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       # taz.de -- Hilfe für den Balkan nach der Flut: 3000 Euro zinsloser Kredit je Firma
       
       > Deutschland verspricht Kredite und Soforthilfen für die Kleinindustrie in
       > Bosnien-Herzegowina. Das fördert die multiethnische Zusammenarbeit.
       
   IMG Bild: Aufräumarbeiten in der Stadt Doboj im Norden des Landes
       
       SARAJEVO taz | Eigentlich war der Besuch von Bundesaußenminister Frank
       Walter Steinmeier in Sarajevo schon lange geplant. Auch auf dem Balkan will
       Deutschland will politisch aktiver werden. Doch dann überschattete die
       Flutkatastrophe den zweitägigen Besuch in Sarajevo. Steinmeier brachte eine
       Million Euro Soforthilfe mit, versprach 600 000 für die Minensuche und 5
       Millionen für die Unterstützung von Handwerksbetrieben. Das Geld soll in
       Form von zinslosen Kleinkrediten von 3000 Euro über die Kreditanstalt für
       Wiederaufbau verteilt werden.
       
       Doch auch größere Betriebe brauchen Hilfe. Schon am Wochende staunte die
       Bundestagsabgeordnete der Grünen, Marieluise Beck, nicht schlecht. Dass der
       harmlos aussehende kleine Fluß, die Spreca, die sich durch die weite
       Wiesenlandschaft am Rande der ostbosnischen Industriestadt Lukavac
       schlängelt, zu einem Strom anschwellen konnte, der ein ganzes
       Industriegelände zu vernichten in der Lage war, ist schon wenige Tage nach
       der Katastrophe kaum vorstellbar.
       
       Die deutsch-bosnische Firma FEN-BH d.o.o. produziert Betten für den Export
       in die EU, vor allem nach Deutschland und in die Niederlande. Die Böden der
       weitläufigen Produktionshallen sind jetzt mit Schlamm bedeckt. „Das Wasser
       stand über 2 m hoch hier in der Halle,“ sagt Muhamed Murselovic, Direktor
       der Firma. „Die mechanischen Einrichtungen können wir noch retten, die
       Maschinen mit Elektronik nicht mehr.“ Ein Teil der 300 Arbeiter ist damit
       beschäftigt, den Schlamm zu beseitigen und die Maschinen zu trocknen.
       „Schlimmer noch ist, dass unser für drei Monate ausgelegter Vorrat an Holz
       vollständig vernichtet ist“, sagt der Direktor.
       
       Nicht nur seine Firma ist in diesem Tal existentiell betroffen. Die
       Kohle-Mine ist voller Wasser gelaufen, sagt der stellvertrende
       Bürgermeister der Stadt. „Wir brauchen drei Monate, um das Wasser
       abzupumpen, um wieder zu produzieren.“ Von der Kohle hängt das nahegelegene
       Kraftwerk in Tuzla ab, das nur noch für sechs Wochen Kohle zur Verfügung
       hat.
       
       ## „Hochwasser enthält auch eine Chance"
       
       Das Hochwasser in Bosnien hat nicht nur ein Drittel des Landes unter Wasser
       gesetzt und viele Privathäuser vernichtet und beschädigt, es hat auch die
       Instrustrie des ohnehin durch hohe Arbeitslosigkeit betroffenen Landes in
       Mitleidenschaft gezogen. Jasmin Imamovic, Bürgermeister von Tuzla, klagt:
       „Allein in unserem Kanton sind 5000 Arbeitplätze vom Hochwasser betroffen,
       dazu kommen noch die Schäden von Hunderten von Erdrutschen, die Teile der
       Infrastruktur vernichten.“
       
       Bürgermeister Imamovic wünscht sich direkte Hilfe für die betroffenen
       Gemeinden. Angesichts des komplizierten Staatsaufbaus in Bosnien und
       Herzegowina keine leichte Aufgabe. „Wenn die Hilfe über den Gesamtstaat
       oder über die Entitäten, also über die bosniakisch-kroatische Föderation
       oder die Republika Srpska abgewickelt würde, müßten die Gemeinden wohl
       lange auf Hilfe warten,“ warnt er.
       
       „Das Hochwasser enthält also auch eine Chance,“ sagt Kurt Bassuener,
       politischer Analytiker aus den USA. Wenn die Hilfe direkt an die Gemeinden
       gegeben würde, könnte man die korrupten Strukturen der beiden Teilstaaten
       unterlaufen, meinen auch andere Diplomaten und Mitglieder der Institutionen
       der internationalen Gemeinschaft. Das Hochwasser zeige zudem, dass die
       Bürgermeister über die ethnischen Grenzen hinweg gut kooperieren können.
       
       Die interethnische Zusammenarbeit angesichts der Flut hob auch der deutsche
       Aussenminister in seiner Rede vor Politikern und Wirtschaftsvertretern
       hervor. Seit Rußland über 500 Miollionen Dollar Kredite an die
       nationalistische Führung der serbischen Teilrepublik versprochen und
       erstmals bei einer Sitzung des Friedensimplementierungsrates ( PIC) die
       territoriale Integrität Bosnien und Herzgowinas in Frage gestellt hat,
       scheinen in Brüssel und Berlin zudem Alarmglocken zu läuten.
       
       29 May 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Erich Rathfelder
       
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