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       # taz.de -- Linke Sieger der Europawahl in Spanien: Ja, sie können es wirklich
       
       > In Spanien gibt es keinen Rechts-, sondern einen Linksruck. Podemos, aus
       > der Bewegung der „Empörten“ entstanden, holt 5 Sitze.
       
   IMG Bild: Podemos gewann auch Stimmen in der spanischen „Empörten“-Bewegung
       
       MADRID taz | Wenn die Gegner von Podemos lospoltern, heißt es „Populisten,
       wie Le Pen“, „orthodoxe, veraltete Kommunisten“, „Bolivarianos“, „Freaks“,
       „wie Hitler“ oder „Kleinbürger“. Die Partei Podemos ( „Wir können“) ist die
       größte Überraschung der Europawahlen am vergangenen Sonntag in Spanien.
       Podemos kanalisierte einen Teil der „Empörten“-Bewegung und holte nur vier
       Monate nach ihrer Gründung 1,2 Millionen Stimmen (7,97 Prozent) und damit
       fünf Sitze in Straßburg.
       
       Podemos liegt damit nur knapp hinter der Vereinigten Linken (IU) rund um
       Spaniens altehrwürdige Kommunistische Partei. In mehreren Provinzen,
       darunter Madrid, überholte Podemos die alte Linke gar und ist damit die
       drittstärkste Kraft hinter der regierenden konservativen Partido Popular
       (PP) von Mariano Rajoy und der sozialistischen PSOE. Die beiden Großen
       erhielten zusammen weniger als 50 Prozent der Stimmen, über ein Drittel
       weniger als 2009. „Sie vertreten uns nicht“ heißt eine Parole, die seit der
       Entstehung der Bewegung der Empörten am 15. Mai 2011 auf jeder
       Demonstration zu hören ist. Das Ergebnis der Europawahlen und der Erfolg
       von Podemos scheint der Anfang einer tiefen Umwälzung zu sein.
       
       Das Projekt Podemos ist von Anfang an gut durchdacht. Der Name geht auf den
       Ruf der US-amerikanischen Hispano-Bewegung zurück. Ihr „Sí, se puede!“ –
       „Ja, man kann!“ – wurde nicht nur zum „Yes, we can!“ Barack Obamas, sondern
       eben auch zum Motto der spanischen Bewegung gegen Zwangsräumungen von
       Familien, die ihre Wohnungskredite nicht mehr abbezahlen können. Die
       Gründergruppe der Partei Podemos griff dies auf.
       
       Die Idee einer neuen Partei entstand an der Politischen Fakultät der
       Universität Complutense in Madrid. Dort unterrichtet der harte Kern der
       Podemos-Gründer rund um den Professor Pablo Iglesias. Der 35-jährige Doktor
       der Politik stammt aus einem Arbeiterviertel der Hauptstadt, seine Mutter
       ist Gewerkschafterin. Studiert hat er in Spanien, Italien, Mexiko, der
       Schweiz und den USA. Er war in zahlreichen studentischen Bewegungen, der
       „Kommunistischen Jugend“ und der „Jugend ohne Zukunft“ aktiv. Letztere ist
       eine der Vorgängerbewegungen der Empörten, die sich heute „15M“ nennen,
       nach dem Tag der ersten Proteste am 15. Mai 2011.
       
       Einer der wichtigsten Weggefährten von Iglesias ist Juan Carlos Monedero,
       ebenfalls Politikprofessor und Berater der venezolanischen und der
       ecuadorianischen Regierung. Beide zusammen gründeten 2008 den akademischen
       Zirkel „Kritisches Denken“, der sich mit der aktuellen Lage in Spanien und
       dem System, das sich das Land beim Übergang zur Demokratie in der zweiten
       Hälften der 1970er Jahren gegeben hat, auseinandersetzt.
       
       ## Kreise, Urwahl und Crowdfunding
       
       Wenn Iglesias sich mit etwas auskennt, dann ist es politische
       Kommunikation. Seit Jahren versucht er das Gelernte umzusetzen, mit Erfolg.
       Alles begann mit „La Tuerka“ („Die Mutter“) in einem kleinen, alternativen
       Fernsehsender in seinem Stadtteil Vallecas. Mittlerweile ist das Programm,
       in dem Iglesias Interviews führt und die Politik kommentiert, ins Netz
       umgezogen. Einmal bekannt, wurde Iglesias von zwei fortschrittlichen
       Privatsendern zu politischen Talkshows geladen. Er argumentiert ruhig, weiß
       auf alle Angriffe seiner rechten Kollegen am Tisch schlüssige Antworten.
       Iglesias bringt Einschaltquoten. Das merkte sogar der Rechtsaußensender
       Intereconomia, wo Iglesias seit April 2013 immer wieder mit den Ideologen
       des rechten Randes der regierenden PP debattiert. „Es ist mir ein
       Vergnügen, die Frontlinie zu überschreiten und auf Feindesgebiet zu
       diskutieren“, lauteten seine ersten Worte.
       
       Den „mit dem Pferdeschwanz“ nennen viele das neue Gesicht, das für frischen
       Wind sorgt. Iglesias spricht im Fernsehen das aus, was viele empört. Er
       schimpft auf die Sparpolitik, verurteilt die Bankenrettung auf Kosten der
       Bürger, verlangt, dass ein Teil der Schulden gestrichen wird, und
       repräsentiert damit das tiefe Misstrauen gegen das politische
       Establishment, das er „die Kaste“ nennt. Kein Meinungsforschungsinstitut
       sagte den Wahlerfolg von Podemos vorher, aber die Umfragen lieferten ein
       deutliches Indiz: Iglesias war der Kandidat, dem die Spanier die beste Note
       gaben.
       
       Der Begriff Partei wird Podemos allerdings nicht wirklich gerecht. Was da
       in nur vier Monaten entstand, ist ein weites Netz aus über 300 lokalen
       Basisversammlungen im In- und Ausland, den sogenannten Kreisen. Die
       paritätisch besetzte Kandidatenliste wurde in einer für alle Spanier
       offenen Urwahl zusammengestellt, an der über 33.000 Meschen teilnahmen.
       Nach Pablo Iglesias als Spitzenkandidat wurde eine Lehrerin, die zur
       Verteidigung des öffentlichen Schulwesens und gegen Kürzungen und
       Privatisierung kämpft, die Nummer zwei, ein ehemaliger Vorsitzender der
       Antikorruptionsstaatsanwaltschaft die Nummer drei. Der Wahlkampf wurde
       mittels Crowdfunding finanziert.
       
       Rechte Populisten wie in anderen Ländern traten in Spanien zwar zur Wahl
       an, konnten aber kaum Stimmen auf sich vereinen. Die regierende Partido
       Popular und deren mediales Umfeld decken dieses Spektrum seit Jahren zur
       Genüge ab. Wer in Spanien unzufrieden ist, orientiert sich deshalb nach
       links. Und das noch deutlicher, seit die Bewegung 15M entstanden ist. Mit
       ihren Aktionen gegen Zwangsräumungen, den Stadtteilversammlungen und den
       Protesten gegen die Austeritätspolitik bildete sie den Nährboden für
       Podemos und andere linke Optionen.
       
       ## Protest gegen die Fluten
       
       „Wir geben uns mit dem heutigen Erfolg nicht zufrieden“, rief Iglesias in
       der Wahlnacht den Podemos-Anhängern auf einem Platz im Zentrum Madrids zu.
       „Es werden weiterhin sechs Millionen arbeitslos sein. Sie werden weiterhin
       Familien zwangsräumen und sie werden weiterhin privatisieren. Ab morgen
       werden wir dafür arbeiten, dass dieses Land wieder eine anständige
       Regierung bekommt. Wir werden die Kaste aus dem Amt jagen.“
       
       Nur wenige Stunden später bot Podemos „allen Kräften, die aufrichtig gegen
       die Austeritätspolitik sind“, einen Einigungsprozess an. Dieser Aufruf
       richte sich an Parteien wie die Vereinigte Linke, die grüne Equo, aber auch
       die anderen Bewegungen, die sich gegen Zwangsräumungen, Sparpolitik und die
       sogenannten Mareas („Fluten“) richten, die vor allem im Bildungs- und
       Gesundheitswesen immer wieder Zehntausende auf die Straßen bringen.
       
       „Es gibt Leute, die sagen, dass die Bewegung 15M zu nichts nutze war. Wenn
       das so ist, was machen wir dann hier?“, fragt Iglesias seine Anhänger. Die
       Antwort: geballte Fäuste und die Parolen „Das geeinte Volk wird nie besiegt
       werden“ und „Ja, ja, sie vertreten uns!“.
       
       Andernorts war der Jubel verhaltener. Zwar legte auch die Vereinigte Linke
       zu und holte mit 9,99 Prozent statt bisher zwei jetzt sechs
       Europaabgeordnete. Doch glauben viele rund um die Kommunistische Partei,
       dass Podemos ihnen Stimmen geklaut hat. „Wenn man eine Million Wähler
       hinzugewinnt und dennoch nicht richtig feiern kann, dann läuft irgendetwas
       schief“, brachte ein Twitterer aus dem intellektuellen Umfeld der
       Vereinigten Linken die Stimmung auf den Punkt. Die Ergebnisse zeigen, dass
       vielerorts eine linke Mehrheit bei den Kommunal- und Regionalwahlen im
       kommenden Frühjahr möglich ist. Doch dazu bedarf es eines
       Einigungsprozesses. Und der wird nicht leicht. Zu unterschiedlich ist die
       politische Kultur der hierarchischen Vereinigten Linken und der
       basisdemokratischen Organisationen wie Podemos oder auch der grünen Equo
       (1,91 Prozent), die erstmals einen Sitz errang.
       
       ## Weit gekommen
       
       Unter Zugzwang kommt auch die sozialistische PSOE. Sie erreichte mit gerade
       einmal 23 Prozent ihr historisch schlechtestes Ergebnis und liegt damit
       hinter der PP, die von 42 auf 26 Prozent absackte. In einigen Orten
       erhielten die Sozialisten sogar weniger Stimmen als Podemos und Vereinigte
       Linke zusammen. Das Vertrauen der Wähler in die Sozialdemokraten als
       Oppositionskraft ist verloren. Kein Wunder, sie hatten 2008 die Sparpolitik
       begonnen.
       
       Parteichef Alfredo Pérez Rubalcaba nahm nur wenige Stunden nach der Wahl
       seinen Hut und setzte für Juli einen Sonderparteitag an. Ein Kurswechsel
       nach links ist unwahrscheinlich. Längst fordern Prominente wie die
       ehemaligen sozialistischen Regierungschefs Felipe González und José Luis
       Rodríguez Zapatero eine große Koalition, damit das Land auch mit einem
       zersplitterten Parlament regierbar bleibt. Die PSOE-Basis indes will mit
       Podemos und der Vereinigten Linken Gespräche führen. Sie fürchten im Falle
       einer großen Koalition den völligen Untergang ihrer Partei, wie es der
       Pasok in Griechenland passierte.
       
       „Wir gehen langsam, weil wir weit gehen“, hieß es einst 2011 auf den über
       50 Protestcamps in ganz Spanien. Mit Podemos scheint diese Prophezeiung
       Form angenommen zu haben.
       
       31 May 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Reiner Wandler
       
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