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       # taz.de -- Kolumne Macht: Sollen doch alle siegen
       
       > Politikverdrossenheit? Laut Wahl-O-Mat leider ich unter unangemessener
       > Begeisterungsfähigkeit. Meine Zustimmungsrate fällt nie unter 46 Prozent.
       
   IMG Bild: Egal wo man draufklickt, einverstanden ist man immer.
       
       Der [1][//www.wahl-o-mat.de/europawahl2014/:Wahl-O-Mat] ist eine enorm
       praktische Sache. Mit geringem Aufwand erfährt man Erstaunliches. So weiß
       ich jetzt, dass ich jede Partei prima finde. Eigentlich ist es egal, wie
       die Europawahl ausgeht – ich gönne offenbar allen den Sieg.
       
       Die Positionen der Partei Bibeltreuer Christen decken sich angeblich zu
       60,5 Prozent mit meinen eigenen, die der AfD sogar zu 65,8 Prozent, und
       auch die Wahlaussagen der FDP halte ich zu 57,9 Prozent für vernünftig.
       Meine Zustimmung zur Politik der Linken, der Grünen und der SPD erreicht
       fast nordkoreanische Verhältnisse.
       
       Insgesamt fällt meine Zustimmungsrate nie unter 46 Prozent – nicht einmal
       dann, wenn ich meine Kreuzchen völlig willkürlich setze, ohne auch nur die
       Thesen zu lesen, und sie mit Programmen von Parteien abgleiche, von denen
       ich noch nie gehört habe. Offenbar leide ich nicht unter
       Politikverdrossenheit, sondern unter unangemessener Begeisterungsfähigkeit.
       
       Die Bundeszentrale für politische Bildung, verantwortlich für den
       Wahl-O-Mat, weist darauf hin, dass „hohe Übereinstimmungen“ meiner
       Antworten mit mehreren Parteien „nicht zwangsläufig eine inhaltliche Nähe
       dieser Parteien zueinander“ bedeuten. Das ist sehr höflich formuliert.
       Weniger feinsinnig wäre ein Warnhinweis vor nichtssagenden Schlagworten.
       Zum Beispiel: „Populismus fügt Ihnen und den Menschen Ihrer Umgebung
       erheblichen Schaden zu.“
       
       Wenn’s denn wenigstens so wäre. Das Problem ist: Den Parteistrategen fügt
       es ja keinen Schaden zu. Wie tief die Wahlbeteiligung zum Europaparlament
       auch immer absinken mag – die Mandatsverteilung lässt sich prozentual immer
       ausrechnen.
       
       ## Vorsicht, Populismus
       
       Ärgerlich war im Wahlkampf vieles. Das Schattenboxen zweier sogenannter
       Spitzenkandidaten, über deren mögliche Inthronisation nicht etwa die
       Wählerinnen und Wähler oder das Parlament, sondern ganz andere Leute
       entscheiden werden. Und die so päpstlich-präsidential über ihren eigenen
       Streitgesprächen schwebten, als ginge es um gar nichts – außer darum, einen
       guten Eindruck zu machen. Weil die Rivalen ja inhaltlich ohnehin einig zu
       sein schienen.
       
       Dabei geht es um viel, und von Einigkeit innerhalb Europas kann keine Rede
       sein. Die Flüchtlingspolitik, das Freihandelsabkommen mit den USA, die
       Sicherheitspolitik, der Datenschutz, die Angleichung der sozialen Standards
       innerhalb Europas, die Steuergerechtigkeit und der Kampf gegen
       Steuerflucht: Das sind nur einige der vielen Themen, über die gestritten
       wird. Allerdings meist hinter geschlossenen Türen.
       
       Fachleute – auch innerhalb des Europaparlaments – haben viele interessante
       Argumente zu den Kontroversen beigesteuert. Aber die werden der
       Öffentlichkeit im Wahlkampf nur selten zugemutet. Vermutlich halten die
       Parteistrategen sie für allzu kompliziert – zumal sich ja inzwischen
       eingebürgert hat, jede Meinungsverschiedenheit für einen Verrat an der
       europäischen Idee zu halten. Was von einem seltsamen Demokratieverständnis
       zeugt.
       
       Juristensprache gilt als schwer verständlich. Aber niemand hat in den
       letzten Jahren auf europäischer Ebene so klare Worte gesprochen wie Richter
       des Europäischen Gerichtshofes. Die das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung
       für unzulässig erklärten, weil Datensammlung ohne Verdacht auf Straftaten
       rechtswidrig sei. Und die entschieden haben, dass Suchmaschinen wie Google
       gezwungen werden können, sensible persönliche Informationen zu löschen.
       
       Großartig! Warum darf ich eigentlich niemanden in ein mächtiges Richteramt
       wählen und muss statt dessen machtlose Parlamentarier wählen?
       
       Ach, übrigens: Einer Studie zufolge, die vom Europäischen Gewerkschaftsbund
       in Auftrag gegeben wurde, könnte das Europaparlament erfolgreich dagegen
       klagen, dass es an der Bekämpfung der Finanzkrise nicht beteiligt worden
       ist. Das wäre doch schon mal ein schöner Anfang. Aber auch dieses Thema
       spielte im Wahlkampf keine Rolle. Schade eigentlich.
       
       25 May 2014
       
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