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       # taz.de -- Vor dem Gezi-Jahrestag in Istanbul: Mobilisierung mit Hemmungen
       
       > Türkische Aktivisten wollen am Wochenende auf die Straße gehen. Doch
       > einen Demoaufruf zum Gezi-Jahrestag gibt es noch nicht.
       
   IMG Bild: Unvergessene Bilder: Taksim-Platz, Istanbul, Juni 2013
       
       ISTANBUL taz | „Die Gezi-Bewegung lebt. Wir sind Millionen und wir werden
       trotz aller Repression nicht schweigen.“ Kurz vor dem Jahrestag des
       Gezi-Protestes hat die Taksim-Solidarität, ein Zusammenschluss von mehr als
       60 Bürgerinitiativen, am Dienstag dazu aufgerufen, am 31. Mai auf die
       Straße zu gehen, um für das Recht auf Leben in einer selbstbestimmten
       Umwelt zu kämpfen und nicht vor der Repression der Regierung von Recep
       Tayyip Erdogan zu kapitulieren.
       
       Um sich selbst und allen Anhängern Mut zu machen, ließen Vertreter der
       Taksim-Solidarität während einer Versammlung die Ereignisse des letzten
       Jahres noch einmal Revue passieren. „Wir sind stolz auf diesen
       demokratischen Aufbruch“, sagte Mücella Yapici, eine der Sprecherinnen der
       Bürgerinitiativen, die gleichzeitig Vorsitzende der Istanbuler
       Architektenkammer ist. „Doch der Kampf ist noch lange nicht zu Ende.“
       
       Die Zukunft des Geziparks ist nach wie vor ungeklärt. Auch das
       übergeordnete Ziel, als Bürger bei der Gestaltung der Stadt beteiligt zu
       werden, um in einer menschenwürdigen, ökologisch gesunden Umwelt leben zu
       können, ist noch lange nicht erreicht.
       
       „Wir sind friedlich, wir kämpfen gewaltfrei, doch unsere verfassungsmäßigen
       Rechte werden permanent beschnitten. Es gibt keine Versammlungsfreiheit
       mehr. Selbst bei Begräbnissen werden wir angegriffen. Wir konnten uns noch
       nicht einmal friedlich zu einem Trauermarsch für die Opfer der
       Bergwerkskatastrophe in Soma versammeln, ohne von der Polizei attackiert zu
       werden“, fasste Mücella Yapici die aktuelle Situation zusammen.
       
       ## Teilnehmer kaum zu schützen
       
       „Statt Dialog mit den Bürgern herrscht die nackte Polizeigewalt“,
       bekräftigte Can Atalay, ein Vertreter der Anwaltskammer. „Der Polizeiterror
       ist heute schlimmer als vor einem Jahr.“ Atalay beklagte, dass keiner der
       Todesfälle im Zusammenhang mit den Gezi-Protesten bislang aufgeklärt ist.
       Er weist darauf hin, dass es bis heute keine vollständigen Zahlen über
       Festnahmen und Verhaftungen gebe.
       
       Während etliche Verfahren gegen Demonstranten bereits begonnen haben, steht
       das Hauptverfahren gegen die Vertreter der Taksim-Solidarität noch aus. Am
       12. Juni wird gegen 31 Mitglieder der Bürgerinitiativen ein großer Prozess
       in Istanbul beginnen. Darunter ist auch Mücella Yapici, der zusammen mit
       zwei anderen Angeklagten die Bildung einer terroristischen Vereinigung
       vorgeworfen wird.
       
       Doch durch die Repression will sich die Gezi-Bewegung nicht zum Schweigen
       bringen lassen. „Wir werden am Samstag, am 31. Mai, dem Jahrestag der
       Gezi-Proteste, auf dem Platz und auf den Straßen sein“, hieß es am
       Dienstag. Die Taksim-Solidarität will aber nicht zu einer offiziellen
       Großdemonstration aufrufen, denn sie weiß, dass sie die Teilnehmer nicht
       schützen kann.
       
       Erst letzte Woche wurden zwei junge Männer im Istanbuler Viertel Okmeydan
       vermutlich von der Polizei erschossen. Niemand will für einen solchen Fall
       Verantwortung übernehmen.
       
       28 May 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jürgen Gottschlich
       
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