monaten sei einer seiner Neffen unter willkürlichem Terrorverdacht
       verhaftet worden und nicht wiederaufgetaucht. Nur wer hohes Lösegeld zahle,
       habe überhaupt Hoffnung, seine Liebsten wiederzusehen. Die Vorfälle sind
       international bekannt, doch Präsident Rajapaksa versucht, die Kritik an
       seiner repressiven Politik zu ignorieren. Das Ausland möge sich
       heraushalten, heißt es.
       
       Wer auf Jaffnas Straßen das Gespräch sucht, trifft ohnehin Menschen, die
       glauben, die Dinge wieder selbst in die Hand nehmen zu müssen. Einige
       meinen gar, dass der Tamil-Tiger-Führer Velupillai Prabhakaran, dessen
       blutige Leiche 2009 im Fernsehen zu sehen war, an einem geheimen Ort lebt
       und dort Geld und Waffen sammelt. „Er wird zurückkommen, und dann werden
       wir unabhängig“, versichert ein junger Mann. Die TV-Bilder will er ebenso
       wenig anerkennen wie die Tatsache, dass die tamilische Minderheit gegen
       Colombos Übermacht bestenfalls kämpfen, aber kaum je gewinnen kann.
       
       Doch der Wunsch nach Revanche ist in Jaffna selbst dort spürbar, wo man
       Weisheit vermuten könnte. „Unsere Kultur ist schwach. Wir müssen etwas
       unternehmen“, sagt der kleine, dicke Mönch, der fachkundig durch den
       ältesten Hindutempel der Stadt führt. „Die Singhalesen machen es hier wie
       die Chinesen in Tibet. Sie siedeln ihre Leute an, kaufen Häuser, eröffnen
       Bars und Kinos und zerstören unsere Kultur. Der Krieg wird kommen.“ Alles
       liegt so seltsam nah beieinander in diesem Land. Die Freundlichkeit und die
       Gewalt.
       
       ## Siegergeschenke für Jaffna
       
       An der neu angelegten Uferpromenade, einem allzu offensichtlichen und
       beschämenden Geschenk der Sieger an die Besiegten, trifft sich am
       Wochenende Jaffnas Generation Facebook. Ranjith und seine Freunde sind
       Mitte zwanzig, gut ausgebildete Webdesigner, Ingenieure und Lehrer. Für die
       auf der Promenade patrouillierenden Soldaten haben sie nur sorgsam
       gehüteten Spott übrig.
       
       Doch was ihnen ebenso zusetzt, sind die Zumutungen ihrer eigenen, der
       tamilischen Kultur. Es geht um Frauen oder besser um deren Abwesenheit.
       „Nachher gehen wir wieder in die Eisdiele“, berichtet Ranjith und grinst
       vieldeutig. „Und dann starren wir wieder stundenlang zu den Mädchen an den
       Nachbartischen, die unsere Blicke komplett ignorieren, weil ihre Eltern und
       Tanten auch da sind. Dann gehen wir wieder nach Hause, und am nächsten
       Wochenende machen wir wieder das Gleiche.“
       
       Und dann erzählen sie von den rigiden Erwartungen ihrer Eltern, den
       Ritualen arrangierter Ehen, dem ruinösen Brautgeld und all den anderen
       Regeln und davon, wie absurd dies alles im 21. Jahrhundert doch sei. „Wenn
       wir selber Familie haben, machen wir alles besser“, sagt Ranjith mit einem
       Lächeln voll Ironie. „Nicht nur mit unseren eigenen Kindern, auch mit
       unserem Land.“
       
       7 Jun 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Martin Jahrfeld
       
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