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       # taz.de -- Asyl: Ärzte mit Grenzen
       
       > Während Deutschland dringend Ärzte auch aus dem Ausland sucht, sollen
       > zwei junge syrische Mediziner aus Berlin abgeschoben werden.
       
   IMG Bild: Regimegegner protestieren anlässlich des Starts der umstrittenen Präsidentenwahl in Syrien Ende Mai in Berlin
       
       Zwei Jahre hätte Mahran M. noch gebraucht, um seine Facharztausbildung zum
       Anästhesisten zu beenden. Doch der Krieg in seinem Heimatland Syrien kam
       dem 29-Jährigen dazwischen. Mahran M. flüchtete 2012 nach Jordanien.
       
       In der Stadt Irbid nahe der südwestlichen Grenze zu Syrien versorgte er
       über ein Jahr lang mit anderen syrischen Ärzten Bürgerkriegsflüchtlinge und
       versuchte, medizinische Hilfsgüter auch nach Syrien weiterzuleiten.
       Mehrmals wurden er und sein ebenfalls 29 Jahre alter Kollege Anas A., ein
       Zahnarzt, deshalb in Jordanien verhaftet und vom Geheimdienst vernommen.
       „Sie haben uns bearbeitet, wie man das bei uns nennt“, sagt Anas A.
       Geschlagen, meint er damit. Die jordanischen Behörden wollten nicht, dass
       syrische Flüchtlinge im Land aktiv seien. „Es ging uns aber nur um
       humanitäre Hilfe, nicht um Politik“, sagt Anas A.
       
       Als die beiden jungen Ärzte den Druck nicht mehr aushielten, baten sie den
       französischen Konsul in der jordanischen Hauptstadt Amman, den Anas A. von
       Übergaben von Spenden und Hilfsgütern aus Frankreich kannte, um ein Visum
       zur Einreise in die europäischen Schengenstaaten. Ganz legal flogen die
       beiden dann damit von Amman direkt nach Berlin und beantragten Asyl.
       
       Das war im November vergangenen Jahres. Heute, knapp sieben Monate später,
       sitzen Mahran M. und Anas A. in einer Flüchtlingsberatungsstelle in Berlin
       und fragen sich, was genau sie falsch gemacht haben. Denn Deutschland will
       sie abschieben – nach Frankreich, das Land, das ihnen mit der Ausstellung
       des Visums für die 26 Schengenstaaten die legale Einreise nach Europa
       ermöglicht hat. Sie hätten den illegalen und gefährlichen Weg mithilfe von
       Schleppern und Booten übers Mittelmeer vermeiden wollen, sagt Anas – ganz
       wörtlich übersetzt sagt er eigentlich „Blutsauger“ statt „Schlepper“.
       
       Doch genau das wird den beiden jungen Ärzten nun zum Verhängnis: Frankreich
       sei für ihr Asylersuchen zuständig, sagen die deutschen Behörden, und
       berufen sich auf die im Asylverfahrensgesetz festgelegte
       „Sichere-Drittstaaten-Regelung“. Wer nicht direkt aus seinem Fluchtland,
       sondern über ein von den hiesigen Behörden als sicher betrachtetes drittes
       Land nach Deutschland eingereist ist, hat keinen Anspruch auf Asyl in der
       Bundesrepublik, sondern muss seinen Antrag auf Schutz in dem Drittland
       stellen.
       
       Französischen Boden haben Anas A. und Mahran M. zwar nie betreten. Doch
       allein, dass sie bei der Abholung ihrer Visa in der französischen Botschaft
       in Amman ihre Fingerabdrücke abgeben mussten, reichte der Berliner
       Ausländerbehörde und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) für
       die Begründung der Nichtzuständigkeit und der Abschiebung.
       
       Mahran M. trägt seit ein paar Tagen bereits die sogenannte
       Grenzübertrittsbescheinigung bei sich, die ihn zur Ausreise aus der
       Bundesrepublik zwingt. Leistet er bis Juli nicht freiwillig Folge, wird er
       zwangsweise abgeschoben. Anas A., der das BAMF schriftlich aufgefordert
       hat, ihn wenn, dann nach Syrien abzuschieben, hat noch eine
       „Aufenthaltsgestattung“. Die bekommt, wessen Asylantrag noch in Bearbeitung
       ist. Dass er in Deutschland keine Chance habe, habe ihm der Beamte im BAMF
       aber gleich zu Beginn seiner ersten Befragung dort gesagt, erzählt der
       junge Zahnarzt.
       
       ## Syrische Abschlüsse werden anerkannt
       
       Dabei braucht Deutschland dringend Ärzte, auch im Ausland wird nach ihnen
       gesucht. Hätten die beiden sich über das kürzlich erleichterte
       Anerkennungsverfahren für ausländische Berufsabschlüsse um Aufenthalts- und
       Arbeitsrecht in Deutschland beworben, hätten sie „gar keine schlechten
       Chancen“ gehabt, sagt ein Experte der vom Bundesamt für Wissenschaft und
       Forschung eingerichteten Anerkennungsstelle auf Anfrage der taz. Denn
       anders als Frankreich, wo sie Teile der Ausbildung und Prüfungen
       wiederholen müssten, erkennt Deutschland die Zeugnisse der syrischen
       Mediziner an. Das BAMF finanziert derzeit sogar spezielle Sprach- und
       Integrationskurse für die MedizinerInnen unter den syrischen Flüchtlingen,
       um sie schneller im hiesigen Gesundheitssystem beschäftigen zu können. Auch
       Anas A. und Mahran M. nehmen an einem solchen Kurs teil.
       
       Zu sagen, dass die beiden jungen Männer verzweifelt sind, wäre
       untertrieben. Mahran M. verschränkt die Arme hinter dem Kopf, es sieht fast
       lässig aus: Den Zustand der Resignation habe er hinter sich, sagt der
       schmale junge Mann und lächelt höflich. Anas A.s Knie vibriert
       unaufhörlich. Von dem Foto auf seinen kurz nach der Einreise ausgestellten
       Aufenthaltspapieren lächelt ein bulliger junger Mann. Jetzt ist er kaum
       wiederzuerkennen: 30 Kilo hat Anas abgenommen, seit er in Deutschland ist.
       
       2 Jun 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Alke Wierth
       
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   DIR Flüchtlinge
   DIR Schwerpunkt Syrien
       
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