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       # taz.de -- Prekäre Arbeitsverhältnisse: „900 Euro im Monat? Hallo?“
       
       > Ein Job im Nonprofit-Sektor? Für viele Akademiker ist das ein Traum –
       > trotz der niedrigen Gehälter. Nun hat eine Ausschreibung einen Aufschrei
       > ausgelöst.
       
   IMG Bild: NGOs strecken ihre Krallen nach jungen Profis aus. Zahlen wollen sie oft nur wenig.
       
       BERLIN taz | Ein abgeschlossenes Studium, fließend in Englisch,
       hervorragende Organisations- und Computer-Skills. Wer das aufweisen kann,
       hat gute Chancen auf eine der heiß umkämpften Stellen im Nonprofit-Sektor.
       Für viele Uni-Absolventen ist ein NGO-Job ein Traum: Gutes tun, auch wenn's
       dafür weniger Geld gibt.
       
       900 Euro brutto im Monat sind dann aber wohl doch zu wenig. Ein solches
       [1][Job-Angebot] verschickte kürzlich die Nichtregierungsorganisation
       [2][„International Civil Society Centre“] aus Berlin, die von namhaften
       NGOs wie Transparency International, World Vision und Greenpeace finanziert
       wird. Die Ausschreibung ging auch an die über 12.000 eingetragenen Adressen
       der [3][„IB-Liste“], des größten politikwissenschaftlichen Email-Verteilers
       in Deutschland.
       
       Nun ist die Empörung groß. „Wer freche Stellenausschreibungen (...)
       schickt, sollte sich nicht wundern, wenn er freche Fragen zurückbekommt“,
       antwortete prompt ein Abonnent unter dem Namen Franz Schröder. In einem
       langen Protestschreiben machte er seinem Unmut Luft. „Schämt ihr euch
       nicht?", fragt er, merklich wütend, „wie könnt Ihr guten Gewissens eine
       'Traineestelle' als 'Assistent der Geschäftsführung' zu so einem Hungerlohn
       ausschreiben?"
       
       Auch wenn es sich offiziell um eine Traineestelle handele, ließen die
       Aufgabenbeschreibung und das Anforderungsprofil darauf schließen, dass es
       sich um eine reguläre Facharbeiterstelle handele. „Für einen Vollzeitjob
       zahlt Ihr 900 Euro/Monat“, fragt Schröder, „hallo?“
       
       Der engagierte Aufschrei stößt auf reichlich Resonanz. Dutzende
       Nachwuchswissenschaftler und junge Akademiker haben ihre Solidarität mit
       dem Empörten verkündet. „Ich finde es sehr schön, dass die Ausschreibung
       (...) zum Anlass genommen wurde, gegen derartige Beschäftigungsverhältnisse
       etwas zu unternehmen“, schreibt eine Wissenschaftlerin. Schließlich werde
       in Fällen wie diesem das restliche Gehalt gewöhlich in einem Zweitjob
       erarbeitet, mit Hartz IV aufgestockt oder von den Eltern lockergemacht,
       wenn die es sich leisten können.
       
       Auch Verdi-Sprecher Jan Jurczyk findet Trainee-Angebote in dieser
       Größenordnung unakzeptabel. Bezogen auf Qualifikation und Anforderungen sei
       das Gehalt „völlig unzureichend“. „Die Leute sind froh, wenn sie in dem
       Bereich überhaupt unterkommen“, sagt er, „was aber keine 900 Euro
       rechtfertigt.“ Wer ein solches Gehalt zahle, müsse sich Gedanken machen,
       woher die Angestellten das restliche Geld besorgen.
       
       ## 
       
       Burkhard Gnärig, Geschäftsführer des International Civil Society Centres,
       sieht in der Diskussion um seine Stellenausschreibung eine „öffentlichen
       Schmähung“. Dennoch hat er sich nun entschieden, das umstrittene Gesuch
       zurückzunehmen.
       
       „Angesichts der aufgeheizten Debatte, die in uns offenbar gnadenlose
       Ausbeuter sieht, habe ich keine Möglichkeit gesehen, für unsere
       Möglichkeiten und Grenzen um Verständnis zu werben", erklärt Gnärig der
       taz. Seine Organisation verfüge über begrenzte Mittel. Daher „sind wir
       nicht in der Lage, ein Trainee-Entgelt zu zahlen, das den Erwartungen der
       Kritiker entspricht“, so Gnärig.
       
       Den Abonnenten des Email-Verteilers versprach er, in Zukunft keine weiteren
       Ausschreibungen mehr über die Liste zu verschicken. Auch werde er in seiner
       Organisation keine Traineestellen mehr besetzen. Den umstrittenen Posten
       der Assistenz der Geschäftsführung will Gnärig nun als halbe Stelle
       ausschreiben – bei gleichbleibendem, letztlich also etwa doppelt so hohem
       Gehalt.
       
       Die Kritiker wollen nach diesem ersten Erfolg weitermachen. Sie haben sich
       in einer [4][Arbeitsgruppe zum Thema Ausbeutung im NGO-Bereich]
       zusammengeschlossen. Auf einem [5][Blog] wollen sie fragwürdige
       Stellenausschreibungen künftig öffentlich anprangern. Auch eine
       öffentlichkeitswirksame Kampagne gegen Ausbeutung im Nonprofit-Sektor ist
       im Gespräch.
       
       Dieser Artikel wurde aktualisiert um 16.40 Uhr.
       
       30 May 2014
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://karriere.unicum.de/job/traineeship-personal-assistant-deputy-executive-director
   DIR [2] http://icscentre.org/
   DIR [3] http://ibnachwuchsgruppe.weebly.com/mailingliste.html
   DIR [4] http://www.facebook.com/groups/WeOppose/
   DIR [5] http://hall-of-shame-jobs.tumblr.com/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jannis Hagmann
       
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