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       # taz.de -- Ukraine nach der Wahl: Die meisten Helden sind müde
       
       > Auf dem zentralen Ort des Protests in Kiew kehrt langsam Normalität ein.
       > Dennoch harren 300 Menschen an den letzten Barrikaden auf dem Maidan aus.
       
   IMG Bild: Musiker auf dem Maidan. „Jetzt haben wir endlich einen legitimen Präsidenten“, sagt ein Aktivist.
       
       KIEW taz | Die Cafés und Restaurants rund um den Kiewer
       Unabhängigkeitsplatz Maidan sind am frühen Abend gut besucht. In einem
       krimtatarischen Restaurant feiert eine Gruppe mit reichlich Alkohol
       lautstark Geburtstag. Im Sushi-Imbiss gleich nebenan versucht ein sichtlich
       überforderter Kellner noch den Überblick über die Bestellungen zu behalten.
       
       Lächelnde Touristen lassen sich vor den Bildern der Getöteten des Protests
       fotografieren oder posieren neben auf Metallständern montierten
       Plastikboxen, wo für die Hinterbliebenen der Opfer Geld gespendet werden
       kann. Direkt auf dem Platz zwischen Bergen von Autoreifen, Schutt,
       Holzbohlen und Pflastersteinen stehen immer noch ein paar Dutzend Zelte.
       Rund 300 Menschen halten hier die Stellung und die Restbestände der
       Barrikaden.
       
       Es ist auffallend ruhig. Die meisten Helden des Maidan sind offensichtlich
       müde und haben sich bereits zum Schlafen zurückgezogen. Nur vor einigen
       wenigen der improvisierten Unterkünfte sitzen ein paar Frauen und Männer
       auf Plastikstühlen, vor sich eine Flasche Bier oder einen Becher mit
       Kaffee. Roman stammt aus der westukrainischen Stadt Ivanofrankiwsk und ist
       seit Januar auf dem Maidan. „Jetzt haben wir endlich einen legitimen
       Präsidenten. Und es hat mich sehr gefreut, dass so viele Menschen wählen
       gegangen sind und die Abstimmung gut verlaufen ist. Das ist auch ein
       Resultat des Euro-Maidan“, sagt der 52-jährige Bauarbeiter.
       
       Dass mit Petro Poroschenko ausgerechnet ein Oligarch neuer Präsident des
       Landes wird, stört ihn nicht. Aber jetzt wolle er erst einmal Resultate
       sehen und werde deshalb vorerst weiter auf dem Unabhängigkeitsplatz
       bleiben. Und das, obwohl er erschöpft sei und ihm allmählich das Geld
       ausgehe. An eine gewaltsame Räumung des Maidan glaubt Roman nicht. „Auf
       keinen Fall. Unser neuer Bürgermeister Vitali Klitschko war ja selbst
       ständig hier und hat gemeinsam mit uns für unsere Ideen gekämpft“, sagt er.
       
       Sein Zeltnachbar, ein junger Mann mit Badeschlappen und Bermuda-Shorts,
       betrachtet den Wahlausgang weit weniger optimistisch. Wanja ist 29 Jahre
       alt. Er kommt ebenfalls aus der Westukraine, hat vor dem Beginn der
       Protestbewegung im vergangenen November im Baugewerbe gearbeitet und einen
       Monat länger „Maidan-Erfahrung“ als Roman.
       
       ## „Ein Debiler wurde durch einen anderen Debilen ersetzt“
       
       An der Abstimmung am vergangenen Sonntag konnte er nicht teilnehmen, weil
       seine Dokumente bei dem Brand des Gewerkschaftshauses neben dem Maidan am
       27. Februar 2014 vernichtet wurden. Leid tut ihm das nicht. „Bei den
       Präsidentschaftwahlen wurde doch nur ein Debiler durch einen anderen
       Debilen ersetzt. Poroschenko ist pro-russisch, die Hälfte seines Businesses
       wickelt er in Russland ab. Nein, alles bleibt beim Alten, ich erwarte
       nichts Gutes“, sagt er.
       
       Auch Wanja will auf dem Maidan bleiben, wie lange weiß er aber noch nicht.
       „Immerhin“, sagt er, „wir haben mit unseren Protesten bereits einige
       demokratische Ziele erreicht und die müssen wir jetzt verteidigen.“ Noch
       während Wanja redet, laufen einige Uniformierte vorbei. „Sehen Sie mal, die
       da sind zum Beispiel aus Donezk und Saparoshe. Wir sind zwar nicht mehr
       viele, aber hier steht noch die ganze Ukraine auf dem Platz“, sagt ein
       Mann, der offensichtlich das Gespräch mitangehört hat.
       
       Juri Byk, wie er sich vorstellt, ist Lemberger und von Anfang an auf dem
       Maidan dabei. Um den Hals trägt der 53-Jährige, der mindestens 20 Jahre
       älter aussieht, eine Plastikkarte. Diese weist ihn als einen der
       Kommandanten der Samooborona aus, der Selbstverteidigungseinheiten des
       Maidan. „Ich habe einen Eid geschworen, nämlich den für mein Vaterland zu
       kämpfen“, sagt Byk und betont, dass die Samooborona keiner politischen
       Partei nahe stehe.
       
       Solange eine russische Invasion im Osten drohe, müssten er und die anderen
       die Ukraine verteidigen, will heißen: auf dem Maidan ausharren. Mit dem
       Ergebnis der Präsidenten- und Bürgermeisterwahlen vom Sonntag ist Byk
       zufrieden. Poroschenko und Klitschko, das seien schon tolle Kerle, findet
       er. Von ihnen erwarte er jetzt, dass sie aus der Ukraine ein
       prosperierendes Land machten. „Wenn das jedoch nicht passiert und da bin
       ich mir sicher“, sagt er, „gibt es einen neuen Maidan.“
       
       27 May 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Barbara Oertel
       
       ## TAGS
       
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