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       # taz.de -- Investitionen in Bildung und Forschung: Der Milliardendeal
       
       > Der Bund zahlt Studierenden künftig Miete und Mensa-Essen. Die Länder
       > sollen das gesparte Geld in die Bildung stecken. Kontrollieren kann das
       > keiner.
       
   IMG Bild: Bafög-Empfänger sollen künftig auf Kosten des Bundes Nachschlag holen
       
       Anfang Mai ging im Bundesbildungsministerium ein Brief ein. Absenderin war
       die amtierende Vorsitzende der Kultusministerkonferenz, Sylvia Löhrmann.
       Die grüne Schulministerin aus Nordrhein-Westfalen erkundigte sich bei
       Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU), wie es mit der Beratung für
       Ganztagsschulen weitergehe.
       
       Wankas Ministerium unterstützt mit jährlich 4,3 Millionen Euro
       Serviceagenturen in allen Bundesländern, die Schulen bei der Entwicklung
       zur Ganztagsschule helfen. Die Agenturen sind ein Überbleibsel des
       milliardenschweren Ganztagsprogramms, des letzten großen gemeinsamen
       Schulprojekts von Bund und Ländern. Doch auch ihre Förderung läuft Ende des
       Jahres aus. Löhrmann war nicht die Einzige, die langsam nervös wurde.
       
       Die Regierungsparteien CDU, CSU und SPD hatten im Koalitionsvertrag 6
       Milliarden Euro für Kitas, Schulen und Hochschulen und 3 Milliarden Euro
       für Forschung versprochen. Doch ein halbes Jahr passierte nichts. Die
       Bundesbildungsministerin eröffnete stattdessen Kongresse und überreichte
       Preise.
       
       Die großen Drei der Wissenschaftspolitik – die Deutsche
       Forschungsgemeinschaft, die Hochschulrektorenkonferenz und der
       Wissenschaftsrat – mieteten deshalb Mitte Mai den großen Saal der
       Bundespressekonferenz und riefen vereint die Koalition an. Die Hochschulen
       seien überfüllt, wichtige Pakte liefen aus, hochkarätige Wissenschaftler
       schauten sich bereits im Ausland um. Tut endlich etwas, so ihre Botschaft.
       
       ## Milliardenentlastung für die Länder
       
       Nun hat sich das Triumvirat von Angela Merkel (CDU), Sigmar Gabriel (SPD)
       und Horst Seehofer (CSU) zu Wochenbeginn doch noch geeinigt, wie der Bund
       die insgesamt 9 Milliarden Euro in Bildung und Forschung investieren will.
       
       Der von Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz als Sprecher der SPD-Länder und
       CDU-Finanzminister Wolfgang Schäuble als Repräsentant des Bundes
       ausgehandelte Deal sieht vor, dass der Bund das Bafög in Gänze übernimmt.
       Die Länder, die derzeit noch 35 Prozent beisteuern, sparen dadurch pro Jahr
       1,17 Milliarden Euro. Geld, das sie für ihre Schulen und Unis einsetzen
       sollen.
       
       Weiterhin erhalten sie mehrere 100 Millionen Euro für den Kitaausbau und
       mehr als 1 Milliarde Euro, um neue Studienplätze zu schaffen. Macht
       zusammen 6 Milliarden Euro bis 2017. Weitere 3 Milliarden Euro will der
       Bund in die Exzellenzinitiative und die großen Forschungszentren stecken.
       
       Versprechen gehalten? Fast. Denn es gibt einen Haken. Wankas Ministerium
       zahlt ab Januar vor allem Mieten und Mensaessen. Schulen und Hochschulen
       werden von den 6 Milliarden Euro nur indirekt profitieren. Direkt werden
       die Summen zunächst die Bilanzen von 16 Länderfinanzministern aufhübschen.
       Scholz versprach zwar, dass die das Geld nicht für den Straßenbau, sondern
       für Schulen und Hochschulen einsetzen würden, doch am Ende entscheidet
       nicht er, sondern bestimmen die Länderparlamente als Haushaltssouveräne.
       
       ## Blankoscheck für die Bundesländer
       
       „Ein teurer Kompromiss für den Bund“, meint CDU-Bildungsexperte Tankred
       Schipanski und hofft: „Aber ein guter für Deutschland.“ Der
       SPD-Haushaltspolitiker Swen Schulz warnt, das sei kein Blankoscheck für die
       Bundesländer. „Wir wollen genau nachvollziehen, dass die zusätzlichen
       Mittel tatsächlich Schulen und Hochschulen zugutekommen.“
       
       Doch mehr als mit dem Zeigefinger drohen können die Bundespolitiker nicht.
       Niemand kontrolliert, ob das hochverschuldete Berlin tatsächlich jedes Jahr
       90 Millionen Euro eingesparte Bafög-Gelder zusätzlich in Schulen und
       Hochschulen steckt.
       
       Die ausgehandelte „Zweckbindung“ der 6 Milliarden Euro ist praktisch ein
       Vertrag ohne Unterschrift. Umso mehr, als sich die Länder längst dazu
       verpflichtet haben, ab 2020 nicht mehr auszugeben, als sie einnehmen. In
       sechs Jahren greift die sogenannte Schuldenbremse. Dann werden die
       Finanzminister noch einmal neu kalkulieren.
       
       Die Hochschulen selbst können also nur hoffen, dass die Länder es gut mit
       ihnen meinen. Entsprechend verhalten reagierte auch der Präsident der
       Hochschulrektorenkonferenz, Horst Hippler, auf den Kompromiss: „Es ist eine
       Lösung“, seufzt Hippler. Ob es eine gute sei, werde man noch sehen.
       
       In einem Punkt ist Hippler allerdings zuversichtlich. Union und SPD wollen
       eine Änderung des Grundgesetzes in Angriff nehmen. „Das ist langfristig
       viel spannender“, frohlockt er. Bedeutet es doch, dass in Zukunft
       tatsächlich wieder Bundesgeld direkt in die Hochschulen fließen könnte. Und
       zwar dauerhaft und nicht nur für befristete Projekte wie zurzeit.
       
       ## Verfassungsänderung mit Zweidrittelmehrheit
       
       Seit der Föderalismusreform von 2006 sind Schulen und Hochschulen Refugien
       der Länder. Der Bund hat sich finanziell nicht einzumischen. Für nationale
       Aufgaben, wie das Bildungspaket für Kinder aus Hartz-IV-Familien, musste
       der Bund bürokratische Brücken bauen. Selbst hartgesottene Föderalisten aus
       der CSU waren genervt, weil das teuer und aufwendig ist.
       
       Nun wollen also CDU, CSU und SPD mit ihrer komfortablen Zweidrittelmehrheit
       die Verfassung wieder so modifizieren, dass Bund und Länder kooperieren
       dürfen. Jedoch erst einmal nur im Hochschulbereich und in Fällen von
       „überregionaler Bedeutung“. Was das heißt, sei dahingestellt.
       
       Dabei greifen die Koalitionäre auf den alten Formulierungsvorschlag von
       Wankas Amtsvorgängerin Annette Schavan (CDU) zurück. Die kann als
       Botschafterin im Vatikan schelmisch grinsen, hatte die SPD ihren Vorschlag
       vor zwei Jahren doch noch blockiert, weil sie auf die ganz große
       Gesetzesänderung auch für den Schulbereich spekulierte.
       
       Eingelenkt haben die Genossen nun, weil die Union im Gegenzug ihren
       Bafög-Vorschlag geschluckt hat: „Die letzten BAföG-Novellen drohten im
       Bundesrat jedes Mal am Widerstand der Länder zu scheitern, die auf ihre
       prekäre Finanzsituation hinwiesen. Diese gerade für die SPD in Bund und
       Ländern oft politisch kritische Situation ist künftig ausgeschlossen“,
       erläuterte der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Hubertus Heil
       seinen Fraktionskollegen die Einigung am Mittwoch in einem Brief.
       
       Mit der vorgeschlagenen Formulierung zur Grundgesetzänderung könne man
       indes noch nicht zufrieden sein, schreibt Heil und erklärt, dass man
       weiterkämpfen werde. Für kommende Wahlkämpfe sieht er wieder „klare,
       profilierende Frontstellungen: Union gegen, SPD für mehr Kooperationen im
       Schulbereich“.
       
       Für die Ganztagsschulen und Frau Löhrmann heißt das: Sie müssen weiter
       bangen. Neue Bundesmilliarden bekommen sie aber in absehbarer Zeit mit
       Sicherheit nicht.
       
       30 May 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anna Lehmann
       
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