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       # taz.de -- Karel de Gucht über TTIP: „Was ist Ihr Albtraum?“
       
       > EU-Handelskommissar Karel De Gucht versteht nicht, warum so viele
       > Menschen gegen TTIP sind.
       
   IMG Bild: Der EU-Handelskommissar Karel de Gucht
       
       taz: Herr De Gucht, Ihre Amtszeit als Handelskommissar läuft bald ab. Wer
       wird dann künftig über das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA
       verhandeln? 
       
       Karel De Gucht: Ich fände es sinnvoll, wenn ich Handelskommissar bliebe.
       TTIP soll 2015 abgeschlossen sein, da kann es sich die EU nicht leisten,
       sechs Monate oder gar ein Jahr zu verlieren, bis sich ein neuer Kommissar
       eingearbeitet hat. Aber natürlich entscheide nicht ich. Belgien müsste mich
       nominieren, dann würde es von der Anhörung im Europäischen Parlament und
       der Aufgabenverteilung in der neuen Kommission abhängen.
       
       Die TTIP-Verhandlungen werden geheim geführt. Warum? 
       
       Das stimmt nicht. Wir verhandeln sehr transparent. Wir informieren
       permanent alle Beteiligten. Nicht nur das EU-Parlament und die
       Mitgliedsstaaten, sondern auch die NGOs. Während und nach jeder
       Verhandlungsrunde gibt es Konsultationen mit Hunderten von Kritikern.
       
       Auf der Homepage der EU-Kommission gibt es Presseerklärungen, die die
       Geheimhaltung ausdrücklich verteidigen. 
       
       Wir haben gerade wieder EU-Verhandlungspositionen veröffentlicht. Sie
       können unsere Ziele alle nachlesen. Aber ich werde nicht alles
       veröffentlichen, wie interne Strategiepapiere oder Positionen der
       Amerikaner, die ich nur unter der ausdrücklichen Vorgabe erhalte, sie nicht
       an Dritte weiterzugeben. Das werde ich einfach nicht tun, das tut auch
       Deutschland nicht bei internationalen Verhandlungen. Manchmal habe ich das
       Gefühl, dass einige der NGOs am liebsten an meiner rechten und meiner
       linken Seite sitzen würden, während ich verhandle. Aber das ist nicht deren
       Rolle. Sie bekommen alle Informationen, und sie dürfen mich gern
       kritisieren.
       
       Das tun die NGOs ja. Was halten Sie von Pia Eberhardt? 
       
       Diese Dame kenne ich nicht.
       
       Für viele in Europa ist sie die wichtigste TTIP-Kritikerin. 
       
       Sie kann mich gern besuchen.
       
       Alle Kritiker stehen vor demselben Problem: Wie soll man etwas kritisieren,
       was geheim ist? 
       
       In der vergangenen Woche haben wir fünf Positionspapiere veröffentlicht.
       
       Aber die sind sehr vage. 
       
       Sagen Sie mir, was Sie in den Papieren nicht finden, was Sie gerne wissen
       wollen.
       
       Zum Beispiel, wie die USA auf die EU-Positionen reagieren und was dabei
       herauskommt. 
       
       Ja, das steht nicht auf der Website. Aber das liegt nicht daran, dass wir
       etwas verbergen wollten, sondern daran, dass es noch keine Ergebnisse gibt.
       Darüber können wir erst berichten, wenn wir Verhandlungsergebnisse haben.
       
       Aber was wollen Sie den Amerikanern anbieten? Das ist ebenfalls unklar. 
       
       Es geht darum, in verschiedenen Branchen die technischen Standards
       anzugleichen. Ich verstehe Ihr Misstrauen nicht. Sagen Sie es mir: Was ist
       eigentlich Ihr Albtraum? Glauben Sie, ich würde verhandeln, ohne dass ich
       mich wöchentlich bei den Mitgliedsstaaten rückversichere und mit dem
       Parlament spreche?
       
       Sie sagen, was nicht ins Abkommen soll: Die Umweltstandards sollen nicht
       gesenkt werden, Chlorhühnchen und Hormonfleisch bleiben draußen. Aber
       welche Zugeständnisse werden Sie den USA denn machen? 
       
       Ich verstehe ja, dass es großen Informationsbedarf gibt, aber es gibt
       keinen Grund, mir zu misstrauen. Wir haben unsere Ziele sehr klar
       definiert: Es geht um einen größeren Marktzugang, um den Abbau von
       Handelshemmnissen und um transparente Regeln zum Investorenschutz. Und wir
       haben klar definiert, wie weit wir dabei gehen wollen.
       
       Ein Grund für das Misstrauen dürfte sein, dass Dokumente zeigen, dass Sie
       von Anfang an viel enger mit Industrievertretern als mit Umweltschützern
       zusammengearbeitet haben. 
       
       Es ist ganz normal, dass wir Gespräche mit Vertretern der Industrie und der
       Dienstleistungsbranche führen. Es geht um ein Handelsabkommen. Natürlich
       sind einige Leute gegen Handel, das ist ihr gutes demokratisches Recht.
       Aber es ist nicht meine Aufgabe, gegen Handel zu sein. Dann wäre ich kein
       guter Verhandler für dieses Abkommen. Ich treffe mich selbstverständlich
       mit Vertretern der Zivilgesellschaft. Als ich vor zwei Wochen hier in
       Berlin war, habe ich mit dem DGB-Chef und mit dem Chef der
       Verbraucherzentrale Bundesverband gesprochen. Der Grünen-Fraktionchef Anton
       Hofreiter war bei mir, ebenso wie einige Minister aus den Ländern. Außerdem
       haben wir seit Januar ein europäisches Beratergremium, in dem auch
       Verbraucherschützer, Gewerkschaften und NGOs vertreten sind.
       
       Trotz der Gespräche lässt die Kritik nicht nach. Warum? 
       
       Das ist doch völlig normal. Jeder kennt das: Man redet mit Leuten, und
       hinterher bleiben sie trotzdem bei ihrer Meinung. Warum sollte es bei den
       TTIP-Kritikern oder mir anders sein?
       
       Zu den TTIP-Kritikern gehört auch die IG Metall, mit vielen Mitgliedern in
       der Automobilindustrie. Offenbar glauben nicht mal die Autobauer, dass das
       Abkommen nennenswert viele Arbeitsplätze bringt. 
       
       Der DGB hat vor Kurzem seine Position klargestellt. Auch der Europäische
       Gewerkschaftsverband. Ich bin gern bereit, auch mit der IG Metall direkt zu
       reden, meine Mitarbeiter haben das übrigens bereits getan. Aber prinzipiell
       gilt: Handel ist gut für eine Gesellschaft. Zeigen Sie mir eine
       Gesellschaft, die ohne Handel reich geworden ist.
       
       Der Handel zwischen den USA und Europa floriert bereits. Jeden Tag werden
       Waren im Wert von 2 Milliarden Dollar ausgetauscht. Wozu noch TTIP? 
       
       Das ist doch kein Grund, warum der Handel nicht noch weiter wachsen könnte.
       Wir haben eine Studie in Auftrag gegeben, die zu dem Ergebnis kommt, dass
       die europäische Wirtschaftsleistung um 0,5 Prozent wachsen würde.
       
       In zehn Jahren. Macht 0,05 Prozent pro Jahr. 
       
       Das ist Unsinn. So kann man nicht rechnen. Wenn einige Zölle sofort fallen,
       bringt das schnell einen starken Impuls. Im Übrigen ist es eine Studie.
       Niemand weiß genau, welche Auswirkungen das Abkommen haben wird. Das hängt
       auch von der Entwicklung des Weltmarkts ab. Bislang sind alle
       vergleichbaren Studien zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen: dass
       Wachstumseffekte zu erwarten sind. So war es auch bei anderen
       Freihandelsabkommen. 2011 wurde ein Vertrag mit Südkorea abgeschlossen, der
       positiv für uns war. Ob Sie es mögen oder nicht: Die Exporte sind um 30
       Prozent gestiegen.
       
       Macht für die EU ein Ausfuhrplus von nur 7 Milliarden Euro, für Deutschland
       vielleicht 2 Milliarden. Das ist eher bescheiden. Interessant ist: Es
       handelt sich um ein reines Freihandelsabkommen, ohne Investitionsschutz. 
       
       Nein, falsch. Auch das Korea-Abkommen enthält Regelungen im regulatorischen
       Bereich. Und für Investitionsschutz war die EU damals noch nicht zuständig.
       
       Den Investorenschutz sehen viele als ein großes TTIP-Problem, weil er
       ausländische Firmen bevorzugt: Vattenfall klagt gegen Deutschland, weil
       seine AKWs abgeschaltet werden. Die deutschen Konzerne Eon, RWE und EnBW
       können nicht vor internationale Schiedsgerichte ziehen und die nationale
       Rechtsprechung aushebeln. 
       
       Vattenfall klagt nicht aufgrund eines Handelsabkommens wie TTIP gegen
       Deutschland, sondern aufgrund der Energiecharta. Dies ist ein regionales
       Abkommen, dem Deutschland in den 1990er Jahren beigetreten ist, weil es den
       beteiligten Russen nicht traut und bei unabhängigen Gerichten im Notfall
       auf sein Recht pochen will.
       
       Den US-Amerikanern trauen wir. Deshalb brauchen wir auch keinen
       Investitionsschutz. 
       
       Neun EU-Mitglieder haben bereits Investitionsschutzabkommen mit den USA,
       aber diese haben alle Schwächen und laufen trotzdem noch. Darum wollen wir
       ein besseres Modell schaffen, das insbesondere das Recht auf Regulierung
       schützt und als Vorbild für andere Abkommen fungieren kann.
       
       Sigmar Gabriel sagt, Deutschland akzeptiere TTIP nur ohne Investorenschutz. 
       
       Das hat er nicht gesagt. Er sagte, wir brauchen ihn nicht. Das ist etwas
       anderes.
       
       Gut. Aber: Vermissen Sie nicht die Unterstützung des wichtigsten EU-Lands? 
       
       Wir haben die Verhandlungen zum Investorenschutz gestoppt und öffentliche
       Konsultationen gestartet, die noch bis zum 6. Juli dauern. Jeder EU-Bürger
       kann sich im Internet äußern. Wir werden die Ergebnisse mit Rat und
       Parlament besprechen. Dann werden wir sehen, ob uns Deutschland
       unterstützt.
       
       Warum wird online nur gefragt, wie der Investorenschutz aussehen soll? Es
       fehlt die Frage, ob es ihn überhaupt geben soll. 
       
       Man muss einfach bei der 13. Frage schreiben: „Wir sind dagegen!“ „Wir
       hassen den Investorenschutz!“ „Es ist das Ende der Zivilisation.“ Im Ernst:
       Wir prüfen die Qualität der Einwände, nicht die Menge. Und: Wir werden den
       Anmerkungen nicht automatisch folgen, wenn 90 Prozent ohne Begründung
       dagegen sind.
       
       Glauben Sie immer noch, dass die Verhandlungen 2015 abgeschlossen werden? 
       
       Vor den Kongresswahlen in den USA Ende 2014 sollten wir einen Durchbruch
       erreicht haben.
       
       Ist es Ihr Ziel, TTIP ohne die Parlamente durchzudrücken? 
       
       Nein. Aufgrund der derzeitigen Breite des Abkommens halte ich es für sehr
       wahrscheinlich, dass nationale Parlamente wie der Bundestag und der
       Bundesrat am Ende über TTIP abstimmen.
       
       27 May 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ulrike Herrmann
   DIR Malte Kreutzfeldt
   DIR Kai Schöneberg
       
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