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       # taz.de -- Präsidentenwahl in der Ukraine: Referendum über die Zukunft
       
       > Am Sonntag bilden sich lange Schlangen vor den Wahllokalen in der
       > Hauptstadt Kiew. Die Prognosen für den Oligarchen Petro Poroschenko sind
       > gut.
       
   IMG Bild: Ein Mitglied eines mobilen Wahlkomitees in der ländlichen Umgebung von Kiew.
       
       KIEW taz | Die Schlange vor dem Wahllokal auf dem Prospekt des Sieges im
       Kiewer Außenbezirk Swjatoschin ist schon um elf Uhr 50 Meter lang. Die
       meisten der hier Wartenden harren bereits über eine Stunde in der brütenden
       Hitze aus. Doch die Stimmung ist gut, fast ausgelassen. „Es geht ja
       schließlich auch um etwas“, sagt Viktorija Bekker. Die 43-Jährige, die als
       Personalleiterin in einer Werbeagentur arbeitet, stammt aus der
       ostukrainischen Stadt Dnjepopetrowsk und lebt seit vier Jahren in Kiew.
       
       „Ich werde für Petro Poroschenko stimmen. Er ist der einzige
       Präsidentschaftskandidat, der die Ukraine einen kann“, sagt sie. Julia
       Timoschenko hingegen stehe für eine Spaltung der Gesellschaft. „Sie hört
       auf niemanden, aber genau das ist es doch, was wir jetzt nicht brauchen.
       Wir müssen aufeinander hören.“
       
       Die Umstehenden nicken zustimmend. Immer wieder fällt der Name Poroschenko.
       Offensichtlich scheint hier niemand an seinem Sieg zu zweifeln. Das legen
       auch die letzten Umfragen nahe. Danach kommt der 48-jährige
       milliardenschwere Oligarch auf rund 40 Prozent der Stimmen. Die frühere
       Regierungschefin Timoschenko wird zwischen acht und zehn Prozent gehandelt.
       Den anderen 19 Kandidaten werden zwischen einem und fünf Prozent
       vorausgesagt. Erreicht keiner der Kandidaten eine absolute Mehrheit, dann
       findet in drei Wochen eine Stichwahl statt.
       
       Doch Kirill Savin, Leiter des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Kiew,
       zweifelt daran, dass es überhaupt zu einer zweiten Runde kommt. Schließlich
       seien laut Umfragen 30 Prozent der Befragten noch unentschieden gewesen,
       wen sie wählen werden. Vieles deute darauf hin, dass ein Teil dieser
       Stimmen Anti-Timoschenko-Stimmen seien und an Poroschenko gingen. „Auf
       jeden Fall“, sagt er, „sind diese Wahlen ein Referendum für und eine
       Bekenntnis zur Ukraine. Sie werden die Gesellschaft konsolidieren.“
       
       ## Vier Stimmzettel
       
       Im Wahllokal steht die Luft. Vor der 14-köpfigen Wahlkommission, die hinter
       einem langen Tisch sitzt, hat sich eine Menschentraube gebildet. Jedem
       Abstimmungsberechtigten werden vier Stimmzettel ausgehändigt. In Kiew
       werden außer dem Präsidenten auch ein neuer Bürgermeister sowie die
       Abgeordneten des Stadtparlaments gewählt.
       
       Nina Gutewa arbeitet hier zwei Tage lang als Sekretärin der Wahlkommission
       und bekommt dafür insgesamt 340 Griwna ( 23 Euro). „Hier sind 2.335 Wähler
       registriert. Insgesamt geben wir 10.000 Stimmzettel aus“, sagt sie. Dass
       die ganze Prozedur so lange dauere und sich die Auszählung hinziehen werde,
       habe auch damit zu tun, dass die Wahlkommission weniger Mitglieder habe als
       früher.
       
       Auf diesen Umstand hatte das Komitee der ukrainischen Wähler (KVU), eine
       der beiden unabhängigen einheimischen Wahlbeobachtermissionen, bereits vor
       den Wahlen hingewiesen. Zur Erklärung hieß es, dass bei früheren Wahlen
       Mitglieder der Kommissionen von bestimmten Kandidaten für ihren Einsatz
       bezahlt worden seien. Das sei jetzt nicht mehr der Fall, weshalb es weniger
       freiwillige Helfer gebe.
       
       Am Wahltag selbst vermeldete die zweite unabhängige einheimische
       Wahlbeobachtermission Opora bis zum frühen Nachmittag für Kiew nur
       geringfügige Verstöße gegen das Wahlgesetz. So seien teilweise die Safes,
       in denen die Stimmzettel aufbewahrt wurden, nicht wie vorgeschrieben in
       Anwesenheit von Wahlbeobachtern geöffnet worden. Zudem seien Wählerlisten
       unvollständig gewesen.
       
       ## Die Teile der Ukraine einen
       
       Auch Juri Maletin steht schon lange an. Der 65-Jährige, der als Physiker an
       der Akademie der Wissenschaften arbeitet, ist in Moskau aufgewachsen und
       seit 40 Jahren in Kiew zu Hause. Er hat in den vergangenen Monaten viel
       Zeit auf dem Maidan verbracht und gelegentlich Demonstranten bei sich
       übernachten lassen. Obwohl Maletin das nicht offen sagt, hegt er Sympathien
       für Poroschenko. Der Kandidat, für den er stimmen werde, habe seine
       Position nicht geändert und könne die unterschiedlichen Teile der Ukraine
       zusammenführen.
       
       Dann fügt er hinzu: „Ich habe noch enge Verwandte in Russland, aber ich
       kann ihnen nicht erklären, was hier in der Ukraine eigentlich passiert. Sie
       sind von Putins Propaganda total gehirngewaschen. Der russische Präsident
       lügt doch allen schamlos ins Gesicht.“
       
       Eine Frau, die mit Mann und Tochter gekommen ist, mischt sich ein. „Wer
       nicht abstimmt, stimmt für Putin“, sagt sie. Zur Wahl zu gehen, das sei so
       etwas wie eine patriotische Pflicht. „Auch wenn die Zukunft der Ukraine
       nicht in Europa liegt“, sagt sie, „dann liegt sie auf jeden Fall an der
       Seite Europas.“
       
       25 May 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Barbara Oertel
       
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