# taz.de -- Kommentar Giovanni di Lorenzo: Pass-Neid
> Mit seinem Bekenntnis, er habe bei der Europawahl zweimal abgestimmt, hat
> Giovanni di Lorenzo alte Reflexe gegen den Doppelpass mobilisiert.
IMG Bild: Ätschi-bätsch, ich hab zweimal abgestimmt! Giovanni di Lorenzo lieferte allen Doppelpass-Gegnern ungewollt eine Steilvorlage.
Selten wurde ein Scoop eleganter verstolpert. Ein Scoop war es ja, als
Giovanni di Lorenzo am vergangenen Sonntag bei Günther Jauch verkündete, er
habe bei der Europawahl gleich zweimal abgestimmt: einmal als Deutscher in
einer Hamburger Grundschule, einmal als Italiener im italienischen
Konsulat. Damit hatte der Zeit-Chefredakteur ungewollt allen
Doppelpass-Gegnern eine Steilvorlage geliefert.
Das sei schon „ein Argument gegen mehrere Pässe“, reagierte Finanzminister
Wolfgang Schäuble prompt. Auf Spiegel Online folgerte dessen konservatives
Sturmgeschütz Jan Fleischhauer messerscharf, der Fall zeige, wie falsch es
sei, jetzt jungen Deutschtürken zwei Pässe zuzugestehen, wie es die Große
Koalition plane.
Und Bild-Kolumnist Hugo Müller-Vogg sah bei zunehmender Einwanderung gar
ein „Zweiklassenwahlrecht“ heraufziehen, das alteingesessene Deutsche
deklassiere. Denn nichts bringt Nurdeutsche verlässlicher auf die Tanne als
die Furcht, von gewitzten Einwanderern übervorteilt zu werden.
Darum verschärft die Regierung jetzt die Gesetze: damit Einwanderer künftig
noch schwerer an deutsche Sozialhilfe kommen. Und darum gibt es sicher auch
bald eine Regelung, die eine doppelte Stimmabgabe bei Europawahlen wirksam
verhindert – Wolfgang Schäuble hat das sogar noch in der Jauch-Sendung
angekündigt.
Es wäre in der Tat gut, diese Gesetzeslücke zu schließen. Doch als
prinzipielles Argument gegen den Doppelpass taugt der Fall di Lorenzo
nicht. Denn warum sollte die Mehrheit der ehrlichen Einwanderer für sein
Fehlverhalten büßen? Und warum gerade die Deutschtürken, wo Türken bei
Europawahlen gar nicht mitwählen?
Nein, Mehrstaatlichkeit ist weder Privileg noch notwendiges Übel, sondern
schlicht „Ausdruck der Lebenswirklichkeit einer wachsenden Zahl von
Menschen“, so sagte es jüngst Bundespräsident Joachim Gauck. Menschen
könnten sich mit verschiedenen Ländern verbunden fühlen. Und Deutschland
werde „attraktiver“, wenn es niemanden zu einem „lebensfremden Purismus“
zwinge.
30 May 2014
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DIR Daniel Bax
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