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       # taz.de -- Kollidierende Interessen: Windräder im Funkfeuer
       
       > Schleswig-Holstein will Windparks gegen das Votum der Deutschen
       > Flugsicherung zulassen und offene Fragen juristisch klären.
       > Energieminister Robert Habeck (Grüne) sieht den Bund in der Pflicht.
       
   IMG Bild: Zwei, die sich ins Gehege kommen können
       
       KIEL taz | Das Funkfeuer Michaelsdorf sendet auf einer Frequenz von 112,2
       Megahertz. Der Mast steht an einer schmalen Landstraße zwischen Feldern,
       einige hundert Meter von den nächsten Höfen entfernt. Michaelsdorf funkt
       lautlos und zuverlässig und bereitet zurzeit einer ganzen Reihe von
       Menschen große Sorgen.
       
       Brigitte Rahlf-Behrmann, parteilose Bürgermeisterin der Gemeinde
       Stockelsdorf bei Lübeck, ist eine davon. In ihrer Gemeinde soll ein
       Windpark entstehen, seit 2008 laufen die Planungen, und eigentlich schien
       alles bereit. Bis im vergangenen Jahr ein Gutachten der Deutschen
       Flugsicherung alle Arbeiten zum Stillstand brachte. Denn das bundeseigene
       Unternehmen verbot die Windanlagen mit dem Hinweis, dass das Signal, mit
       dem das Funkfeuer in Michaelsdorf allen Flugzeugen im Luftraum seinen
       Standort mitteilt, durch die Windkraftanlagen gestört werden könnte.
       
       Stockelsdorf ist kein Einzelfall. Einer Reihe von Gemeinden und
       Windpark-Investoren geht es ähnlich. Bei einem Treffen mit Fachleuten aus
       mehreren Bundesländern in Kiel, zu dem das Umwelt- und
       Energiewendeministerium eingeladen hatte, stellte Minister Robert Habeck
       (Grüne) eine Lösung in Aussicht. Hoffnung macht ihm ein Schreiben von
       Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU). Denn der Streit zwischen
       Luftsicherung und Windkraft müsse auf Bundesebene entschieden werden, so
       Habeck.
       
       Immerhin rede man miteinander, sagte Habeck. Mit dem früheren
       Verkehrsminister Peter Ramsauer sei die Kommunikation etwas einseitig
       gewesen. Inzwischen aber ist der politische Druck höher, weil die
       Fachminister aller Bundesländer einhellig das Vorgehen der Flugsicherung
       und ihrer vorgesetzten Behörde, des Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung
       (BAF) bedauern.
       
       Das Problem ist, dass gegen das pauschale Nein der Flugsicherer kein
       Einspruch möglich scheint. „Wir haben versucht, mit dem Bundesaufsichtsamt
       zu reden“, sagt Astrid Jensen aus Löwenstedt, wo ebenfalls ein Windpark
       entstehen soll. „Wir haben selbst ein Gutachten in Auftrag gegeben, wir
       haben das Gespräch gesucht“, es gab keine Erklärung, keine Abwägung.
       
       Eben das dürfe nicht sein, sagte Elmar Giemulla, Professor für Luftrecht an
       der Technischen Universität (TU) Berlin. Er verfasste den juristischen Teil
       eines Gutachtens im Auftrag des Landes und kam zu dem Schluss, dass ein so
       gravierender Eingriff wie der Stopp eines Bauvorhabens niemals ohne genaue
       Interessenabwägung möglich sei. Das BAF sei in der Pflicht zu prüfen, ob
       auch mildere Mittel, ein anderer Standort der Windräder oder der Funkfeuer,
       denkbar seien. Generell sei die Formulierung im Gesetz missverständlich,
       kritisierte er. Unklar sei auch, wer die letzte Entscheidung treffe, das
       BAF oder das Land als Bau- und Planungsbehörde. Habeck will dies nun
       testen: „Wir genehmigen eine Anlage und zwingen das BAF zum Widerspruch.“
       
       Neben der juristischen gibt es auch eine technische Seite, in der das Land
       eine andere Meinung vertritt als das Bundesamt und der
       Flugsicherungsdienst. Es geht um die Frage, wie sehr die Windanlagen die
       Signale der Funkfeuer tatsächlich stören. Im Auftrag des Landes hatte ein
       Gutachter dies im Flugbetrieb aufwändig getestet. Ein Ergebnis war, dass
       die Störung durch Windräder nur einen geringen Teil im erlaubten
       Gesamtfehler der Abweichung darstellen, erklärte der Berliner Professor
       Gerhard Hättig bei der Versammlung. Zudem müsse der Abstand zwischen
       Funkmast und Windrad nicht 15 Kilometer betragen, wie es derzeit vorgesehen
       ist, es könnte auch der frühere Radius von drei Kilometern ausreichen.
       
       Diesen Punkt betont auch Dobrindt in seinem Schreiben an Habeck. Insgesamt
       nennt Dobrindt die Ergebnisse einen grundsätzlich neuen Beitrag zur
       Debatte. Habeck verwies auf die geringe Zahl der Flieger, die per Funkmast
       navigieren: „Drei Prozent dürfen nicht den Standard bestimmen“. Andre
       Biestmann von der Deutschen Flugsicherung widersprach: „Im Flugzeug kann
       man nicht einfach rechts ranfahren und eine neue Route suchen.“ Auch für
       die wenigen „konservativen“ Flieger brauche es das traditionelle System.
       
       Auf EU-Ebene wird zurzeit zwar über die Umstellung auf
       Satelliten-Navigation nachgedacht, das kann aber noch Jahre dauern.
       Biestmann versprach aber, dass die neuen Messdaten aus Schleswig-Holstein
       „international beraten“ würden. Den Anwesenden dauerte das zu lange: „Was
       interessiert uns das, was andere Länder machen? Es geht um Arbeitsplätze
       und Investitionen!“, rief ein aufgebrachter Gemeinderat.
       
       5 Jun 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Esther Geisslinger
       
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