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       # taz.de -- Pro und Contra Europäischer Fußball: Spiel ohne Grenzen?
       
       > Schaffen Champions League, EM und die Uefa Teilhabe und emotionalen
       > Kontinentalkitt? Oder sind sie ein unfaires Elitenprojekt?
       
   IMG Bild: Fußball verbindet alle: Polnischer, irischer und spanischer Fan bei der EM 2012
       
       ## 
       
       In ganz Europa werden sie am Samstagabend wieder gebannt vor den TV-Geräten
       sitzen. Vor fünf Jahren bereits übernahm das europäische
       Champions-League-Finale die Spitzenposition als das weltweit meistgesehene
       Sportereignis. Real gegen Atletico Madrid – das ist weit mehr als ein
       Städtefinale. Es ist auch weit mehr als ein spanisches Endspiel. Es geht um
       weit mehr als um die Vorherrschaft unter den reichsten Vereinen.
       
       Doch all das kann die kollektive europäische Begeisterung nicht erklären,
       die die TV-Sender gewiss wieder Rekordquoten verkünden lässt wie beim
       letztjährigen deutschen Finale. Es ist vielmehr die europaweite Teilhabe,
       die die allgemeine Faszination erklärt. Der portugiesische Real-Stürmer
       Ronaldo oder der türkische Atletico-Mittelfeldspieler Arda Turan können an
       diesem Abend Geschichte schreiben im Zusammenspiel mit einem Franzosen,
       Kroaten, Belgier oder Deutschen. Hier werden verbindende Momente
       geschaffen, die sich tief ins Gedächtnis von Millionen Menschen
       einschreiben werden. Es ist der emotionale Kontinentalkitt, von dem viele
       europafreundliche Politiker nur träumen können.
       
       Natürlich geht es auch ums Geschäft. Aber während in vielen nationalen
       Ligen der ungeregelte Wettbewerb zum Auseinanderdriften des
       Kräfteverhältnisses führt, sanktionierte der Europäische Fußball-Verband
       (Uefa) jüngst erstmals Verstöße gegen das Financial Fair Play.
       
       Vielfach wurde außerdem Uefa-Chef Michel Platini gescholten, weil er die
       Aufstockung des EM-Teilnehmerfelds von 16 auf 24 Länder durchboxte. Ihm mag
       es um die Stimmen der kleinen Fußballverbände gegangen sein; was er aber im
       Ergebnis geschaffen hat, ist eine größere Teilhabe am größten europäischen
       Fußballfest. Als völlig verrückt wurde seine Initiative kritisiert, die EM
       2020 nicht an ein oder zwei Länder zu vergeben. Stattdessen wird sie in
       verschiedenen europäischen Metropolen ausgetragen.
       
       Dabei stärkt dies doch die emotionale und ökonomische Partizipation an
       Europas größtem Fußballfest. Zudem werden der Aufwand und die Kosten auf
       mehrere Schultern verteilt. Eine clevere Idee, die kleine Länder künftig
       nicht mehr von Großereignissen ausschließt.
       
       Erweiterung und Vertiefung zugleich? Wer kennt sie nicht, die paranoid
       erscheinenden Parolen von europäischen Politbürokraten. Die Uefa ist dabei,
       beides zusammenzubringen, und verdient prächtig damit. Warum nicht?
       JOHANNES KOPP 
       
       ## 
       
       Europa ist ein Kraftprotz, meistens jedenfalls. Und Kraftprotze möchten
       sich messen. Der Fußball ist ideal dafür. Seit 1897 gibt es
       länderübergreifende Wettbewerbe wie den Challenge Cup oder den
       Mitropapokal. Das bis dahin größte europäische Fußballprojekt aber begann
       1955 mit der Einführung des Europapokals. Die Wirren des Krieges waren
       halbwegs überstanden. In der Sportszene als Surrogat des Politischen konnte
       nun wieder die Frage erörtert werden: Wer ist der Beste, wer ist der King
       in Europa?
       
       Außerdem nervten diese Engländer, die das beste Fußballteam der Insel gern
       mal zum Weltmeister kürten, 1954 die Wolverhampton Wanderers. Resteuropa
       konnte es nicht hinnehmen, dass eine Elf aus einem Nest bei Birmingham die
       Welt und den Kontinent beherrschte – einfach so, ohne einen Wettbewerb mit
       den Spaniern von Real Madrid oder den Portugiesen von Benfica Lissabon.
       
       Die Spiele um den Europapokal galten als sinnstiftend für den Alten
       Kontinent. Der Wettbewerb war bis in die 80er Jahre hinein ein Wettbewerb
       der Möglichkeiten, an dem sich auch Mannschaften aus dem Ostblock
       beteiligten. Und weil es so gut lief, expandierte der europäische Fußball.
       Seit 1960 wurde der Europapokal der Pokalsieger vergeben, seit 1971 der
       Uefa-Pokal. Damals gewannen Mannschaften Titel und Trophäen, die heute aus
       verschiedenen Gründen keine Chance mehr hätten: Slovan Bratislava, 1. FC
       Magdeburg, Celtic Glasgow oder IFK Göteborg.
       
       Der Wettbewerb der politischen Blöcke garantierte Abwechslung und Spannung,
       nach dem Fall des Eisernen Vorhangs aber wurde der altehrwürdige und
       traditionsreiche Europapokal nicht nur umbenannt in Champions League und
       Europa League, er verkam auch mehr und mehr zu einem fußballerischen
       Elitenprojekt. Im Grunde ist daraus ein Vierländerkampf geworden: Immer
       finanzkräftigere Teams aus England, Spanien, Italien und Deutschland machen
       so gut wie immer die Titel unter sich aus. Dieses Länderquartett hat 101
       Titel gewonnen. Mithalten können nur die Niederlande und Portugal mit
       zusammen 18 Titeln. Der Rest von Europa muss sich mit 22 Europapokalen
       begnügen.
       
       Im europäischen Fußball haben wir es also mit einer Klassengesellschaft zu
       tun. Sechs Länder räumen ab, die restlichen 48 Mitgliedsverbände der Uefa,
       des europäischen Fußballverbandes, haben eigentlich keine Chance – auch
       deswegen, weil der Teufel immer auf den größten Haufen scheißt. Wer einmal
       in der großen Verlosung der Champions-League-Hauptgewinne drin ist, der
       scheffelt Kohle, mit Fernsehgeldern manchmal über 50 Millionen Euro pro
       Spielzeit.
       
       Europas Fußball hat sich kapitalisiert, und zwar kräftig. Ein fairer
       Wettbewerb - auch in den nationalen Ligen – ist wegen der extrem
       gepamperten Topklubs aus der Liga der Champions nicht mehr möglich. Auf
       europäischer Ebene dürfen sich die Fans immerhin damit trösten, dass sie
       den unterhaltsamsten Fußball des Kontinents geboten bekommen. MARKUS VÖLKER
       
       24 May 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Johannes Kopp
   DIR Markus Völker
       
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