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       # taz.de -- Wahltage in Ägypten: Viele bleiben einfach zu Hause
       
       > Wegen der niedrigen Wahlbeteiligung wird die Präsidentschaftswahl
       > verlängert – ein Problem für den voraussichtlichen Sieger El-Sisi.
       
   IMG Bild: Polizisten und Wahlhelfer warten auf Wähler.
       
       KAIRO taz | Wenn mit der Verlängerung der Wahl kein klares Ergebnis kommt,
       gibt es dann ein Elfmeterschießen? Das ist einer der Witze, die in Ägypten
       auf Twitter und Facebook kursieren. Nachdem die Wahlberechtigten bereits
       zwei Tage die Gelegenheit hatten, bei der Präsidentschaftswahl ihre Stimme
       abzugeben, wurde diese am Dienstagabend kurzerhand um einen weiteren Tag
       verlängert.
       
       Während derartiges im Rest der Welt höchstens dann geschieht, wenn der
       Andrang zu groß ist und nicht alle ihrer Stimme abgegeben konnten, versucht
       man in Ägypten, die Wahlbeteiligung nach oben zu treiben. Die lag am
       zweiten Tag nach Angaben der Obersten Wahlkommission bei 32 Prozent.
       
       Für den voraussichtlichen Wahlsieger Feldmarschall Abdel Fatah El-Sisi ist
       das bisher kein gutes Ergebnis. Bei der letzten Präsidentschaftswahl, bei
       der 2012 der Muslimbruder Muhammad Mursi gewählt wurde, den El-Sisi und das
       Militär vergangenen Sommer stürzte, war gut die Hälfte der Wahlberechtigten
       an den Urnen gegangen. Eine niedrige Wahlbeteiligung und die Notwendigkeit,
       einen extra Wahltag anzuhängen, verschafft El-Sisi ein Legitimitätsproblem.
       
       ## Zum Auftakt eine Sisi-Loveparade und singende Frauen
       
       Dabei hatte alles so gut für El-Sisi angefangen. In den ersten Stunden der
       Wahl am Montag hatten sich tatsächlich einige Schlagen vor den Wahllokalen
       gebildet. So auch vor der Bahia Borhaniya-Schule im Kairoer Bezirk in
       Sayyeda Zeinab. Einige Frauen ließen ihre langgedehnten schrillen
       Freudentriller vor dem Wahllokal schallen. Andere tanzten und sangen dabei:
       „Sisi du Macher, du wirst sie alle fertig machen“. Um das Bild abzurunden
       kam dann auch noch eine Art El- Sisi-Love-Paradebus vorbei, dessen Insassen
       im Sisi-Sisi-Beat ihre Hüften schwangen, wenngleich Wahlwerbung am Wahltag
       verboten ist.
       
       „Ich habe habe Sisi gewählt, weil wir Sicherheit und Stabilität brauchen.
       Er steht zu uns und wir stehen ihm zur Seite,“ erklärt die Buchhalterin
       Aida nach dem sie mit einem rosa Tintenfleck auf dem Finger aus dem
       Wahllokal kommt. So oder so ähnlich antworteten die meisten der Befragten.
       Jemand, der für den einzigen Gegenkandidaten, den chancenlosen Nasseristen
       Hamdeen Sabahi gestimmt hat und darüber reden wollte, fand sich dort nicht.
       
       ## Kritik an den Wahlbeabachtern der EU
       
       Mitten drin sieht eine Gruppe der insgesamt 150 EU-Wahlbeobachter. Ihre
       Mission stößt auch auf Kritik. Nicht nur die Muslimbrüder, auch Vertreter
       der 6. April-Bewegung säkularer junger Tahrir-Aktivisten werfen ihnen vor,
       einen fragwürdigen Prozess abzusegnen. Nach letzten Schätzungen wurden seit
       dem Putsch im vergangenen Sommer 40.000 Menschen verhaftet und über 700 zu
       Tode verurteilt.
       
       Das scheint Mario David, den EU-Chefwahlbeobachter in der Schule, wenig zu
       stören. „Ägypten ist auf dem Weg zur Demokratie, hin zu einem
       demokratischen System und wir sind hier, um ihm hoffentlich dabei zu
       helfen“. Mehr könne er nicht sagen, da müsse man bis nach den Wahlen
       warten. Aber selbst in der Schule in Sayyeda Zeinab war auffällig, dass nur
       wenige junge Menschen in der Schlange standen.
       
       ## Gähnende Leere in vielen Wahllokalen
       
       Anderen saßen im Cafe auf der gegenüberliegenden Straßenseite und sahen
       sich den ganzen Trubel an. „Ich gehe nicht wählen. Der Sisi-Trubel geht mir
       auf die Nerven. Er hat noch nicht einmal ein Programm präsentiert. Auf
       welcher Grundlage soll ich ihn eigentlich wählen?“, meint der Student
       Ahmad, der seinen Nachnamen lieber für sich behalten will.
       
       In vielen anderen Wahllokalen ist es dagegen ruhig, weder jung noch alt
       sind zu sehen. So zumindest der subjektive Eindruck nach dem Besuch von
       einem Dutzend Wahllokalen in den Armenbezirken Rod el-Farag, Imbaba, aber
       auch entlang der Niluferstraße, wo wohlhabendere Menschen leben. Im
       Wahlbezirk 66 und 67 in Imbaba telefonierten die Wahlhelfer gelangweilt mit
       Freunden und Familie. Alle paar Minuten kommen vereinzelte Wähler vorbei.
       „Es ist einfach zu heiß“, rechtfertig sich Hussein El-Gohary, der Richter,
       der die dortigen Urnen beaufsichtigt.
       
       ## Verzweifelte Aufrufe im staatlichen Fernsehn
       
       Im ägyptischen Fernsehen wird das Wahldebakel besonders deutlich. Immer
       verzweifelter wurden die Aufrufe, die Menschen zu überzeugen, an die Urnen
       zu gehen. „Ich schlitze mir die Pulsadern vor laufender Kamera auf, wenn
       ihr nicht hingeht“, sagte der Moderator Amr Adeeb dramatisch mit
       entsprechender Geste. In einem anderen Sender bietet der Moderator Taufik
       Okascha gar an, die Füße der Eltern aller zu küssen, die wählen gehen.
       Derselbe wird im Laufe des Abends immer hysterischer und fordert am Ende
       gar, das Nichtwähler erschossen werden müssten.
       
       Nachdem alles nichts nützte und die Wahl verlängert wurde, suchten die
       Moderatoren nach den Schuldigen. Meist wurde das Wetter angeführt, oft
       wurde über das ignorante und bequeme Volk geschimpft. Moderator Amr Adeeb
       wartete erneut mit einer speziellen Erklärung auf. Auch am dritten Wahltag
       würden wahrscheinlich nur wenige kommen, meinte er resigniert, um dann zu
       erklären, dass die Muslimbrüder alle Busse und Tutuks, eine Art
       Motorrikschas, gemietet hätten, damit die Wahllokale erreichen kann.
       
       So leer die Wahllokale in Kairo waren, so unterhaltsam war das ägyptische
       Fernsehen bei dem Versuch zu erklärten, warum ein guter Teil des Volkes bei
       der Wahl von Feldmarschall El-Sisi einfach zu Hause geblieben ist.
       
       28 May 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Karim Gawhary
       
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