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       # taz.de -- Berliner Szenen: Ach, diese Lethargie
       
       > Auf der Bank, Teil 2: Europa ist ruiniert, findet der alte Mann auf der
       > Bank. Das war früher nicht so. Oder anders jedenfalls.
       
   IMG Bild: Wahlbeteiligung, Symbolfoto.
       
       „Europa ist ruiniert“, sagt der Mann, der neben mir auf der Bank sitzt. Ich
       nehme die Zeitung runter. „Finden Sie?“, frage ich. Er nickt. „Völlig
       ruiniert. Das liegt an den zwei Weltkriegen. Die Köppe haben sie sich
       eingeschlagen, für nichts. Ja, ja.“ „Hmm“, sage ich und nehme die Zeitung
       wieder hoch.
       
       „Ich komme aus dem Stahlbau“, sagt er irgendwann, „da muss alles exakt
       geplant sein. Wenn ich jetzt sehe, was die da auf’m Flughafen machen: Da
       lache ich. Das sind doch Pfuscher.“ Ich nehme die Zeitung wieder runter.
       „Was denken Sie, wann der fertig wird, der Flughafen?“, frage ich.
       
       „Ja, ja“, sagt er, „es fehlen einfach Fachkräfte, ausgebildete. Die haben
       keinen Brandschutz eingeplant, wie soll das gehen, auf’m Flughafen? Wussten
       Sie, dass zu Hitlers Zeiten schon Flugzeuge ohne Pilot unterwegs waren?“
       „Nee“, sag ich.
       
       „Auf London sind die geflogen! Tausende hatten die davon. Aber die wussten,
       dass sie den Krieg nicht gewinnen. Wie denn, mit Hitler. Der hatte doch gar
       keinen Abschluss. Keine Ausbildung, nichts. Wie soll man da was werden?
       Aber wissen Sie was, ich hab Bilder von dem gesehen, meine Herren, der Mann
       hatte Talent! Ich komme vom Maschinenbau, da hat man perspektivisches
       Zeichnen gelernt, ich seh das, wenn einer Talent hat.“
       
       Ich kriege den Übergang nicht mehr zusammen, wie er mir dann erklärt, dass
       Franzosen und Spanier eine andere Rasse sind, dass aber Engländer
       eigentlich ganz ähnlich sind wie Deutsche. „Ich hab’s nicht so mit
       Rassetheorien“, sage ich. „Naja, ich sage Ihnen, es geht bergab. Ganz
       Europa fällt in sich zusammen. Es herrscht Lethargie.“
       
       „Und“, sage ich, „gehen Sie wählen am Sonntag?“ „Was?“, fragt er. „Ob Sie
       wählen gehen. Europawahl und so?“ „Pah“, macht er und winkt ab. „In den
       70ern“, sagt er und zeigt auf den Platz vor uns, „da konnte man hier noch
       mit’m Auto lang fahren. Geht jetzt auch nicht mehr.“
       
       25 May 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Margarete Stokowski
       
       ## TAGS
       
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